Historische Kulturlandschaft Bayern Auf der Jagd nach unentdeckten Schätzen
Bayern ist eine historische Kulturlandschaft. Sie kann viel erzählen – davon, wie die Menschen in früheren Jahrhunderten gelebt und gearbeitet haben. Ehrenamtliche sind unterwegs, um Zeugen der Vergangenheit zu finden, zu kartographieren und das, was über sie bekannt ist, aufzuschreiben.
Ein jahrhundertealter Hohlweg im Wald, ein verlassener Felsenkeller am Ortsrand oder ein stillgelegtes Bergwerk: Bayern ist voll von historischen Kulturlandschaftselementen. Sie können viel erzählen – davon, wie die Menschen in früheren Jahrhunderten gelebt und gearbeitet haben. Ein EU-Projekt hat sich 2018 vorgenommen, diese oft unentdeckten Schätze zu heben.
Ehrenamtliche in Mittelfranken, Oberfranken und der Oberpfalz sind unterwegs, um diese Zeugen der Vergangenheit zu finden, zu kartographieren und das, was über sie bekannt ist, aufzuschreiben. Dieses Wissen wird dann in einer Datenbank gesammelt und veröffentlicht. Wir wollen erzählen von der Arbeit der Ehrenamtlichen; davon, was sie antreibt, von ihren Erfolgen und auch von den Schwierigkeiten beim Versuch, historische Kulturlandschaften zu bewahren.
"Das sind Zeugnisse der Vergangenheit, die keinen Schutzstatus haben. Es ist wichtig, die der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Dadurch, dass wir sie in einer Datenbank sammeln und erfassen, sind sie für jeden zugänglich. Man schützt sie dadurch indirekt."
Sabine Denzlein, Landesamt für Denkmalpflege
Wilde, unberührte Naturlandschaften gibt es kaum noch in Bayern. Überall finden sich die Spuren menschlichen Wirkens. Felder, Wiesen und Wälder werden seit Jahrhunderten bewirtschaftet und kaum sich selbst überlassen. Selbst da, wo wir den Eindruck haben, dass die Natur unberührt ist, wurde früher einmal gearbeitet.
Wer genau hinschaut, kann diese Spuren noch erkennen. Eine frei stehende imposante Eiche auf einer Wiese kann zum Beispiel auf einen ehemaligen Hutanger hindeuten, also ein Weide, auf der früher Schweine gehütet wurden. Terrassen an einem Berghang sind vielleicht ein Hinweis, dass hier einmal Wein angebaut wurde.
"Erfassung historischer Kulturlandschaftselemente"
Doch diese historischen Landschaftsmerkmale werden ständig überformt. Durch die Flurbereinigung, durch den Siedlungs- oder Straßenbau gehen sie unwiederbringlich verloren. Um dem Einhalt zu gebieten, hat die Europäische Union drei Jahre lang knapp 300.000 Euro an Fördergeldern investiert – in die "Erfassung historischer Kulturlandschaftselemente", so der Titel des Projekts, an dem sich mehrere Landkreise in Mittel- und Oberfranken sowie in der Oberpfalz beteiligen. Denn nur, was man kennt, kann man vor der Zerstörung bewahren. Getragen wird das Projekt durch viele Freiwillige, die ihre Freizeit den alten Zeugnissen unserer Kulturlandschaft widmen.
Das Kreuz markiert den Punkt
Das Steinkreuz am Lechle zum Beispiel. In Feucht, südlich von Nürnberg, steht in einer kleinen Parkanlage – Am Lechle genannt – ein wuchtiges und zugleich schlichtes Sandsteinkreuz. Etwa einen Meter ist es hoch, mit Moos überwachsen. Warum steht es hier? Wozu diente es, und wer hat es aufgestellt? Johannes Znotins aus Feucht ist diesen Fragen nachgegangen. Er ist sich sicher, das Sandsteinkreuz ist ein so genanntes Sühnekreuz. Wahrscheinlich ist genau an dieser Stelle einmal ein Mensch zu Tode gekommen. "Es kann sein, dass derjenige ermordet wurde", sagt Znotins. "Oft waren es nur – in Anführungszeichen – Streitereien zwischen Handwerksgesellen. Oder es war ein Unfall, der durch landwirtschaftliche Nutzung herbeigeführt wurde."
