Schlagwerk Rhythmuskultur in Franken
Er – oder sie – sitzt fast immer ganz hinten, wird wenig beachtet und oft unterschätzt, hält aber den ganzen Laden am Laufen. Der Schlagzeuger oder die Schlagzeugerin. Anlass genug, ihnen die Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen, die ihnen gebührt – mit besonderem Blick auf Franken.
Die Firma Meinl in Gutenstetten im Landkreis Neustadt a.d.Aisch-Bad Windsheim stellt Schlagzeugbecken her. Um die 330.000 davon entstehen hier pro Jahr, der größte Teil für den weltweiten Export. Jedes dritte Becken, das irgendwo auf der Welt gespielt wird, stammt aus Franken.
Angefangen hat die Produktion ganz klein, in einer Kellerwerkstatt in Neustadt a.d.Aisch. Dort begann Firmengründer Roland Meinl, gelernter Instrumentenbauer aus dem Sudetenland, 1951 als Ein-Mann-Betrieb mit der handwerklichen Herstellung von Schlagzeugbecken.
Heute hat Meinl Produktionsstätten und Vertretungen in mehreren europäischen Ländern und den USA, doch der Hauptsitz des in dritter Generation familiengeführten Unternehmens ist und bleibt Franken.
"Viele unserer Mitarbeiter kommen aus dem näheren Umkreis und sind seit vielen Jahren hier beschäftigt. Ich und andere meiner Kollegen, wir sind in der Gegend hier verwurzelt."
Norbert Saemann
Norbert Saemann ist seit dreißig Jahren bei Meinl. Seit zwanzig Jahren pflegt er die Kontakte der Firma zu den Musikern weltweit. Seit 2005 organisiert er außerdem das Meinl Drum Festival, zu dem zuletzt rund 2.500 Schlagzeuger und Besucher aus 22 Ländern anreisten. Saemann kann alle Schlagzeuger nennen, die auf Meinl spielen – aus der internationalen Szene ebenso wie aus der regionalen. Dazu gehören unter anderem Wolfgang Haffner, Gerwin Eisenhauer, Anika Nilles, Christian Benning oder Flo Dauner von den Fantastischen Vier, Sarah Jones aus England oder Chris Coleman aus den USA.
Wolfgang Haffner in concert
Schlagzeuge aus Franken kommen aber nicht nur von grßen Unternehmen, sondern auch aus ambitionierten Klein- und Kleinstwerkstätten. Zum Beispiel der von Holger Reith in Hammelburg im Landkreis Bad Kissingen. Seine Werkstatt Handmade Drums noch immer ein Ein-Mann-Betrieb. Reith ist Hobbyschlagzeuger und als Schreinermeister bei der Bundeswehr beschäftigt. Nach Feierabend und am Wochenende widmet er sich dem Trommelbau.
"Des Ganze hab ich 2007 angefangen. In Frankfurt gibt's, parallel zur Musikmesse, eine kleine Vintage- und Custom-Drum-Messe. Da hab ich das erste Schlagzeug ausgestellt, das ich gebaut hab. Die Resonanz darauf war sehr positiv, ich war echt überrascht. Da ist der Gedanke gereift, dass ich das weitermachen möchte."
Holger Reith
Der große klanglich bemerkbare Unterschied beim Trommelbau von Holger Reith liegt in seiner Fassbauweise des Kessels. Dabei werden gebogene Holzdauben aneinandergefügt, falls nicht sogar aus einem Stück gebogen. Im Unterschied dazu besteht ein Schichtholzkessel aus mehreren Lagen Echtholz-Furnier, die vollflächig in mehreren Schichten verleimt sind. Der Holzanteil bei Fassbaukesseln ist daher wesentlich höher, und dies sorgt für einen Klang, der als wärmer und voller wahrgenommen wird.
"Der Holger hatte mir eine Mail geschickt und gefragt, ob ich Interesse an seinen selbstgebauten Drums hätte. Wir haben dann einen Termin ausgemacht, als wir im Colos-Saal in Aschaffenburg gespielt haben. Da haben wir dann auch seine Bass Drum verglichen mit der, die ich dabei hatte. Ich war doch sehr verblüfft, was für ein fetter Sound da rauskam und war sehr begeistert."
Martin Langer
So ließ sich auch der Schlagzeuger, Produzent und Komponist Martin Langer aus Hamburg ein Schlagzeugset in Franken bauen. Er war in den Neunzigern als Mitglied der Friesenjungs mit Otto Waalkes auf Tournee und spielte ab dem Jahr 2000 unter anderem mit Joachim Witt, Achim Reichel, Heinz-Rudolf Kunze, Klaus Lage, Marla Glen und Marianne Rosenberg. 2003 gründete er seine eigene Formation Caramel Club.
