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Bayern genießen Instrumente - Bayern genießen im Juni

Lateinisch instruere heißt soviel wie ordnen, aufstellen einrichten. Und wenn die Einrichtung fertig ist, dann ist es ein Instrumentum geworden, ein eingerichteter Apparat, ein hoffentlich geratenes Gerät. Solche Geräte können Musik machen - sie müssen aber nicht.

Von: Gerald Huber

Stand: 03.06.2022 | Archiv

Bayern genießen: Instrumente - Bayern genießen im Juni

Hier unsere Genuss-Themen aus den bayerischen Regionen rund ums Motto "Instrumente"

Oberbayern: Großer Klang. Julia Fischer und ihre Gaudagnini-Geige. Von Christine Gaupp
Niederbayern: Zupfkultur. Die Gitarrendynastie Hauser im niederbayerischen Reisbach. Von Harald Mitterer
Oberpfalz: Sauggenuss. Die essbaren Trinkhalme aus Regensburg. Von Thomas Muggenthaler
Oberfranken: Volles Rohr. Forchheimer macht mit Allem Musik. Von Tobias Föhrenbach
Mittelfranken: Wasserwerk. Nachbau einer Römerorgel in Weißenburg. Von Andreas Pehl
Unterfranken: Fein gemacht. Das Instrumentarium einer Tortenmodelleurin. Von Anke Gundelach
Schwaben: Essbesteck. Die einzige bayerische Silberbesteckmanufaktur Reiner. Von Doris Bimmer

Großer Klang. Geigen von Guadagnini, Guarneri, Stradivari

Wir Menschen des 21. Jahrhunderts neigen selbstverständlich dazu, uns für die Krone der Schöpfung zu halten. Allerdings übersehen wir dabei eine Kleinigkeit: Auch unsere Vorgänger in den vorangegangenen Jahrhunderten haben das getan. Sie waren schließlich auch nicht blöder als wir. Sie haben bloß nicht soviel gewusst. Weil halt das Wissen auch bloß eine Konstruktion ist. Das lateinische Wort struere hängt zusammen mit dem deutschen streuen. So ist auch unser Wissensschatz konstruiert, aufgebaut aus einzelnen, mehr oder weniger zufällig entstandenen Streuschichten, die wir Erfindungen, Entdeckungen usw. nennen. Da kommen täglich welche dazu. Manche von uns können sich noch an ein Leben ohne Smartphone erinnern. Das war weder schlechter, noch waren wir blöder damals. Aber unsere Telefone haben sich in den letzten 15, 20 Jahren halt gewaltig verändert. Da sind eine Menge Wissensschichten aufeinandergehäuft worden. Aber es gibt auch andere Beispiele, wo Dinge einen Grad an Perfektion erreicht haben, der anscheinend nicht mehr zu verbessern ist. Nehmen Sie zum Beispiel die Maurerkelle. Die schaut mindestens seit der Römerzeit immer gleich aus. Durch den auf bestimmte Weise gekröpften Griff, die nach vorn zulaufende Form des Mörteltabletts, liegt sie offenbar perfekt in der Hand und erlaubt weitgehend ermüdungsfreies Arbeiten. Wobei Kelle natürlich nicht gleich Kelle ist. Das Billiginstrument aus dem Baumarkt kann gut sein, muss aber nicht. Und so wie mit der Kelle ist es mit vielen Instrumenten. Sie können gleich ausschauen und sich doch gewaltig unterscheiden. Und genauso wie es die perfektesten Maurerkellen schon zu den Zeiten der Baumeister unserer großen Dome gegeben hat, so sind auch Musikinstrumente zu ihren Hochzeiten schon so perfektioniert worden, dass wir auch heute bloß staunen können. Die Magie der Klänge, der Zauber der Kommunikation mithilfe eines Instruments. In München sind vier international gefeierte Violinsolistinnen zuhause und alle spielen sie alte Instrumente: Lisa Batiashvili besitzt eine Barockviolin von Giuseppe Guarnieri und Julia Fischer aus Gauting eine von Giovanni Battista Guadagnini. Arabella Steinbacher spielt eine Geige des ikonischen Antonio Stradivari und Anne Sophie Mutter nennt sogar zwei Stradivaris ihr Eigentum. Alles über den Hype um die berühmten alten Instrumente und ein Klangbeispiel hier.

