Bayern genießen Hof - Bayern genießen im April
Haus und Hof. Dieses typische Mehrfachwort, Hendiadyoin lautet der Fachausdruck, steht nicht allein: Hab und Gut, Grund und Boden, Dach und Fach - all das hat mit dem Hof, der bebauten Fläche zu tun, die der, der die Fläche bebaut, der Bauer, besitzt und bewohnt. Um noch einmal ein Hendiadyoin zu bemühen: Der Hof ist von Anfang an das Ein und Alles des Menschen.
Hier unsere Genuss-Themen aus den bayerischen Regionen rund ums Motto "Hof"
Oberbayern: Heilige Höfe. Der Hofkapellenweg im Leitzachtal. Von Andrea Zinnecker
Niederbayern: Teurer Hof. Die Hofhaltung der Reichen Herzöge von Niederbayern. Von Birgit Fürst
Oberpfalz: Stiller Hof. Der Gesandtenfriedhof in Regensburg. Von Uli Scherr
Oberfranken: Autohof. Ein abseitiger Genussort. Von Petra Nacke
Mittelfranken: Bürgerhof. Wiederaufgebaut im Nürnberger Pellerhaus. Von Barbara Bogen
Unterfranken: Genusshof. Der Zehnthof in Nordheim. Von Jürgen Gläser
Schwaben: Neue Höfe. Die Kohlekumpels aus Kempten. Von Doris Bimmer
Leitzachtaler Hofkapellenweg
Vom Nomadentum hin zum sesshaften Bauern, der von seinem eigenen Grund und Boden lebt - dieser grundlegende Wandel der Wirtschaftsweise des Menschen ist untrennbar verknüpft mit der Religion - und dem gemeinschaftlichen Essen und Trinken. Nach der letzten Eiszeit beginnen die Jäger und Sammler damit, sich an bestimmten Ort und zu bestimmten Zeiten, heiligen Orten, heiligen Zeiten zu treffen, um gemeinsam zu feiern. Bevorzugt auf markanten, von überallher sichtbaren und doch leicht erreichbaren Höhenzügen, die im Lauf der Zeit zu heiligen Bergen werden. Auf diese großen, riesigen Versammlungen freuen sie sich lang im Voraus, begeistert ziehen sie hin und treffen andere Begeisterte, um sich mit ihnen auszutauschen. Sie entwickeln Feier- und Festrituale gemeinsam mit den sichtbaren Freunden und den unsichtbaren Verstorbenen und Geistern und Göttern. Wichtigstes Element dieser heiligen Treffen ist ein gemeinsames Mahl. Wie wichtig das war, zeigt sich wiederum an Mehrfachwortbegriffen: Speis und Trank, Brot und Wein. Wobei man damals unter Wein auch Bier verstanden hat und umgekehrt. Hauptsache Alkohol. Den brauchts für ein Fest ja unbedingt. Und deswegen brauchts auch Leute, die Getreide anbauen, aus dem man Bier machen kann und Brot. Dafür fangen die Menschen der Steinzeit überhaupt erst an sich in der Umgebung der großen Heiligen Stätten anzusiedeln, sesshaft zu werden, einen zu Hof errichten. Höfe sind also aufs Engste mit dem Heiligtum verknüpft - eins gibt's nicht ohne das andere. Deswegen haben alle traditionellen Häuser in allen Kulturen auch eigene kleine Heiligtümer. Auch die römischen Gutshöfe bei uns im Land zwischen Alpen und Main hatten kleine Tempel, genauso wie ihre Nachfolger, unsere Bauernhöfe. Wer auf einer Wanderung zufällig oder durchaus absichtsvoll, wie etwa auf dem Leitzachtaler Hofkapellenweg an einer Hofkapelle vorbeikommt, verbindet sich buchstäblich mit seinen Wurzeln seit der Steinzeit.
