Nachmieter im Gotteshaus Profanierung von Kirchengebäuden
Wenn immer mehr Menschen aus der Kirche austreten, werden irgendwann auch Kirchengebäude nicht mehr gebraucht. Doch für verlassene, oder genauer entwidmete Kirchen gibt es noch andere Gründe. Und was wird dann aus ihnen? Zwei Beispiele aus Franken.
Wären außen an der ehemaligen St. Lukas-Kirche im Coburger Süden nicht ein Kreuz und eine Kirchenglocke angebracht – sie würde als mondäne 70er-Jahre-Villa durchgehen. Mitten in einem Wohngebiet klebt das helle, langgestreckte Gebäude des Architekten Hans-Busso von Busse an einem Hügel.
Erst drinnen kommt spirituelle Stimmung auf – im Kirchenraum sind die Wände teilweise mehr als zehn Meter hoch, die Orgel auf dem alten Holzparkett ist noch vorhanden. Der einst rundherum zugängliche Altar ist schon weg. "Man konnte sich auch hinter den Altar stellen und zur Gemeinde sprechen, was unheimlich vorteilhaft war und in dieser Gemeinde auch gut ankam", erinnert sich Pfarrer Alexander Rosenmeyer. "Die Empore war auch gut, da konnte man die Leute auch oben noch sehen. Vom Raumgefühl war es ein schöner Andachts- und Kirchenraum, in dem man arbeiten konnte."
Nichts prägt die Optik der Kirche mehr als ihre dicken Mauern aus Kalksandstein. Die fast weißen, mit viel Mühe aufeinander gemörtelten Mauersteine – jeder so groß wie ein Schmöker von Karl May – sind innen wie außen unverdeckt. Das zweistöckige Gebäude beherbergte als Gemeindezentrum im unteren Stockwerk Jugendräume und Büros. Kirchenraum, Gemeindesaal und Empfangsbereich oben dienten Gottesdiensten und Gemeindetreffen. Heute steht das 1969 als Kirche gewidmete architektonische Meisterstück unter Denkmalschutz. Seit Juli ist es entwidmet, also keine Kirche mehr.
Lohr am Main: Kapelle ohne Bestimmung
Sie teilt dasselbe Schicksal, doch die Optik ist eine ganz andere bei der Kapelle des Aloysianums am Stadtrand von Lohr am Main. Bis 2003 war hier ein Internat unter der Leitung der Marianhiller Missionare. Jetzt befinden sich in dem 1910 errichteten langgestreckten Gebäude Eigentumswohnungen. Die ebenso alte Kapelle, an der Seite des Gebäudes angebaut, steht leer.
Nach 40 Stufen in einem engen Treppenhaus geht es in hinein in das Ex-Gotteshaus im 2. und 3. Stock. Die Kirchenbänke sind zur Seite gerückt, auf Alter und Orgel liegt Staub. Die Vergoldungen am Altar und an den Stuckarbeiten sind gut erhalten. Durch die bunten Bleiglasfenster strahlt die Sonne in die Kapelle.
Eine einzigartige Atmosphäre. Als der Würzburger Bauunternehmer Christian Bergmann erfahren hat, dass die Kapelle zu verkaufen ist, war er gleich fasziniert: "Ich habe das Objekt gesehen und da bin ich in meine Kindheit verfallen. Als dann die Maklerin gesagt hat, dort soll eine Wohnung entstehen, habe ich gesagt: das kann überhaupt nicht sein! Das Gebäude muss so, wie es ist, erhalten und geschützt werden."
Ob die einstige Kapelle später einer Nutzung zugeführt wird, mit der alle glücklich sind, werden die nächsten Monate zeigen. Sven Johannsen, der Pfarrer der Lohrer Pfarrei St. Michael, beobachtet genau, welche Pläne der Investor verfolgt: "Wenn er Idealist ist, dann kann ich das nur positiv finden. Natürlich hören wir genau hin, was er plant: Ist das auch in Sinne der früheren Nutzung? Widerspricht es nicht den christlichen Grundüberzeugungen? Aber wenn eine Kirche zu einem Ort wird, an dem Menschen auch Ideen ausprobieren, auch etwas zur Gemeinschaft beitragen, dann wünschen wir ihm dafür viel Erfolg."
Coburg: Entscheidung in einem Wimpernschlag
Als ein Immobilienmakler Peter Helm die Coburger St. Lukas-Kirche anbot, war der ebenso fasziniert wie skeptisch. Als er schließlich vor dem Gebäude stand, traf er seine Kaufentscheidung nach nur einem Wimpernschlag. "Das ist genauso wie wenn ich jetzt eine schöne Skulptur oder ein schönes Fahrzeug oder was auch immer sehe, ich bin da sehr spontan", erklärt der Unternehmer aus Kronach. "Und dann sag ich: will ich! Ich war einfach der Meinung, man kann hier aus dem Objekt etwas machen. Ich fand es von außen einfach wunderschön."
Peter Helm und seiner Familie gehören vier Unternehmen, darunter ein Leuchtenhersteller und ein Entwicklungsstudio für PC-Spiele. St. Lukas will Helm aufteilen: Aus den Büros und Gemeinderäumen will er Verwaltungsräume und eine Bühne für Produktpräsentationen und Videogespräche mit Partnern weltweit machen. Und im ehemaligen Kirchenraum wird bald geschraubt: "Dort machen wir definitiv die Montage der fertig entwickelten Produkte. Das heißt, dort werden die Erstmuster von Leuchten aber auch von elektronischen Geräten produziert."