Am Sühnekreuz sollten die Vorbeikommenden anhalten, dem Toten gedenken und ein kleines Gebet sprechen. Bei einem Gewaltverbrechen wurde das Kreuz oft im Rahmen eines Sühnevertrags aufgestellt. Solche privaten Verträge zwischen Täter und Opferfamilien gab es bis ins 16. Jahrhundert. Sie regelten unter anderem die finanzielle Entschädigung für die Hinterbliebenen des Opfers. Und manchmal war es Teil des Vertrags, dass der Täter am Tatort ein Kreuz aufstellen musste.
Weinende Frauen und Pudel mit feurigen Augen
In detektivischer Kleinarbeit macht sich Johannes Znotins in Archiven und Bibliotheken auf die Suche: Ist am Lechle tatsächlich ein Mord passiert? Er stößt auf eine alte Überlieferung: Genau an dieser Stelle soll im Jahr 1410 ein Georg Fleck aus Ezelsdorf einen Mitbürger namens Ulin Schuh erschlagen haben. Um das alte Steinkreuz ranken sich seither mysteriöse Geschichten, erklärt Znotins: "Gerade in dunklen Zeiten hat man bei so einem Kreuz und der Tat dahinter etwas Fantasie walten lassen. Dann haben manche Leute – gerade an diesem Kreuz hier – Frauen weinen hören oder glühende Kohlen gesehen. Oder an dem zweiten Kreuz hier in Feucht einen Pudel mit feurigen Augen sitzen sehen, der den Teufel symbolisiert. Diese Geschichten sind durch Erzählen und Weitererzählen immer mehr ausgeschmückt worden und zum Teil bis heute überliefert worden."
"Jede Sage hat auch einen Funken Wahrheit"
Znotins ist Mitglied im "Arbeitskreis Chronik Feucht". Dort hört er vom EU-Projekt zur Erfassung historischer Kulturlandschaftselemente. Er wird einer der rund 80 Ehrenamtlichen des Projekts. Das Aufspüren und Erforschen von Sühnekreuzen ist sein Spezialgebiet. Er ist fasziniert von den dunklen Geheimnissen, die die Kreuze umgeben. Zum einen, weil er darin so etwas wie historische Krimis sieht, mit Mord und Totschlag oder Unfällen, wo Schicksale dahinterstecken. Und zum anderen seien sie auch mit Sagen verbunden, sagt Znontis: "Jede Sage hat auch einen Funken Wahrheit. Und diese Kombination aus Sage und wahrer Geschichte fasziniert mich und hat mich dazu bewogen, mich damit zu befassen."
Oft verfallen diese steinernen Zeugen. Niemand kümmert sich um den Erhalt der Sühnekreuze – sie verwittern und zerbrechen. Das Sühnekreuz am Lechle in Feucht ist inzwischen dokumentiert und in seinem Bestand gesichert – auch dank der Arbeit von Johannes Znotins.
"Jedes Kulturlandschaftselement hat seine eigene Geschichte", sagt Thomas Büttner, Leiter des Projekts "Erfassung historischer Kulturlandschaftselemente". Und die sei immer verknüpft mit den Menschen vor Ort. "Wenn ich weiß, von was die Menschen gelebt haben, dass sie zum Beispiel die Wiesen gewässert haben, wie sie Streuobst angebaut haben, auf welche Weise sie den Wald bewirtschaftet haben, dann versteht man erst, wie Landschaft entstanden ist, mit welcher Mühe und Arbeit die Leute gewirtschaftet haben und in die Landschaft hineingewirkt haben", so Büttner. Das sorge auch für Respekt vor dem, was die Menschen geschaffen haben.
Ein historischer Weg droht zu verschwinden
Ein anderes Beispiel ist der Heuweg vom Winnberg. Josef Guttenberger, Kreisvorsitzender des Bund Naturschutz im Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz, steht am Eingang einer atemberaubend schönen Schlucht. Sie ist Teil eines Jahrhunderte alten Wirtschaftswegs, der von Sengenthal hinauf auf den Winnberg führt. Er wird Heuweg genannt.
"Das Wort Heu kommt nicht vom Heu, vom trockenen Gras, sondern das ist ein Weg, der in den Wald führt, zu einem Gehau, wo Holz gehauen worden ist", erklärt Guttenberger. "Wenn Sie da runterschauen, sehen Sie die steilen Wände rechts und links" Es sind Sandsteinwände, bis zu sechs Meter hoch. Eine richtige Schlucht. "Es ist wunderbar hier für Wanderer, es fahren auch Mountainbiker durch, ist einfach eine Idylle. Es gibt viele Hohlwege inmitten vom Dogger-Sandstein, aber das ist einer der schönsten weit und breit." Früher benutzten nicht nur die ansässigen Bauern den Weg. Einst soll er ein viel befahrener Postweg derer von Thurn und Taxis gewesen sein.