Höfische Prachtentfaltung
Hof. Das Wort hängt zusammen mit der Hufe oder Hube, der alten Bezeichnung für einen ganzen Bauernhof. Sein Besitzer, der Hüfner, Hüber, oder Huber, war Selbstversorger, damit autark, eigenständig, entsprechend selbstbewusst und vor allem: frei. Das alte Wort für einen solchen Besitz ist Od oder Öd. Ein Kleinod ist ein kleiner, kostbarer Besitz, die Einöde ist ein alleinliegender Besitz, der nicht in einem Dorf liegt aber dafür häufig mit weitem Fernblick auf Hügeln thront. Im Mittelalter galt der selbstbewusste Herr eines solchen Hofs als Ödler, als Edler halt, als Adeliger: Der Besitzer eines großen, freien Hofs, der sich allein verteidigen kann und muss. Er ist bewaffnet und hoch zu Ross auf seinem umfangreichen Besitz unterwegs, und nimmt zusammen mit seinen zahlreichen Angestellten auch andere, ärmere unter seinen Schutz, die sich und ihren Besitz nicht selbst verteidigen können. Weil Waffen und Kriegsgerät aus Metall teuer sind, entwickelt sich daraus mit der Erfindung der Bronze vor etwa viertausend Jahren die klassische Arbeitsteilung: Freie Großgrundbesitzer einerseits, die zusammen mit ihren berittenen Knechten kleinere Untergebene andererseits beschützen und dafür von diesen Abgaben bekommen, mit deren Hilfe sie sich ernähren und wiederum Waffen beschaffen können. Damit ist die Grundlage gelegt für jedes staatliche Gemeinwesen überall auf der Welt. Aber die Edlen, die Adeligen haben nie vergessen, dass sie im Prinzip immer Bauern waren. Egal ob Landedelmann oder großer König oder Kaiser. Alle besaßen sie Höfe, die sie leiteten, regierten, indem sie mit ihren Knechten, englisch knights, also den Rittern von einem zum andern ritten, dort abstiegen, um dort Hof zu halten, und als oberste Regierer und Richter Entscheidungen zu treffen, eben Gericht zu halten, Weswegen auch Gerichte bis heute als Höfe, Gerichtshöfe, englisch Courts bezeichnet werden. Und wer sichs nicht verscherzen wollte mit dem obersten Richter, der musste sich tunlichst höflich benehmen. Es war ein Geben und Nehmen: Der Untertan ernährte seinen Herrn, der wiederum für Recht und Ordnung sorgte und für seine Untertanen Befestigungen baute, Burgen, die ihn im Ernstfall sicher bergen konnten. Große und kleine Burgen überall in Bayern zeugen von dieser jahrtausendealten staatlichen Geschichte. Zu den bedeutendsten davon gehören die Kaiserburg in Nürnburg und die Burg Trausnitz zu Landshut und die Burg zu Burghausen, die Stammburgen und Zentralhöfe der Wittelsbacher, die, was den Aufwand für die Hofhaltung anging, mit den deutschen Königen und Kaisern wetteiferten und sie nicht selten übertrafen.
Der Zehnthof von Nordheim
Im Lauf des Mittelalters hat sich dieses auf Hof- und Grundbesitz ausgerichtete System, das sogenannte Feudalsystem, immer intensiver in Richtung eines geregelten und funktionierenden Staatswesens entwickelt. Ähnlich wie sich schon der Cäsarerbe Octavianus sich als primus inter pares, also als erster unter gleichen verstand, und damit Princeps wurde, Oberhaupt und erster aller römischen Cäsaren oder Kaiser, so wurden auch die Großgrundbesitzer zunächst erste unter gleichen, damit aber waren sie automatisch Fürst, englisch first oder Prinz, eben princeps. Und als Fürst war man dann Herr über viele Höfe, von denen man lebte, aus denen man seine Hofhaltung finanzierte. Doch es gab nicht immer nur Adelige Hintersassen. Auch Pfarrer, Klöster oder Bischöfe, später auch andere Institutionen und reiche Bürger der Städte hatten Höfe, die sie mittelbar oder unmittelbar bewirtschafteten, von denen sie lebten und auf denen die kleineren Bauern, die sogenannten Hintersassen, ihre Steuern und Abgaben, den sogenannten Zehnten, zu entrichten hatten. Der Zehnthof von Nordheim am Main etwa, der einmal zur Abtei Münsterschwarzach gehört hatte und bis heute zu den kulturellen und kulinarischen Mittelpunkten der uralten Kulturlandschaft auf der Maininsel gehört.
