Interview Wie Architektur die Muße fördern kann
In Zeiten wie diesen entdecken wir die Muße wieder. Dabei kann uns auch die moderne Architektur helfen, sagt Professor Dr. Hans Hubert. Er lehrt Kunstgeschichte an der Uni Freiburg. Ein Interview über sogenannte Räume der Muße.
Bayerischer Rundfunk: Herr Hubert, Sie erforschen architektonisch gestaltete Muße-Räume. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?
Hans Hubert: Da muss ich vielleicht ein bisschen weiter ausholen, weil der Begriff Muße-Räume auch im Fach Kunstgeschichte keine selbstverständliche Kategorie ist. Es gibt Architekten, die sich sozusagen davon verabschiedet haben, in bestimmten Stilen, nach bestimmten Konzepten zu bauen. Diese Architekten sagen: Wenn ich eine bestimmte Bauaufgabe habe, dann möchte ich eigentlich eine Atmosphäre schaffen, die dieser Bauaufgabe und den Nutzern dann in diesem Gebäude besonders angemessen ist. Und das hat zur Folge, dass man, wenn man beispielsweise eine Bibliothek errichtet oder eine Badeanlage oder einen Andachtsraum, versucht, sozusagen von einer Atmosphäre, von einer bestimmten Stimmung, die man bei dem Besucher evozieren will, her zu denken und dann die Gestaltungsmittel danach auszuwählen, wie man eben so eine Atmosphäre, so eine Stimmung auslösen kann.
In der Landschaftsarchitektur, in der Gestaltung von Parks zum Beispiel, ist es seit Jahrhunderten auch das Ziel, mußeaffin zu bauen und zu gestalten. Aber wir sprechen jetzt von Gebäuden. Hätten sie ein Beispiel für ein mußeaffines Gebäude?
Zum Beispiel die von Hans Scharoun in Berlin gestaltete Staatsbibliothek am Kulturforum, also in der Nähe vom Potsdamer Platz unter den Badeanlagen. Herausragend ist auch von Peter Zumthor, einem Schweizer Architekten, die Therme in Vals. Das ist ein ganz interessanter Bau. Die meisten Badeanstalten, die wir kennen, sind allerdings eher keine mußeaffinen Räume, sondern sozusagen laute, helle Badeanlagen mit Rutschen und mit Wellenanlagen, wo eigentlich ein ziemliches Spektakel getrieben wird. Also das ist nicht das, was Muße ausmacht. Aber die Therme von Peter Zumthor verzichtet auf alles dieses und versucht, den Menschen das Baden neu zur Erfahrung zu bringen.
In der japanischen Architektur gibt es den Teeweg. Der soll im Sommer ein Gefühl von Kühle schaffen. Der Teeraum soll von allem Unnützen befreit sein, sodass man sich bloß der Teebereitung widmen kann. Ist es so, dass sich die mußeaffine Architektur davon auch etwas abgesehen hat?
Es gibt seit den 1910er und 1920er Jahren ganz, ganz enge Beziehung der modernen Architekten nach Japan und vice versa. Die japanische Architektur setzt auf dieses Minimalistische, wie wir heute sagen würden, das Reduzierte, das auch vielleicht teilweise Asketische. Die japanische Architektur verzichtet auf besonderen Schmuck und auf Ablenkung durch Ausstattungsgegenstände. Sie versucht, auf das Eigentliche herunter zu dimmen. Um das präsent zu machen in einer besonderen Art und Weise. Das sind sicherlich Elemente in der modernen und zeitgenössischen Architektur, die eher schmucklos ist, ornamentlos ist, die minimalistisch ist. Das kommt da zum Tragen, als Überlegung. Und es ist ja auch tatsächlich so, wenn man jetzt an diese Räume der Stille denkt. Die haben im Prinzip nur eine spartanische Einrichtung. Das ist vielleicht der Ort, an dem man sich am besten auf sich selbst konzentrieren kann, auf die eigenen Gedanken, weil man eben keine Ablenkung hat nach außen.