Zupfkultur. Die Gitarrendynastie Hauser im niederbayerischen Reisbach

Übrigens: Antonio Stradivari hat nicht bloß gute Violinen gebaut, sondern auch Bratschen, Celli, sogar Lauten, Mandolinen und Gitarren. Auch die waren damals unbestritten von herausragender Qualität. Die perfekte Gitarre aber konnte Stradivari nicht machen. Aus einem einfachen Grund: Die sechssaitige Gitarre, wie wir sie heute kennen, ist erst im 19. Jahrhundert entstanden - als Weiterentwicklung von Vorgängerinstrumenten, die zurückreichen bis in die Antike. Die altgriechische Kithara allerdings war eine Art Leier, aus der schließlich auch die Gitter und die Zither entstanden sind, Instrumente, deren Bezeichnungen mit dem Wort Gitarre verwandt sind, die aber mit der heutigen klassischen Gitarre nicht mehr allzuviel zu tun haben. Deren bedeutendste Geburtshelfer waren im 19. Jahrhundert Spanier. Und zwar der Gitarrist Francisco Tarrega und der Gitarrenbauer Antonio de Torres. Sowie im 20. Jahrhundert der Gitarrist Andres Segovia. Der hat allerdings die Maßstäbe setzende heutige Konzertgitarre zusammen mit Bayern entwickelt: Der Gitarrenbauerfamilie Hauser, deren Werkstatt im niederbayerischen Reisbach bis heute besteht.

Wasserwerk. Nachbau der Römerorgel Hydraulis in Weißenburg

Römische Hydraulis in voller Aktion mit Organist und 2 Kalkantinnen

Instrument ist, wie gesagt, ein lateinisches Fremdwort und bedeutet soviel wie Einrichtung, Apparat, Gerät, Werkzeug. Aber auch die Römer haben, ähnlich wie wir, für bestimmte Dinge Fremdwörter benutzt. Ihr wichtigster Fremdwortgeber war das Altgriechische. Und da heißt das Gerät, das Werkzeug und auch schon das Musikinstrument organon. Ein Wort das die Römer gleich als organum bei sich eingeführt und im Deutschen als Organ und schließlich auch fürs Organisieren übernommen worden ist. Unser Körper organisiert sich mithilfe von Organen. Aber nicht jeder von uns ist ein Organist. Spass beiseite. Als organum, Mehrzahl organa, später auch orgala, bezeichnete man schon in der Antike den harmonischen Gesang der Vögel, den orgiastisch flötenden Chor der Vogelorgane. Und dessen Nachahmung mittels von aus einzelnen Flöten zusammengesetzten Orgeln. Ja, auch die Orgel hat es in der Antike schon gegeben. Die Luft für die Pfeifen, deren Druck bei einer Orgel ja sehr gleichmäßig sein muss, kam dabei aus einem ausgeklügelten Mechanismus, der mit Wasser funktionierte. Weswegen das Instrument Hyraulis = Wasserpfeife hieß. Justus Wilberg im mittelfränkischen Weißenburg hat sich so eine Orgel nachgebaut. Beim römischen Handwerkermarkt im Römerpark Ruffenhofen am 4. und 5. Juni 2022 können Sie dieses außergewöhnliche Instrument live hören. Geöffnet ist am Samstag von 11.00 - 18.00 Uhr und am Sonntag von 11.00 - 17.00 Uhr. Weitere Konzerte in der nächsten Zeit: Am 1. Juli in St. Anna in Eichstätt, sowie am 6. und 7. August beim Römerfest im westfälischen Haltern.