Bester Kulturboden: Schwarzerde
Am Anfang war die Landwirtschaft. So ist das Bibelwort von der Erde, die sich der Mensch untertan macht, zu verstehen: Aus der Gottes Schöpfung, will heißen der Natur wird die Kultur, wörtlich: das Bebaute, Gepflegte. Auch wenn wir heute sagen, dass wir gern in draußen in der Natur sind, um uns zu erholen - im Prinzip gibt's bei uns praktisch keine Natur mehr, also keine vom Menschen unberührte Wildnis. Alles ist Kulturlandschaft, seit vielen Jahrtausenden. Und das ist gut so, weil erst die Agrikultur, die Landwirtschaft, die intensive Nutzung des Landes - vom Garten in den Flusstälern bis hinauf zu den Almwiesen - die einzigartige Vielfalt von Lebensräumen für Flora und Fauna zustande bringt, die uns heute so schützenswert erscheint. Gefährdet ist sie erst, seit auch die Agrikultur keine Kreislaufwirtschaft mehr ist, sondern mit Hilfe fossiler Energie industrialisiert wurde. Erst allmählich kommt man drauf, dass die alte Wirtschaftsweise gar nicht so unvernünftig war. Eine Rückkehr zu ihr ist zwar angesichts ständig wachsender Erdbevölkerung nicht mehr möglich. Anleihen aber kann man sich nehmen. Und ein Beispiel an klassischen Ackerbauregionen: Da wurde aus fruchtbarer brauner Lösserde durch intensive Nutzung und Besiedlung im Lauf von Jahrhunderten und Jahrtausenden oftmals die noch fruchtbarere Schwarzerde, deren modernen Nachbau, die Terra Preta gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlägt…
Bürgerlicher Prachthof Pellerhaus
In den ältesten Zeiten war ein Hof von einer Hecke, eineghegt. Innerhalb dieses Haags fanden sich die Felder und Gärten, dann kamen diverse Wirtschaftsgebäude und im Zentrum des Hofs dieses, wenn man so will Besitzhaufens, als höchste, zumindest wichtigste Erhebung das Haupt- oder Wohnhaus. Noch heute verstehen wir unter Hof den Bauernhof samt all seinen Ländereien einerseits und andererseits den eigentlichen Hof, die Hofstelle, oder Hofstatt, an der die Wirtschaftsgebäude mit dem Haupthaus oft noch einen sekundären kleineren Hof bilden. Das Verständnis von Hof als ein von Gebäuden umgebener Platz im Freien übertrug sich im Hochmittelalter auch in die Städte, wo die Bürgerhäuser an der Straßenfront zusammen mit Stallungen und Wirtschaftsgebäuden im Hinterhof ebenfalls einen oder mehrere Höfe bilden konnten. Und mit steigendem Wohlstand ihrer Bürger wurden diese Höfe, ähnlich wie die Fassaden der Häuser an der Straße, immer aufwendiger gestaltet. Die Pracht dieser bürgerlichen Höfe wurde oft zu einem Statussymbol der ganzen Stadt. So wie etwa das Pellerhaus mit seinem prunkvollen Renaissancehof am Nürnberger Egidienplatz. Im Krieg wurde es schwer zerstört und danach in neuen Formen unter Einbeziehung alter Ruinen wiederaufgebaut. Doch die Nürnberger ließen nicht locker und es bildete sich eine Bürgerinitiative für das Bürgersymbol.