"Die Drums, die er mir gebaut hat, sind aus Javaholz. Das hat einen sehr warmen, langen Klang, also viel Sustain in den Trommeln, was ich immer sehr gut finde. Und die Bass Drum hat ein sehr fettes Pfund, was für mich auch immer ein entscheidendes Kriterium ist. Da schlägt er manche andere Drums großer Hersteller."
Martin Langer
Holger Reith ist experimentierfreudig in der Auswahl seiner Hölzer. Neben den Standardholzarten Ahorn, Buche und Birke verbaut wr auch Eiche, Olivenholz oder Kirsche. Gern lässt er sich auch auf Experimente ein, die ihm von Kunden angetragen werden.
"Ich hab mal einen Kunden aus Miltenberg gehabt, der hat mir ein altes Weinfass gebracht, in dem vorher Apfelwein drin war. Daraus sollte ich ihm eine Snare-drum bauen. Das war am Anfang wirklich kurios. Bei der Snare zum Beispiel, die ist ja dieses Luftloch, wenn man auf die draufgeklopft hat, hat's im Raum auf einmal nach Apfelwein gerochen."
Holger Reith
Differenzierte Klangwünsche, die nur von Kleinwerkstätten erfüllt werden können, trauen viele Menschen Schlagzeugern eigentlich gar nicht zu. Die gängigen Witze unterstellen ihnen meist völlige Unmusikalität, angefangen bei der Feststellung, dass eine Band üblicherweise aus drei Musikern plus einem Schlagzeuger bestehe.
Warum ist die Pause beim Jazzkonzert auf 20 Minuten begrenzt?
Damit man den Schlagzeuger nicht neu anlernen muss.
Wie kann man einen Schlagzeuger am einfachsten aus dem Konzept bringen?
Indem man ihm ein Blatt mit Noten vorlegt.
Was ist der letzte Satz eines Schlagzeugers, bevor er entlassen wird?
"Wollen wir nicht mal eins von meinen Stücken spielen?"
Vom Publikum wird der Schlagzeuger im günstigsten Fall schlichtweg übersehen – klar, er sitzt ja auch ganz hinten, weil sein Instrument am lautesten ist. Dazu kommen drei weitere Umstände: Der erste ist, dass das Schlagwerk lange Zeit als minderwertig angesehen wurde, da es in der Kirchenmusik, die über Jahrhunderte ausschließlich von Gesang und Orgel geprägt war, keine Rolle spielte. In der alten Neumennotation der Kirchenchoräle wurde keine Rhythmik notiert, lediglich Tonhöhen und Akzente.
Zum zweiten wurde das Schlagzeuginstrumentarium nach und nach aus anderen Kulturen importiert und musste hier erst seinen Platz finden. Noch 1781 bezeichnete Mozart die Gruppe der Schlaginstrumente, bestehend aus Triangel, Becken und Trommel, als "türckische Musick".
Und schließlich kamen in den 1980er Jahren die ersten Drumcomputer auf den Markt. Der Schlagzeuger erschien ersetzbar, und eine menschliche Leistung, die von Maschinen übernommen werden kann, wird damit auch entwertet. Dabei sollte eigentlich allein schon die Tatsache für einen guten Ruf seiner Spieler sorgen, dass das Schlagzeug zu den besonders übungsintensiven Instrumenten zählt.
"Üben, ja, üben, üben, das ist sehr wichtig. Also, üben musst du eigentlich den ganzen Tag. Ich hab neulich erst wieder gelesen, dass Wissenschaftler festgestellt haben, dass du nach dem Üben immer noch weiterübst. Die haben Gehirnströme von einem Superpianisten vermessen und haben festgestellt, dass die gleichen Regionen nach dem Üben immer noch weiterfunken, obwohl der schon längst seine Katz streichelt oder seinen Dackel. Das ist das Ding: Bewusstsein. Unterbewusstsein. Und dabei geht's ja nicht nur um die Quantität, sondern auch um die Qualität. Nicht nur die Zeit ist wichtig, in der du trommelst, sondern auch die Zeit, in der du über das Trommeln nachdenkst. Und dann kannst du sagen, dass du den ganzen Tag übst. Tagein, tagaus."
Johannes Sens
Johannes Sens ist der virtuose Schlagzeuger von Gankino Circus, die fränkisches Volksgut mit schrägen Balkanrhythmen vereint und dabei irrwitzige Tempi vorlegt.