Volles Rohr. Der Forchheimer Rene Kraus alias der Ente macht mit allem Musik

Rene Kraus - Der Ente

Bleiben wir zunächst noch bei der Musik. Basis dafür und von vielen als das schönste Instrument der Welt bezeichnet, ist das menschliche Organ, das Instrument der Stimme. Was ein rechter Musikant ist, der versteht es darüber hinaus mithilfe aller möglicher organa, sprich Werkzeugen Musik zu machen. So wie Rene Kraus aus dem oberfränkischen Forchheim. Wo immer er auftritt, bilden sich Trauben von Menschen. Rene Kraus alias der Ente sorgt als Solomusiker für Furore. Seine Instrumente hat er alle selber gebaut aus Haushaltsgegenständen und Baumarktmaterialien. Eigentlich ist er Informatiker, doch am liebsten tüftelt er in seinem Studio an neuen Sound-Ideen. Kaum ein Gegenstand ist vor seinem Erfindergeist sicher. Bei ihm wird alles zum Organum, zum Instrument, zum Klangwerkzeug. Auf der Onlineseite von Rene Kraus demonstriert er noch, wie er die verschiedensten Klänge, die man mit einem alten Wählscheibentelefon machen kann, übereinanderlegt. Zusammen mit seiner Stimme wird daraus regelrechtes Stück.

Fein gemacht. Das Instrumentarium einer Tortenmodelleurin

Tortenkurs bei Brigitte Jórasz

Ähnlich wie der Soundakrobat Rene Kraus schaffen wir alle mit den vielfältigsten Instrumenten in irgendeiner Form Dinge, die andere staunen lassen. Nicht nur Musik, sondern auch Bücher, Bilder, Kalkulationen, Raumschiffe, Computer und, und, und. Manches hat Bestand, das allermeiste aber ist vergänglich; vor allem deshalb, weil es dazu bestimmt ist vergänglich zu sein. Ein Musikstück ist nichts Anderes als gestaltete Zeit. Wenn der Moment vorbei ist, ist auch die Musik verklungen. Ganz genauso ist es mit einem kunstvollen Menü und anderen kulinarischen Genüssen, die ebenfalls nur in der Zeit und durch die Zeit existieren, weil sie schlicht aufgegessen werden. So wie die Kunstwerke der Hochzeitstortenvirtuosin Brigitte Jórasz aus Retzstadt im Landkreis Main-Spessart, die ihre ganz speziellen Instrumente auf unvergleichliche Weise einsetzt. Brigitte Jórasz gibt auch regelmäßig Kurse. Vom Motivtortenkurs für Einsteiger über einen Cupcakeworkshop bis zum Kurs für eine zweistöckige Hochzeitstorte.

Sauggenuss. Essbare Trinkhalme aus Regensburg

Gerade zum Zubereiten seiner Nahrung braucht der Mensch von jeher zahlreiche Instrumente. Das allerwichtigste Gerät dazu war der Topf, der bei uns in Süddeutschland schon immer Hafen geheißen hat von lateinisch habere = haben, halten, enthalten. Der Lehm geformte Hafen ist eine Erfindung der Mittelsteinzeit. Noch bevor die Menschen sesshaft wurden, haben sie darin ihre wichtigsten Nahrungsmittel gekocht. Alles, was gekocht wird, macht brrr, weils brodelt. Brrr, eine Lautmalerei, die in vielen Wörtern steckt: In der Brühe, im Brutzeln, natürlich auch im Brauen. Denn zum allerersten überhaupt, was gekocht wurde gehört das, was heute schlicht Brr heißt, eben das Bier. Dazu wurde Getreide komplett mit Spelzen und Halmen in einem großen Hafen oder Kessel gekocht und anschließend vergoren. Der griechische Historiker Xenophon, der viel in der Welt herumgekommen ist, berichtet über eine Vorratskammer in Anatolien folgendes:

"Der Wein, aus Gerste hergestellt, wird in sehr großen Gefäßen aufbewahrt. Im Gebräu schwimmen Malzkörner und Spelzen bis zum Rand. Drinnen sind auch Strohhalme, manche kurz und manche lang; und wer durstig ist, nimmt sich einen und saugt. Das unverdünnte Getränk war sehr stark und von gutem Geschmack."

