hör!spiel!art.mix Wolfgang Müller: Intervallum
Freitag, 28.10.2016
21:05
bis 22:30 Uhr
BAYERN 2
Intervallum
Eine Hommage an die Pause
Von Wolfgang Müller
Mit Claudia Urbschat-Mingues, Chris Dreier, Charlotte Simon, Felix Müller, Wolfgang Müller, Ernst Mitzka und anderen
BR 2016
Ursendung
Als Podcast verfügbar im Hörspiel Pool
Die intermediale Künstlerin Valeska Gert
Christine Grimmim Gespräch mit Wolfgang Müller (Künstler)
Als Podcast verfügbar im Hörspiel Pool
In einem 1928 publizierten Buch über Valeska Gert finden sich 26 Tanzfiguren, die von der Tänzerin selbst ausgeführt werden: Tod, Nervosität, Sport, Vergnügte Verzweiflung, Canaille, Alt-Paris, Zirkus und auf Seite 48 ein ganzseitiges Foto mit dem Titel Pause. Die 1892 in Berlin geborene Valeska Gert beschäftigte sich während der Zwanziger Jahre intensiv mit den Brüchen der Moderne. Dabei setzte sie sich mit dem Unmittelbaren, Übersehenen, Vergessenen, Unwiederholbaren, Alltäglichen und Verdrängten auseinander. Was in jener Zeit Walter Benjamin in der Sprache erforschte, nämlich das begrifflich nicht Fixierbare dennoch sprachlich einzuholen, das unternahm Valeska Gert mit dem Körper und seinen Bewegungen. Vom modernen Tanz ausgehend, erweiterte sie die Grenzen des noch jungen Genres mit sogenannten Tontänzen sowie mit Prä-Formen von Vokal-Art, Happening und Performance. Die Art und Weise, mit der die Avantgardistin die Fragmente ihrer Beobachtungen zu neuen Einheiten zusammenfügte, machte diese in grotesker Gestalt oft erst wahrnehmbar. Valeska Gert: "Transparenz bedeutet: Das Reale wird durchsichtig. Ich vergeistige Stoff."
Gerts Tanzfigur Pause diente Wolfgang Müller als Anregung für sein Hörspiel Intervallum - eine Hommage an die Pause. In seiner akustischen Exkursion
setzt Müller zum einen Valeska Gerts wenig bekanntes Tanzkonzept Pause aus dem Jahr 1919 in Beziehung zu einem anderen radikalästhetischen Kunstwerk des 20. Jahrhunderts: Marcel Duchamps berühmtes Objekt Fountain aus dem Jahr 1917. Beide Kunstwerke sind ausschließlich über Reproduktionen in Form von Fotografien, Druckwerken und Sprache überliefert. Zum anderen nähert sich Müller Valeska Gert mit künstlerischen Mitteln und stellt ihr kompromissloses und visionäres Schaffen in einen zeitgenössischen Kontext. Er erinnert an eine Musik(er)pause, die er 1984 mit seiner Gruppe "Die Tödliche Doris" während einer Modenschau in Westberlin inszenierte. Sie war zugleich Arbeits- und Vesperpause. Mit einer poetischen Logopädin trainiert Müller die Stimmbänder mit Sätzen voll kurzer oder langer Pausen, er spricht mit einem Zeitzeugen über die Künstlerin Valeska Gert und ein Song aus Geräuschen des WCs bei der Toilettenpause im ICE leitet über zu den 361 Sprechpausen in Andy Warhols Roman A von 1969. Mit Wortfragmenten aus diesem Roman füllte 1982, vier Jahre nach dem Tod von Valeska Gert, Die Tödliche Doris ihren Song In der Pause. Rastlose Stimmen suchen Orte der Freiheit.
Wolfgang Müller, Jahrgang 1957, lebt in Berlin. Autor, Musiker, Bildender Künstler und Gründungsmitglied der Gruppe "Die Tödliche
Doris" (1980-87). 1987 Teilnehmer der documenta 8, Kassel. Werke u.a.: "Neues von der Elfenfront - Die Wahrheit über Island" (2007), "Subkultur Westberlin" 1979-1989. "Freizeit" (2014). BR-Hörspiele u.a. "hörspiel/unerhört" (1994), "Das Dieter Roth Orchester spielt kleine wolken, typische scheiße und nie gehörte musik" (2006), "Séance vocibus avium" (2008, Karl-Sczuka Preis 2009), "Wísk niwáhsen wísk …oder Learning Mohawk in fifty-five minutes" (2010), "Séance 2. Ein Gebärdenspiel" (2013).