Irdenes Statussymbol Weißes Gold aus Nymphenburg
Verspielt oder schlicht, handbemalt oder natürlich weiß. In der 275-jährigen Geschichte der Nymphenburger Porzellan-Manufaktur finden sich viele Ausdrucksformen des edlen Guts. Die Geschichte begann dabei mit einem Verrat.
Mitte des 18. Jahrhundert war der Wittelsbacher Kurfürst Max Joseph III. hingerissen von Porzellan. Er hatte eine Enkelin August des Starken geheiratet und wollte eben genauso wie sein Schwiegervater in Meißen eine eigene Manufaktur haben.
"Er hat deswegen, ohne dass er wusste, wie es wirklich geht, einfach eine gegründet", erzählt Katharina Hantschmann vom Bayerischen Nationalmuseum in München. In Neudeck, einem Jagdschlösschen, das vor den Toren Münchens im heutigen Stadtteil Au lag, heute jedoch nicht mehr existiert, dauert es sieben lange Jahre bis die "Churfürstliche Porcelain Fabrique" das Arkanum, also das Geheimnis der Porzellanherstellung, enträtseln kann. Mitarbeiter der Meissener Porzellanmanufaktur flohen und verrieten ihre bis dahin streng gehüteten Kenntnisse: Endlich wusste man in Neudeck um die Kunst der Rohstoffmischung. Die relativ hohe Brenntemperatur brachte nach unzähligen Fehlbränden erste Erfolge.
Und dann ging auf einmal alles ganz schnell:
Im August 1754 trägt das Neudecker Porzellan erstmals eine Marke: das kurfürstliche Wappen, den mit einem Blindstempel eingedrückten Rautenschild. Bis heute darf er auf keinem Stück fehlen.
Franz Anton Bustelli und seine Liebe zu Figuren
Der Tessiner Bildhauer Franz Anton Bustelli war ein absoluter Gewinn für die Manufaktur, sozusagen der erste Designer - ihm werden viele weitere folgen. Noch heute gelten seine Schöpfungen als Inbegriff des galanten Rokokos. Im Bayerischen Nationalmuseum in München, kann man alle 16 Originale der Comedia dell'arte Figuren, von denen es weltweit etwa nur 30 Stück gibt, bestaunen.
Ein Meister seines Fachs
Katharina Hantschmann, Leiterin der Keramikabteilung am Bayerischen Nationalmuseum München, spürt, wie genau Bustelli die Eigenschaften von Textilien auf Porzellan überträgt: "Man sieht wie die Röcke geradezu rauschen, die Seidenstoffe, so dass man die Damen mit ihren schmalen Taillen in der Bewegung extrem elegant, extrem grazil wirklich wunderbar beobachten kann."
Katharina Hantschmann hat ihre Doktorarbeit über das Nymphenburger Porzellan geschrieben und schwärmt auch 30 Jahre später von der Besonderheit des Materials: "Es ist ein geniales Material, das der Mensch erfunden hat. Gerade beim Verzehr von Speisen und Getränken ist das Porzellan unschlagbar. Der Tee entfaltet seinen Geschmack viel besser in so einer dünnen, durchscheinenden Tasse. Das müssen Sie mal ausprobieren, das ist wirklich ein Unterschied!“
Teekenner setzen auf Porzellan
Wer seinen Afternoon-Tee ernst nimmt, der kommt um eine Porzellantasse nicht herum. Ingrid Harding, Leiterin der Produktentwicklung in der Nymphenburger Manufaktur, bittet Gäste auch mal zum Tee und serviert den grünen Tee dann in einer Cumberland-Tasse, geschmückt mit dem aufwändigsten Blumendekor, das man in Porzellan überhaupt verwirklichen kann. Da es damals als verpönt galt frische Blumen als Dekoration bei Tisch zu verwenden - könnten sie doch während des Essens verwelken - entwarf ein gewisser Joseph Zächenberger 1765 eine festliche und farbenfrohe Bemalung, eingefasst von einer feinen Goldspitzkante. Bis ein Teller aus dieser Serie fertig bemalt ist, üppig verziert mit Blumen, Schmetterlingen und Käfern, können drei Wochen vergehen. Diese Handarbeit hat auch ihren Preis: Eine Tasse kostet zusammen mit der Untertasse über 4.400 Euro.
So zerbrechlich sie wirkt, so robust sei sie, meint Ingrid Harding: "Man muss nicht so aufpassen. Wir müssen Diamantpapier nehmen um Porzellan zu Schleifen. Es hält viel aus, aber Anstoßen in der Spülmaschine ist nicht gut. Die ist eigentlich unser größter Feind."
