hör!spiel!art.mix Céline: Reise ans Ende der Nacht (3/3)
Freitag, 28.02.2014
21:05
bis 23:00 Uhr
BAYERN 2
Reise ans Ende der Nacht (3/3)
Die Zukunft unserer Vernunft
Von Louis-Ferdinand Céline
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Mit Felix von Manteuffel, Florian von Manteuffel, Rainer Bock, Eva Gosciejewicz, Katharina Schubert, Kornelia Boje, Marina Galic, Laura Maire und Peter Fricke
Komposition: zeitblom
Bearbeitung: Michael Farin
Regie: Ulrich Lampen
BR 2008
artmix.galerie *
Urban Prayers: Stadtraum, Theater, Hörspiel
Björn Bicker im Gespräch mit Christine Grimm
* Als Podcast verfügbar
Bardamu, Held, besser Anti-Held dieses gewalttätigen Antikriegsromans, gerade noch dem blutigen Gemetzel des Ersten Weltkriegs entkommen, muss schon bald feststellen, dass auch die Heimatfront allerlei Gefahren birgt. Nahtlos geht sein Albtraum in der Pariser Etappe weiter: ein Ende der kruden Selbstzerfleischungen der menschlichen Spezies ist nicht in Sicht. Durch eine eher unfreiwillige ‚Flucht’ in die Psychiatrie, wo ihm ausgerechnet der verlorengegangene Patriotismus aufs eifrigste und mit den neuesten wissenschaftlichen Methoden eingebläut wird, vermag er zumindest dem erneuten Kriegseinsatz zu entgehen - für einen Moment. Danach bleibt ihm nur, schnell weiter zu reisen - nach Afrika.
Beeindruckend ist nicht nur die nihilistische Radikalität von Célines Welt- und Werteverachtung, sondern auch sein revolutionäres Umsetzen gesprochener Sprache in hochrangige Prosa, sein Mix aus Pariser Argot, aus Hochsprache, Fachsprache und ideologischen Worthülsen: Schriftsprache und zerbrochene Sätze, Grobheiten und feinste Satire, wohlanständige Sprechblasen und tiefschürfende Unmittelbarkeit prallen nahezu ungeschützt aufeinander und erzeugen einen unwiderstehlichen Sog, einen Drive, der die Sprache sprengt und dadurch freisetzt.
Wie ein Meteorit schlug Célines Erstling im Jahre 1932 ein. Von der Kritik sogleich als ein Meisterwerk der französischen Literatur begriffen - und auch als Meisterwerk der Weltliteratur - , galt sein Autor, mit bürgerlichem Namen Louis-Ferdinand Destouches (1894- 1961), fortan als einer der bedeutendsten Autoren des Zwanzigsten Jahrhunderts. Und das, obwohl er später forsch und uneinsichtig die Abwege des schlimmsten Antisemitismus’ betreten sollte. Auch heute noch erfüllt Célines gewaltiger Roman Voyage au bout de la nuitall die zahllosen, ihm zugeschriebenen Attribute mühelos mit Leben: Er lässt sich als Monument menschlicher Zerrissenheit lesen wie auch als Hymne auf die Anarchie, als Tirade auf den Ekel wie als permanente Ohrfeige für jeden und alles, als bombastische Dekonstruktion aller Werte oder, wie Céline selbst schrieb, gar als Zeugnis eines kompletten Deliriums.