Lkws statt Pferdekutschen
Doch nun droht der Hohlweg zu verschwinden – zumindest in seiner jetzigen Form. Die Waldbesitzer wollen ihn ausbauen lassen, um den Wald besser bewirtschaften zu können. Denn Klimawandel und Borkenkäfer haben Schäden hinterlassen. Viele kranke und kaputte Bäume müssen aus dem unwegsamen Gelände am Winnberg herausgebracht werden. Das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Neumarkt hat mit den Planungen für den Wege-Ausbau begonnen.
Derzeit würden Traktoren mit Seilwinde genutzt, um die Stämme einzeln den Hang hochzuziehen, denn nach unten verhindert die Bahnlinie Nürnberg-Regensburg den Transport, erklärt Amtsleiter Harald Gebhardt. "Geplant ist jetzt, diesen Weg Lkw-fahrbar auszubauen – in Bereichen zu verbreitern, aber auch im Niveau zu verändern, weil starke Steigungen vorhanden sind, die man für so einen Weg nicht umsetzen kann. Das Gelände muss also nivelliert werden. Und dann würde er auch befestigt, damit ein Lkw fahren kann, also sprich geschottert."
"Erleben in der Natur gehört der Allgemeinheit"
Als die Pläne bekannt werden, regt sich Widerstand. Naturschützer und Anwohner organisieren Protestaktionen gegen den Ausbau. Im Sengenthaler Gemeinderat kocht die Stimmung hoch. "Das Erleben der Natur, das Fühlen und Sehen, das ist Allgemeingut", appelliert Josef Guttenberger vom Bund Naturschutz an die Verantwortung der Waldbesitzer. "Wenn ich irgendwo durchwandere und finde ein schönes Fleckchen, dann freue ich mich daran und es gibt mir eine innere Beruhigung. Da ist mir das egal, ob das Privatbesitz ist oder Allgemeinbesitz. Dieses Erleben in der Natur gehört der Allgemeinheit, insofern hat jeder Privatmann, der Allgemeingut in der Natur besitzt, auch eine gewisse Verantwortung."
Es ist zum Haare Raufen: Im Rahmen eines EU-Projekts fließen mehrere hunderttausend Euro in die Erhaltung historischer Kulturlandschaften. Und gleichzeitig soll ein Hohlweg mit einer idyllischen Sandsteinschlucht einem Schotterweg für Lkws weichen. Projektleiter Thomas Büttner kennt diese Art von Konflikten.
"Die Landschaft muss sehr viele Ansprüche erfüllen und befriedigen. Es ist ganz normal, dass es zu Interessenskonflikten kommt. Da wäre es für uns wichtig, dass man in einen offenen Dialog kommt und alle Varianten anspricht, nicht nur das Wirtschaftliche, die berechtigten Interessen der Forstwirtschaft, sondern ganz gezielt auch darauf zu hören, welche Bedeutung hat dieser Weg für die Menschen vor Ort. Was verbinden die Menschen damit? Geht für sie mit dem Ausbau vielleicht ein Stück Heimat verloren. Wenn man über eine Sache offen spricht, bietet sich oft eine Möglichkeit, eine Lösung zu finden. Aber man muss erst den Mut haben, darüber zu reden, und ergebnisoffen darüber zu reden. Und auch die Akzeptanz haben, dass man vielleicht nicht alles zum Guten wenden kann."
Hoffnung für den Heuweg
Am Winnberg haben sich die Wogen zwischenzeitlich geglättet. Josef Guttenberger vom Bund Naturschutz war mit den Waldbesitzern vor Ort unterwegs. Er hat ihnen das Anliegen der Naturschützer erklärt und hat sich die Argumente der Waldbauern angehört. Und das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten versichert, am Winnberg nichts übers Knie zu brechen und mit allen Beteiligten zu reden. Ob der Schotterweg am Ende gebaut wird, und wo genau die Trasse dann verlaufen würde, steht noch nicht fest. Für den Heuweg besteht also zumindest Hoffnung.
Das EU-Projekt zur Erfassung historischer Kulturlandschaftselemente ist 2020 zu Ende gegangen. Die Arbeit der Ehrenamtlichen aber geht weiter. Inzwischen hat der Bayerische Landesverein für Heimatpflege die Betreuung und Koordination übernommen. Der Verein sucht in ganz Bayern noch Freiwillige, die sich mit auf die Suche nach diesen unentdeckten Schätzen machen wollen.