Man ist in Zeiten von Corona ja im Moment oft zurückgeworfen auf die eigene Wohnung, auf den eigenen Raum. Was sollte man denn auf keinen Fall tun, wenn man sich einen privaten Muße-Raum schafft? Was auf der anderen Seite sollte man beachten, damit es ein Muße-Raum wird?
Das ist schwierig zu sagen, weil da auch jeder so seine privaten Vorlieben und speziellen Dinge hat. Also jetzt in der Coronakrise ist es natürlich schwierig, wenn man in einer kleinen Wohnung lebt, mit der ganzen Familie, die jetzt kaum noch raus darf, dass jeder seine Muße-Ecke findet. Das ist ja schon im Normalzustand nicht so ganz einfach. Jetzt in der Moderne – wobei, das hängt natürlich auch von unseren jeweiligen zeitlichen Verhältnisse ab – denke ich, dass eine gewisse Askese der Ausstattung vielleicht ganz sinnvoll ist, weil das einfach dazu führt, dass man nicht andauernd abgelenkt ist, weil man hier hinschaut, dort hinschaut und da hinschaut. Eine äußerliche Ruhe also. Man sollte seinen Muße-Raum vielleicht nicht gerade an einem Ort haben, wo von einer Nachbarwohnung ganz viel Krach herkommt, dass man akustisch gestört ist. Auch olfaktorische Störungen, also Geruchsbelästigungen, sollte man vermeiden. All diese Dinge, die sozusagen störend auf eine eigene Besinnung hinauslaufen könnten, die sollten natürlich vermieden werden. Aber es gibt keine Regel, sondern da hat einfach auch jeder ganz unterschiedliche Vorlieben und verbindet mit der Idee der Muße auch Unterschiedliches, als dass man ganz generell sagen könnte, was funktioniert und was nicht funktioniert.
Würden Sie diese Krise – wir haben ja nun keine andere Wahl – eine Möglichkeit nennen, um Muße zu finden? Oder würden Sie sagen, letztlich ist die Langeweile, ist der Stress, den die Krise auslöst, größer, als dass man wirklich die Möglichkeit hat, hier irgendwo Muße zu finden?
Ich denke schon, dass die Leute, die glücklich sind, dass ihr Gehalt weiterbezahlt wird und die nicht in existenzielle Krisen kommen, aber die vielleicht mehr freie Zeit haben, dass diese Menschen die freie Zeit positiv nutzen können im Sinne einer Besinnung auch auf sich selbst. Dass man vielleicht auch mal überlegt, was man sonst eigentlich so macht im Alltagsstress und in der Hektik und man überlegt, will man da eigentlich vielleicht raus, kann man raus, was könnte man machen, um das besser hinzukriegen und Ähnliches. Für andere Leute, die davon schwerer betroffen sind – also ich denke jetzt gerade an unsere Leute in den Krankenhäusern, die da ganz hart arbeiten unter stressigen Bedingungen: Da ist es mit der Muße, glaube ich, eine Frage, die sollte man lieber gar nicht stellen, weil das denen wahrscheinlich sehr absurd vorkommt.
Herr Hubert, ich danke Ihnen vielmals. Es war ein sehr aufschlussreiches Gespräch für mich. Ich denke, wenn das hier vorbei ist, dann werde ich mich einfach aufs Sofa legen und Muße finden.
Ich wünsche Ihnen viel Glück dabei, Herr Arenz. Und vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person
Professor Dr. Hans Hubert hat Kunstgeschichte, Klassische Archäologie, Philosophie und Bibliothekswissenschaft an der Freien Universität Berlin und an der Technischen Universität Berlin studiert. Seit 2005 lehrt er Kunstgeschichte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Und er erforscht Räume der Muße in der Architektur.