Abseitiger Genuss: Der Autohof
Ursprünglich ist das Wort Hof ja von außen nach innen gedacht: Erst die Umhegung, dann die Felder, in der Mitte die Gebäude. Man kann den Hof aber auch von innen nach außen denken, von einem Zentrum in die Peripherie, in die Umgebung. So wird aus dem Innenhof ein Außenhof: Der Mond kann einen Hof haben, auch die Sonne oder unsere Brustwarzen. Und von da ist es nicht mehr weit ein ganzes, im Zweifel sogar unabgeschlossenes Areal als Hof zu bezeichnen: Den Bahnhof etwa oder sonstige Betriebshöfe. Ganz neu und in ihrer städtebaulichen Unabgeschlossenheit und Ausgefranstheit das völlige Gegenteil jedes geschlossenen Hofs sind die sogenannten Autohöfe an unseren Autobahnen. Rudimentär wie die alten Pionier- oder Westernstädte bieten sie Einrichtungen des allgemeinsten oder vielleicht auch nur gemeinsten Bedarfs. Tankstelle, Reparaturbetriebe, Spielcasino, Gaststätten. Doch auch die einfachsten Dinge kann man besser machen, wie der Buttenheimer Autohof an der A73 zeigt. Und vielleicht gibt es Parallelen: Akkurat in Buttenheim wurde Levi Strauss geboren, der aus einer simplen blauen Arbeitshose die Weltmodeikone Blue Jeans gemacht hat.
Der Regensburger Gesandtenfriedhof
Hof und Religion haben wir festgestellt, gehören von allem Anfang an zusammen, stehen gemeinsam am Beginn aller Kultur. Nicht bloß deswegen weil auch die Kirche und ihre Stellvertreter ganz einfache weltliche Bedürfnisse haben, denen sie früher mithilfe von Pfarrhöfen und dergleichen nachgekommen sind. Sondern auch, weil wir alle im Lauf unseres Lebens mehr oder weniger Begeisterung dafür entwickeln, was über dieses Leben hinausgeht. Wir wollen an das Schöne glauben, das Wahre und Gute und wir wollen, und wir suchen uns dafür Symbole. Die weitaus längste Zeit der Menschheitsgeschichte waren diese Symbole Tempel und ihre heiligen Bezirke. Im christlichen Mittelalter und oft bis heute sind das die Kirchen und ihre Kirch- oder Friedhöfe. Wenn man schon im Leben nicht immer Wahres, Gutes, Schönes erfahren oder getan hat, so wollte man sich ihm zumindest im Tod nähern und ließ sich in oder nahe bei der Kirche bestatten. Und damit nicht nur Gott, sondern auch die Hinterbliebenen den Verstorbenen nicht vergaßen, setzte man ihnen dort pompöse und oft redselige Denkmäler, die die alten Friedhöfe, wie zum Beispiel den Regensburger Gesandtenfriedhof zu höchst unterhaltsamen Sehenswürdigkeiten machen.
Zum Schluss
Der Friedhof übrigens heißt nicht so, weil dort die Toten ihre Ruhe haben oder weil er von Haus aus ein friedvoller Ort wäre. Vielmehr heißt er so, weil er eingefriedet ist; so, wie der Burgfrieden eine Burg oder eine Stadt mit einem Mauerkranz begrenzt. Kranz und Grenze sind das gleiche Wort und wie den Friedhof gibt’s auch Frieden überhaupt nicht ohne eine Grenze. Gleich ob es persönliche Grenzen sind oder staatliche: Wer unerlaubt in Haus und Hof eindringt, begeht Hausfriedensbruch. Wer Grenzen missachtet, verletzt, stört, zerstört, bringt, wie wir in diesen Tagen wieder leidvoll erfahren müssen, den Krieg. Frieden ist ohne intakte, respektierte Grenzen nicht zu haben. Vielleicht haben wir uns zu lang der Illusion hingegeben, dass es im Leben darum ginge, Grenzen abzuschaffen, zu überwinden, anstatt sich zu bescheiden und die Grenzen anderer oder auch die eigenen Grenzen zu respektieren…