Xenophon

Ja, der Strohhalm gehört neben den Händen und dem Messer und noch vor Löffel oder Gabel zu den allerersten Esswerkzeugen. Die Römer haben schon welche aus fein gegossener und vergoldeter Bronze benutzt. Insofern war der Plastik-Strohhalm nicht bloß ein Widerspruch in sich, sondern auch ein barbarischer Rückschritt. Gottseidank ist er ja inzwischen verboten. Silber- oder Edelstahltrinkröhrchen hat es zwar nebenher immer gegeben, aber unsere Wegwerfkultur schreit geradezu nach einer Einwegalternative zum Plastik. Zwei junge Leute aus Neutraubling haben sich ans Werk gemacht: Christian Zippel und seine Frau Liria erfanden den Knusperhalm, einen essbaren Trinkhalm.

Essbesteck. Die Silberbesteckmanufaktur Reiner im schwäbischen Krumbach

Jetzt haben wir einen großen instrumentalen Bogen geschlagen: Von der edlen Virtuosengeige bis zum Esswerkzeug, dessen unbestritten edelste Variante nach wie vor das berühmte Tafelsilber darstellt. In alten Zeiten prunkten und repräsentierten damit die Fürsten aller Lande. Damit zeigten sie gleichzeitig ihre finanzielle Potenz und schreckten damit Böswillige ab, sich mit ihnen anzulegen. Das hatte, wenns dennoch zu einem Krieg kam, den Vorteil, dass man Silberteller- und Besteck buchstäblich verscherbeln, also in Stücke schlagen und in Münzen umprägen kann, um damit teure Söldner zu bezahlen. Letztlich galt das in den vergangenen Jahrhunderten auch für Bürger, die ihr Tafelsilber in Notzeiten gegen Essbares eintauschten. In den langen Friedenszeiten seit dem letzten Krieg aber ist dieser Nutzaspekt des Tafelsilbers deutlich in den Hintergrund gerückt. Damit leider auch die Ästhetik. So kommt es, dass bei der Silbermanufaktur Reiner in Krumbach in Schwaben, die als einzige Manufaktur die große Tradition der europaweit berühmten Augsburger Silberschmiede hochhält, meistens nur noch ein einziger Mann an der Presse steht. Aber noch immer gilt: Mit Silberbesteck speist man nicht nur schöner - man lebt vielleicht sogar länger, weil Silber bekanntermaßen keimtötend wirkt. Vielleicht überlegen Sie sichs also nochmal, ob Sie sich statt der nächsten teuren Reise, die in ein paar Wochen vorbei ist, nicht doch ein Tafelsilber fürs ganze Leben anschaffen.

Zum Schluss

"Es ist einfach, jedes Instrument zu spielen: Sie müssen nur die richtige Taste im richtigen Moment berühren, und das Instrument selbst ertönt", soll Johann Sebastian Bach gesagt haben. Denn die wichtigsten organoi, die wichtigsten Werkzeuge, Instrumente des Menschen - neben der Stimme - sind seine Hände. Am Anfang steht der homo faber, der Handwerker. Zwar benutzen nicht nur die Menschen, sondern auch andere Primaten ihre Hände und mit ihrer Hilfe Werkzeuge aller Art. Allerdings hat kein Tier den Gebrauch von Werkzeugen derart perfektioniert wie der Mensch. Wir alle sind wie der sagenhafte König Midas von Phrygien - alles, was wir berühren, kann zu Gold werden. Zumindest im übertragenen Sinn. Und manchmal brauchen wir nicht mal die Hände. Auch unsere Gedanken können Instrumente sein.


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