Etwa 34 Menschen sollen bald dort arbeiten, wo früher Gottesdienste abgehalten wurden. Skrupel hat Peter Helm nicht – der spirituelle Geist, der hier einmal spürbar war, scheint mit der Kirchengemeinde ausgezogen zu sein. Es blieben denkmalgeschützte Räume, die der Unternehmer mit einem ganz anderen Spirit füllen wird: Entwicklergeist und Kommunikation zwischen Menschen vieler Nationen.
Weil Peter Helm gerne ein cooles Arbeitsambiente schafft, plant er Sofas an der Wand und einen Billardtisch dort, wo der Altar stand. Moderne Leuchten aus dem eigenen Betrieb werden für Stimmung und Licht sorgen. Aufs Dach kommt Photovoltaik. Viel mehr muss Peter Helm gar nicht ändern – das möchte er auch gar nicht. Als Bauingenieur schätzt und genießt er die einmalige Architektur des ehemaligen Gotteshauses.
Lohr am Main: Keine Party, kein Bordell, keine Disco
Über 500.000 Euro will der Würzburger Bauunternehmer Christian Bergmann in die Renovierung und den Umbau der Kapelle in Lohr stecken. "Wir wollen es als Schulungsraum nutzen oder als Konzertsaal." Der Charakter des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes als Gotteshaus soll dabei aber erhalten bleiben. "Der Stuck bleibt erhalten, die Vergoldungen werden aufgefrischt, die Empore wieder hergerichtet", so Bergmann. "Die Bänke werden eingelagert, aber sechs Stücke bleiben stehen, wenn doch jemand zur Andacht in die Kirche möchte."
"Auf alle Fälle ist keine Party, kein Rotlichtmilieu und keine Disco geplant", bekräftigt der Bauunternehmer. Stattdessen will er auch die Orgel wieder herrichten, was kostspielig werden dürfte. Schließlich will Bergmann künftig auch Orgelfreunden die Möglichkeit geben, auf dem Instrument zu spielen. Noch stehen die Pläne nur auf dem Papier, aber es klingt so, als ob in Lohr Investor, Kirche und Bürger an einem Strang ziehen und die ehemalige Kapelle so gestalten, dass alle mit dem Ergebnis zufrieden sein können. Aber geht das denn überhaupt?
Coburg: Kirche verloren, Sanierung erspart
In Coburg blicken die Gemeindemitglieder und der Pfarrer von St. Lukas mit gemischten Gefühlen auf ihr ehemaliges Gemeindezentrum. Ihre größte Furcht zumindest hat sich nicht erfüllt: ein Abriss der ehemaligen Kirche ist nicht geplant – sie wird bald wieder mit Leben gefüllt sein. Passt es also?
"Es passt. Auch weil Herr Helm dieses Gebäude erhält, so weit es möglich ist", Petra Heeb vom Kirchenvorstand. "Ansonsten sind wir Gottseidank in der glücklichen Lage, mit drei anderen Gemeinden eine Pfarrei zu haben und werden da gegenseitig unterstützt und machen so auch einen zukunftsweisenden Schritt im Kirchenleben und im Gemeindeleben." Laut Pfarrer Rossteuscher lebt Kirche nicht nur von ihren Mauern, sondern von den Menschen – zum Glück, sagt er. "Insofern passt es, auch wenn ich den Schmerz der Menschen hier verstehe, die mit dieser Kirche großgeworden sind."
Weil das Gebäude als solches erhalten bleibt, sind viele Emotionen schon ein bisschen besänftigt, ist sich Pfarrer Alexander Rosenmeyer sicher. Trotzdem sagt er: "Ein Stück fehlt." Andererseits sah sich die Gemeinde der Aufgabe gegenüber, das denkmalgeschützte Gemeindezentrum so zu erhalten, wie die Auflagen es vorgeben: eine millionenschwere Sanierung war nötig. "Das wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, das als Gemeinde zu schultern. Es passt so. Oder als Franke: es bassd scho!"
Lohr am Main: Lieber umgenutzt als ungenutzt
Fragt man die Bürger in Lohr am Main auf der Straße, sind sie sich einig: Eine Nutzung, wie sie für die Kapelle im Aloysianum geplant ist, sei allemal besser als Leerstand. Ein ehemaliges Gotteshaus, das dem Verfall preisgegeben ist? Das wollen sie nicht. Und auch der Lohrer Stadtpfarrer Sven Johannsen hat keine Probleme mit einer "außerkirchlichen" Nutzung des Gebäudes. Doch dabei will er schon unterschieden wissen, wie die Kirche oder Kapelle in der Vergangenheit genutzt wurde.
"Ich denke, man muss da schon unterscheiden: Handelt es sich um eine Kirche, die fest in einer Gemeinde verankert war, wo Taufen und Hochzeiten stattfanden und wo die Menschen Abschied genommen haben von ihren Verstorbenen, oder war es wie beim Aloysianum eine Kirche, die nur einen speziellen Zweck diente?" So oder so ist es aber ein guter Gedanke, eine ehemalige Kirche wieder in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen, so Pfarrer Johannsen weiter.
Wenn die Pläne für die Kapelle in Lohr dann tatsächlich so umgesetzt werden, wie angekündigt, können wohl alle zufrieden sein. Ein Kulturgut wird erhalten und der kirchliche Charakter bleibt – zumindest teilweise.