Hörspiel Alexander Kluge: 30. April 1945 (2/2)
Sonntag, 29.03.2015
15:00
bis 16:00 Uhr
BAYERN 2
30. April 1945: Der Tag, an dem Hitler sich erschoss und die Westbindung der Deutschen begann (2/2)
Von Alexander Kluge
Komposition: Hélène Breschand
Bearbeitung und Regie: Karl Bruckmaier
BR 2015
Ursendung
Zur Ursendung
Als Podcast verfügbar im Hörspiel Pool
Wiederholung am Montag, 20.03 Uhr
”Niemand hat einen Überblick über das Ganze”, lässt der Filmemacher und Schriftsteller Alexander Kluge einen seiner Protagonisten gleich zu Beginn seines 2014 erschienen Bandes 30. April 1945 - Der Tag, an dem Hitler sich erschoss und die Westbindung der Deutschen begann feststellen, um anschließend auf gut dreihundert Seiten (unterstützt von seinem Schriftstellerkollegen Reinhard Jirgl) uns eben diesen Überblick über den historischen Wendepunkt zu schenken, den dieses Datum markiert. Kluge tut dies, indem er zum einen den Blick auf seine Jungen-Persona richtet - den 13jährigen Alexander, der eben einen verheerenden Bombenangriff auf seine Vaterstadt überlebt hat, aber viel mehr als am Krieg unter der Trennung der Eltern leidet - zum anderen aber auch die Sieger und Besiegten aufsucht, sich in sie hineinversetzt, schließlich gar dem deutschen Geiste in Gestalt Martin Heideggers seine verwunderte Aufmerksamkeit schenkt und am Ende wie selbstverständlich Geistern begegnet, die, ausgehend vom Blocksberg, den Ungerechten dieses Gemetzels eine Art Stimme verleihen wollen, die sogar ein Ezra Pound noch zu vernehmen in der Lage ist. Die schriftstellerische Methode ist den Klugeschen Lesern und Zuschauern vertraut: In kleinen Erzähleinheiten werden Lebensgeschichten gerafft, Anekdoten ausgebreitet, überraschende Verbindungen geknüpft, die in ihrer Gesamtheit - fein einander ablösend die Tragödie und die Komödie - ein ungemein scharfes Bild von einem bestimmten Thema, von einem bestimmten Zeitpunkt vermitteln können. Wieder und wieder wird eine letztlich poetische Kraft beschworen, die der „Geisterwelt der objektiven Tatsachen“ etwas Uraltes, etwas zutiefst Menschliches entgegenzusetzen hat, eine Widerständigkeit des Erzählens, die aus seinen Büchern eine “Wagenburg der Subjektivität” macht, wie Kluge es einmal an anderer Stelle genannt hat. Und wenn wir uns in dieser Wagenburg zurechtgefunden haben, dann erschließt sich uns Lesern und Hörern vielleicht auch dieses größte Wunder des 20. Jahrhunderts: dass diese ewig kriegführenden Deutschen, dieser Aggressor im Herzen Europas, mit diesem 30. April 1945 die Waffen niederlegt. Und dies nicht aus einem taktischen Kalkül heraus, sondern aus einer bis in die letzten Seelengründe reichenden Erschöpfung, die es möglich macht, ohne Hintergedanken zu kapitulieren - eine große zivilisatorische Leistung, für die Kluge wiederum historische Parallelen anzuführen in der Lage ist, die aber auch etwas von einem Märchen hat: die Deutschen als Hans im Glück, der zwar mit leeren Händen dasteht, der aber von nun an ein anderes Leben führen kann.