Hungrig auf Hamlet? Kunst und Corona
Nun sind sie wieder offen, die Bühnen Bayerns, zumindest einen Spalt weit. Das Bayerische Staatsschauspiel hat bereits zu spielen begonnen nach strengen Auflagen: Monologe, vor wenigen Zuschauern.
Katja Jung war eine der ersten, die Theater im Lastenaufzug gespielt hat, einem großen Aufzug für Bühnenbilder, der sonst in dieser Zeit nie still steht, wird er doch für Residenztheater und Nationaltheater gemeinsam genutzt. Zwar hat das Bayersche Staatsschauspiel wie die meisten anderen etablierten Theater in der Corona-Pause digitale Angebote gehabt, in diesem Fall ein 100 teiliges Tagebuch, doch Live ist Live:
"Theater mit diesem Live-Moment ist ja eigentlich schon so ein Dinosaurier, von dem ich glaube, dass er überleben wird, weil das Bedürfnis nach einer Unmittelbarkeit, das glaube ich, nicht vollkommen verschwinden, selbst mit Hochtechnisierung."
Katja Jung
Für Schauspieler, Sänger, Tänzer aber auch die hinter der Bühne ist nun eine Fastenzeit vorbei. Aber macht es denn auch Spaß Theater mit angezogener Handbremse zu erleben?
Mit Maske und Abstand.
Die Zuschauer sind vorsichtig. Theaterwissenschaftler skeptisch. Im Institut für Theaterwissenschaft an der LMU in München wurde 2019 mit einem Forschungsprojekt begonnen: Theater in der Krise. Dass es eine Krise von Pandemischen Ausmasses geben werden, habe keiner gedacht, so Christopher Balme, Insitutsleiter. Die Krise sei eine Chance, wieder junges Publikum in die Häuser zu bekommen, gerade über spezielle Angebote, akustisches Theater über den Rechner, kurze Aufführungen mit Cliffhängern und Netflix-Dramaturgie.
Bedeutet die Coronakrise den Tod der freien Theater
Auf der anderen Seite fürchten die Wissenschaftler ein Theatersterben gerade in der freien Szene. Die finanziert sich von Förderung zu Förderung. Doch Einsparungen werden kommen und die treffen gern zu erst die Kultur und damit die Künstler, die dann womöglich keine Perspektive mehr haben für ein Leben als Dramturg, Regisseurin, Choreograph, Schauspielerin, Kabarettist. Es könnte sogar einen Generation-Gap geben, im Schlimmsten Falls, so Christopher Balme. Je nachdem wie lange die Krise anhalten wird.
Die Krise als Chance
In Ebersberg ist man der Schließung der eigenen beiden Spielstätten mit Innovation begegnet. Dort wird das alte Kino von einem Verein betrieben, im alten Speicher treten vor allem Kabarettisten und Bayerische Musiker auf: Das Team um Markus Bachmaier und Alexander Liegl investiert und geht ein Risiko ein: Ab sofort gibt es Kameras und Technik, die Live-Streaming möglich machen. Und so steht im Mai, alle Bühnen sind ja vernagelt, die Kabarettistin und Vereinsheimmoderatorin Constanze Lindner auf der Bühne. Ohne Publikum aber mit Bildschirm, an dem Zuschauer via Chat mitreden können – irgendwie.
Die Komikerin schlüpft dabei in mehrere Frauenrollen, von der Oma, bis zur Möchte-Gern-Hip-Hopperin und hat ihr Programm angepasst auf die neue Situation: Eigentlich liebt sie es, das Publikum anzufassen, abzubusserln, wie sie sagt, zu herzen, aber das geht nun auf absehbare Zeit nicht mehr. Fasten auch hier:
"Ich hätte es mir ganz ehrlich bisschen schlimmer vorgestellt, muss ich ganz ehrlich sagen. Aber es weiß nicht. Also, ich bin jetzt sogar ganz erleichtert und glücklich, dass es echt eigentlich so super gelaufen ist. Also auch die Leute hast du gesehen, die Chats, die haben so süß geschrieben. War eigentlich fast toll."
Constanze Lindner
Über drei Monate Spielpause und nun: Ein bisserl spielen, etwas Publikum, und damit Applaus von 50, 100 statt 700, 1000, 2000 Zuschauern. Dazu die Schere im Kopf bei Proben. Christian Stückl probt im Volkstheater bereits schon für extra Corona-taugliche Stücke: Auf Distanz oder mit Maske, in festen Teams, die sich nicht begegnen sollen.
Corona-taugliche Stücke - mit allen Sicherheitsauflagen
Schließlich sollen ja im Theater alle gesund bleiben. Denn gerade in Krisen muss das Theater ja reagieren, auf die gesellschaftlichen Veränderungen, die gerade passieren. Verschwöhrungstheorien. Rassismus-Debatte. Auch wie wir uns alle verändert haben: Die Themen müssen unters Volk im Volkstheater.
Theater ist Erlebnis mit Haut und Haaren und lebt von der Begegnung. Auch in den Pausen, auch in den Garderoben, aber auch hier bleibt ja erstmal alles geschlossen. Und freilich spielt man auch unter solchen Bedingungen, meint Stefan Wilkening, Schauspieler und Sprecher. Und sicherlich macht man auch digitale Angebote.
Aber unterm Strich will er, wie die meisten, ein Theatererlebnis mit allen Sinnen. Was wäre das schön, könnte man den Besuchern klar machen, dass sie wirklich Hunger haben in dieser Theaterfastenzeit, dass sie Heißhunger bekommen auf Theater , Heiß werden auf Hamlet
"Also halte ich es mit so einer Fastenzeit, dass die Leute eigentlich sagen müssen wann wird endlich wieder gespielt und dann aushalten und dann erst wieder spielen, wenn es wirklich auch möglich ist, wenn die Politik sagt, jetzt könnt ihr wieder spielen."
Stefan Wilkening
Der Begriff Systemrelevanz habe die Gesellschaft schon jetzt gespalten, bemerkt Christian Springer. Der Kabarettist schreibt gerade an einem neuen Programm für Herbst, und noch nie hat er so viel in dern Papierkorb geschmissen. Es sei schwer einzuschätzen, wie die Leute drauf sind dann, meint er. Aber gerade jetzt braucht es Kabarett, Leviten lesen, Denkanstösse bieten. Denn alles das ist Theater. Und damit eigentlich ziemlich systemrelevant.