radioThema Mythos "Stunde Null"

Ein deutscher Kahlschlag?
Von Niels Beintker und Martina Boette-Sonner
Siehe auch "radioWissen" am Freitag, 9.05

Angeblich war alles vorbei. Ein konsequenter Neuanfang, politisch, gesellschaftlich und kulturell, nach zwölf barbarischen Jahren. Tabula Rasa, Schlussstrich, eine Stunde Null. Und danach die deutsche Teilung, der Beginn einer geteilten und politisch kontroversen Auseinandersetzung und Erinnerungskultur. Längst haben Historiker das Bild von der Stunde Null als großen Mythos entlarvt. In der Bundesrepublik standen die späten 40er und 50er Jahre nicht im Zeichen einer umfassenden Aufklärung, sondern vielmehr in dem von Amnestie und Integration der nationalsozialistischen Funktionsträger, der unendlich vielen Mitläufer und Täter. Der demokratische Neuanfang der BRD war - mit den Worten des Zeithistorikers Norbert Frei - verbunden mit einer „Bewältigung der frühen NS-Bewältigung“. Das Ende 1949 vom Deutschen Bundestag verabschiedete Straffreiheitsgesetz etwa ist in dieser Perspektive ein Meilenstein in der traurigen Geschichte des Verdrängens gewesen.
Die andere Hälfte Deutschlands, die DDR, verstand sich hingegen als Gralshüter des Widerstands und als ein Land, das auferstanden aus Ruinen, ein besseres, ein explizit antifaschistisches Deutschland werden sollte. In verschiedenen Künsten - und in beiden Teilen Deutschlands - wurde die vermeintliche Stunde Null von Anfang an kritisch thematisiert und hinterfragt oder mehr noch, man denke an Arno Schmidt, lustvoll zertrümmert. Ebenso haben wichtige Autoren in der DDR - Bertolt Brecht oder später Christa Wolf - das Bild eines radikalen Neuanfangs pointiert hinterfragt. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema und seinen Dimension - das Verschweigen von Schuld und Verantwortung für eines der schlimmsten Menschheitsverbrechen - hält bis heute an. Für das radioThema dokumentieren Martina Boette-Sonner und Niels Beintker einige Stationen der künstlerischen Beschäftigung mit der Stunde Null. Eine Revue über großes Theater, Kino und die Literatur…