In der Massemühle am Schlossrondell von Nymphenburg
Die Porzellanmanufaktur in Neudeck zog 1761 ins Nördliche Schlossrondell nach Nymphenburg und hat seitdem hier ihren Sitz. Weltweit ist sie die einzige Porzellanmanufaktur, in der jeder Produktionsschritt immer noch von Hand erledigt wird: "Manu Factum" wird hier ernst genommen. Circa 20.000 Farben und Formen, selbst die verwendete Porzellanmasse wird in den eigenen Werkstätten hergestellt. Einzig die Brennöfen werden elektrisch betrieben. Ein Abzweiger der Würm versorgt die Drehscheiben, die großen Mahltrommeln und die Rührbottiche der Massemühle über ein kleines Turbinenhaus mit Energie. Hier nimmt alles seinen Anfang, die Rohstoffe Quarz, Feldspat und Kaolin werden in einem ganz bestimmten Mischungsverhältnis 15 Stunden lang gemahlen: Stabmagneten entziehen der Masse den feinen Eisenstaub, das ist ganz wichtig, ansonsten entstehen Flecken nach dem Brand. Ein riesengroßer Quirl rührt unaufhörlich, damit sich die Rohstoffe nicht absetzen. Zwei Jahre wird die Masse sorgfältig gelagert und gepflegt, bevor sie auf Drehscheiben und in Formen landet.
Handgedrehte Teller und schwarzes Porzellan
Josef Knipfer arbeitet seit bald 40 Jahren als Dreher in Nymphenburg. Vor ihm liegen Teller, die schon gedreht wurden, aber teilweise noch nicht versäubert sind und deshalb auf ihren ersten Brand noch warten müssen. Gerade experimentiert er mit schwarzen Farbkörpern für Schnapsflaschen. Schwarzes Material verhält sich anders als weißes.
Sein Kollege Christian Furtmeier hat gerade einen Teller gedreht, rein von Hand versteht sich. Dadurch wird der Scherben viel feiner ausgeformt. Auf einer Gipsform erhält er dann seine endgültige Gestalt. Circa 20.000 verschiedene klassische und zeitgenössische Formen kann die Manufaktur vorweisen. Mit einem Naturschwamm versäubert Christian Furtmeier den Teller. Rillen oder jede noch so kleine Unebenheit würden sich nach dem Brand bemerkbar machen, erst wenn der Teller perfekt aussieht, darf er in den Ofen, betont Christian Furtmeier. Vorher bekommt er aber noch eine Signatur. Jeder Dreher hat seine eigene.
So ist auch Jahrzehnte später klar, wer den Teller gedreht und bemalt hat, denn auch die Porzellanmalerinnen und Porzellanmaler bekommen Nummern.
Wer hier in die Lehre geht, der bleibt
Die Nymphenburger Manufaktur bildet nur aus, wenn sie Nachwuchs braucht. In diesem Herbst haben drei neue Auszubildende begonnen, eine von ihnen ist Angelika Sarcher. Sie lernt gerade eine Figur zusammen zu setzen. Mit Schlicker, der verflüssigten Porzellanmasse werden Füße, Kopf, Körper und Rüssel zusammengefügt. Es gibt so komplexe Stücke, die aus über 100 einzelnen Formen bestehen. Am Ende wird der Elefant so aussehen als wäre er aus einem Stück gegossen: die hohe Kunst des Bossierens.
Zuletzt haucht Angelika Sarcher dem Elefanten Leben ein: mit kleinsten Modellierwerkzeugen formt sie Falten in die Elefantenhaut, geduldig arbeitet sie an seinen Gesichtszügen, verschmitzt schaut der Elefant jetzt drein. Er trägt ihre persönliche Handschrift und geht noch durch weitere Hände, der Elefant wird bemalt und glasiert, am Ende kostet er fast 900 Euro.
Übernahme durch chinesische Investoren vereitelt
Prinz Luitpold von Bayern im Innenhof der Manufaktur - neben ihm einer der Gelbbrustaras von Josef Wackerle
Im Jahr 2011 sah es zwischenzeitlich nicht gut aus, über Jahrzehnte waren notwendige Investitionen ausgeblieben, das Unternehmen schrieb rote Zahlen. 2011 übernahm Prinz Luitpold von Bayern die Manufaktur vom Wittelsbacher Ausgleichsfonds in seinen Privatbesitz, kurz bevor die Chinesen kaufen wollten: Ein Krimi, wie er sich erinnert. Er will gar nicht gern als Retter des Porzellans gesehen werden, gibt aber zu, dass es knapp war: "Wenn die Chinesen gekauft hätten, hätten sie wahrscheinlich erst einmal das Knowhow abgezogen und es dann nach China verlegt. Ich finde einfach, dass man einen wirklich bedeutenden, kunstgewerblichen Betrieb, der 275 Jahre existiert und der ganz eng mit der bayerischen Geschichte verbunden ist, nicht fallen lassen kann."
Der Sammler sagt: Ein Stück Lebenskultur
Bernd-Michael Andressen ist Journalist, Buchautor, Kunstsammler und wie er selbst sagt: "Genießer". Über 30 Jahre lang war er an der Seite seines verstorbenen Partners Alfred Ziffer, Kunsthistoriker und ebenfalls leidenschaftlicher Nymphenburg-Sammler von seltenen Gefäßen und Designerstücken. Er hat ein Stück von Ruth Gurvich, das es nur dreimal gibt und gibt zu: "Wenn's nicht so leicht kaputt gehen würde, würde ich damit ins Bett gehen, weil ich die Sachen so schön finde."