Neun Jahre ohne Obdach Wie aus Frank Scheidemann der Bahnhofs-Frank wurde
Geboren in der DDR, musste Frank Scheidemann ein Leben lang einen hohen Preis zahlen für seinen Freiheitsdrang. Heute lebt der 64-Jährige in Nürnberg, hat seit neun Jahren kein Obdach mehr. Seinen Ruhestand will er in einem Haus in Sachsen-Anhalt verbringen.
Für die meisten Menschen sind Bahnhöfe Zwischenstationen von A nach B. Für Bahnhofs-Frank ist der Nürnberger Hauptbahnhof viel mehr.
"Ich treff hier viele Freunde, Bekannte, siehe hier, siehe vorne die Gaststätte, dann ist unten der Zeitungsladen, und der Lidl – es ist doch alles da, was ich brauche. Das ist hier meine Welt."
Frank
Das war nicht immer so. Und er war auch nicht immer der Bahnhofs-Frank. So erzählt er seine Geschichte:
"Mein Name ist Frank Scheidemann, ich lebe seit neun Jahren auf der Straße und mein Alter ist 64 Jahre."
Frank Scheidemann
Die Bedienung im Coffeeshop stellt Frank einen Kaffee auf den Tresen – bezahlen muss der Frank nicht.
"Ich habe den Leuten hier mal geholfen in einer brenzligen Situation. Die hatten Stress mit zwei Drogensüchtigen, da bin ich rein, hab gefragt, ob sie Probleme haben, die haben ja gesagt und da hab ich sie rausgeschmissen."
Frank Scheidemann
Der hohe Preis des Freiheitsdrangs
Einen hohen Preis musste "der Frank" indes ein Leben lang für seinen starken Freiheitsdrang zahlen – vor allem als gebürtiger DDR-Bürger. Eine legale Ausreise war ausgeschlossen, erzählt er, der Staat hatte zu viel in ihn investiert
"Erst einmal durch meinen Sport, ich war ja DDR-Meister im Ringen – ich sah ja nicht immer so aus, ich war ja mal jung – und dann war ich bei der Armee. Und ich habe ja Handformer gelernt, das ist ein Spezialberuf, ich kann Stahl gießen, ich kann ihn formen. Die lassen sie nicht gerne gehen."
Frank Scheidemann
Franks Reise beginnt hinter Gittern
Frank geht trotzdem, versucht einen Grenzdurchbruch, wird aufgegriffen und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Es ist der Anfang einer langen Reise, die hinter Gittern beginnt.
"Ich war in Rasnitz, ich war in Naumburg, ich war in Thalisch/Stahlwerk und zum Schluss neun Monate in Karl-Marx-Stadt im Stasiknast."
Frank Scheidemann
Freigekauft von der Bundesrepublik Deutschland
1981 geschieht das Wunder. Am 26. Mai, wenige Tage nach seinem 26. Geburtstag, wird er zusammen mit anderen politischen DDR-Häftlingen von der Bundesrepublik freigekauft.
"Zelle auf, raus, in den Bus einsteigen, Gardine zu bis zur Grenze. Dann bist du durch die Grenzschleuse durch, dann durftest du die Gardinen aufmachen, dann ist da vorne der Beifahrer aufgestanden und hat zu dir gesagt, so jetzt können Sie lachen, weinen oder alles was sie wollen – jetzt sind Sie in der Bundesrepublik."
Frank Scheidemann
Der Zufall bringt Frank nach Nürnberg
Frank tingelt 13 Jahre durch Westdeutschland, lebt in Gießen, Phillipsburg, Hamburg und Stuttgart, arbeitet mal als Stahlarbeiter, mal als Packer im Hafen. 1994 kommt er durch Zufall nach Nürnberg.
"Es gab damals eine Deutschlandkarte und da gab es noch die Spicker mit der Eisenspitze und dann habe ich die über die Schulter geschmissen und der Pfeil ist genau nach Nürnberg gefallen. Und da habe ich gedacht: da fährste hin."
Frank Scheidemann
Seinen ersten Job bekommt er bei der Heilsarmee im Haus Rothstein im Stadtteil Gostenhof.
"Das war früher ein Jugendhotel, das habe ich ja 1994, als ich hierher kam, mit umgebaut. Von da aus bin ich ja dann zur Martina Bussel und habe da gearbeitet als Möbler. Und da war ich von 1994 bis 2002. Von da aus zur Stadt und da habe ich Landschaftsgärtner gemacht, dann hab ich im Klärwerk gearbeitet und da hatte ich bei der Stadt 79 Außenbaustellen und drei Klärwerke."
Frank Scheidemann
Viel Arbeit, viel Verantwortung. Über acht Jahre arbeitet Frank für die Stadt, hat immer wieder Zeitverträge und erhofft sich endlich eine Festanstellung – doch die kommt nicht.
"Obwohl mir das versprochen wurde, wurde ich richtig hingehängt, also nur ausgenutzt. Und dann war meine Zeit vorbei und es sollte die Verlängerung kommen und da habe ich gesagt, nein, ich geh auf die Straße. Will mit euch nichts mehr zu tun haben."
Frank Scheidemann
Seit neun Jahren ohne Obdach
Seit über neun Jahren lebt er nun ohne festen Wohnsitz und irgendwann, im Laufe der Zeit, wird aus Frank Scheidemann der Bahnhofs-Frank. Er bezieht ein kleines Taschengeld und arbeitet ehrenamtlich in der ökumenischen Wärmestube hinter dem Hauptbahnhof.
"Und jetzt läuft ja meine Rente und ich lauere nur noch auf den Bescheid, bis alles durch ist, dann geh ich nach Hause – wo ich hinwill."
Frank Scheidemann
Ein Haus in Sachsen-Anhalt: Franks Plan für seinen Lebensabend
Zuhause, das ist für Frank Scheidemann Droyßig in Sachsen-Anhalt. Dort warten nicht nur seine Geschwister auf ihn, sondern auch ein Haus, das seine Schwester günstig erwerben konnte. Ein renovierungsbedürftiges und großes Haus.
"Ich hab auch viele Freunde hier. Falls die mal kommen, muss ich Platz haben. Vorne sind noch andere Häuser – und wenn hinten die Tür aufgeht, steh ich im Wald. Ich muss da noch viel dran machen, jetzt lohnt es sich nicht mehr rüber, aber im Frühjahr fang ich dann an."
Frank Scheidemann
Nie den Glauben an eine bessere Zukunft verloren
Wenn Frank von seinem Haus erzählt, leuchten seine Augen und es ist beeindruckend zu sehen, dass er trotz allem, was ihm widerfahren ist, den Glauben an eine bessere Zukunft nie verloren hat. Er möchte Tiere halten, Gemüse anbauen und vor allem einen Ort für seine Freunde schaffen, die wie er nicht auf die Sonnenseite des Lebens geworfen wurden. Es wartet viel Arbeit auf ihn, aber daran, sagt Frank, sei er gewöhnt. Nur eines wünscht er sich.
"Gesundheit, so dass ich einen Teil von dem wieder zurückgeben kann, was ich hier von vielen Leuten erfahren habe. Das Gute und die Hilfe. Wo es mir manchmal wirklich dreckig ging und die sagten: Komm, wo liegt das Problem, kann man da was machen? Das ist für mich wichtig. Das zurückzugeben, was ich hier seit 1994 erfahren habe."
Frank Scheidemann