"Ich hab mein Handwerk klassisch in der Musikschule gelernt, aber der entscheidende Groschen ist woanders gefallen. Wir vier Gankinos sind in den Nullerjahren von der Balkanwelle überrannt worden. Die hat uns umgehauen. Wir haben alle vier ziemlich zur gleichen Zeit festgestellt, dass wir nix sehnlicher wollen, als möglichst schnell den Osten Europas zu erforschen und die ungeheure Energie direkt zu erleben, die für uns in dieser Volksmusik steckt. Also sind wir nix wie los, die Instrumente in den Bandbus und ab ging's. Und weil wir kein Geld hatten, haben wir Straßenmusik gemacht. Da ist das Wichtigste, dass du die Leute nicht an dir vorbeigehen lässt. Dass du die faszinierst auf die direkteste Art und Weise."
Johannes Sens
Die Faszination auf die direkteste Art und Weise – dafür ist nicht nur ein virtuoser Solist zuständig, sondern in hohem Maße auch der Schlagzeuger.
"Wenn du es schaffst, die Leute zum Tanzen zu bringen, ist das nach wie vor das Verdienst des Drummers. Natürlich sind Sachen wie Virtuosität auch manchmal gefragt. Aber in allererster Linie geht's darum, songdienlich mit einem geilen Sound einfach zu spielen und damit hauptsächlich die Emotion der Musik zu transportieren."
Matthias Bäuerlein
Matthias Bäuerlein aus Kulmbach ist eine weitere herausragende Schlagzeugerpersönlichkeit in Franken. Er komponiert, spielt in drei Ensembles, ist im eigenen Tonstudio Musikproduzent und kann als Studiomusiker gebucht werden.
"Der Drummer bildet für mich zusammen mit dem Solisten, der in der Pop- oder Rock-Band meistens die Sängerin oder der Sänger ist, die bilden für mich die Hauptachse. Drummer oder Drummerin sorgen fürs Fundament und für den Groove. Das ist der Motor, der die Band antreibt, der die Suppe kochen lässt. Der Solist, die Solistin ist quasi die Speerspitze."
Matthias Bäuerlein
"Auf der einen Seite bin ich als Schlagzeuger so eine Art Kompass. Und auf der anderen Seite sowas wie ein Akku. Niemand kann das Bandgetriebe so dermaßen lahmlegen wie ein Schlagzeuger, der aweng unausgeschlafen ist. Und gleichzeitig hat keiner so viel Macht, wenn's jetzt zum Beispiel um Arrangement oder Dynamik geht."
Johannes Sens
Beiden Schlagzeugern ist gemeinsam, dass sie ihr komplexes Instrument schon in früher Kindheit entdeckt und in einem jahrzehntelangen Prozess erobert haben.
"Das ging bei mir schon früh los. Das Trommeln kam quasi vorm logischen Denken, und als ich dann mit drei Jahren oder so ein Schlagzeug auf dem Dachboden von unserm Mietshaus gefunden hab, gab's kein Halten mehr. Wenn mein Vater mit der Blaskapelle oder Big Band irgendwo unterwegs war, da war ich immer dabei, bin ihm nicht von der Seite gewichen. Und meine Mutter hat ihre fünf Kinder Tag für Tag nach Ansbach in die Musikschule gefahren."
Johannes Sens
"Laut meiner Mama konnte ich noch nicht mal laufen, da hab ich versucht, aus den Schränken sämtliche Sachen rauszuräumen. Und als ich krabbelnd die untersten Kochtöpfe erreicht hab, da konnte ich noch nicht einmal sprechen, soll ich schon auf den Töpfen rumgeschlagen haben."
Matthias Bäuerlein
Diese Art elementarer musikalischer Früherziehung ist nicht nur für angehende Schlagzeuger wichtig. Wer Musiker werden will, sollte sich regelmäßig den Schlaginstrumenten widmen, um das Rhythmusgefühl zu trainieren – oder zumindest den eigenen Körper durch Body Percussion als Schlaginstrument verwenden, um rhythmische Strukturen am eigenen Körperunmittelbar zu erfahren und zu üben.
"Rhythmisch-musikalisch werden wir sicherlich schlecht erzogen. In unserem Bildungskanon hat das keinen Stellenwert. Ich sage manchmal, wir leben immer noch in der Janitscharenschockstarre, also, es ist eigentlich nicht wirklich unsere Musik. Das rhythmische Gefühl ist nicht die Grundlage, hat sich nicht als die Grundlage entwickeln können."
Martin Staeffler
Die Janitscharen waren die gefürchtete Elitetruppe des Osmanischen Reichs, die mit ihrer Kriegsmusik aus Blasinstrumenten und umfangreichem Schlagwerk schon von Weitem Angst und Schrecken verbreiteten. Für den Nürnberger Komponisten und Gitarristen Martin Staeffler ist nicht zuletzt ihnen zu verdanken, dass das Gefühl für Rhythmus hierzulande noch immer unterentwickelt ist, weil seiner Beobachtung nach viele vor der aktiven Konfrontation mit dem Schlagwerk zurückscheuen.
Als Musiklehrer stellt er beispielsweise immer wieder fest, dass zwar so gut wie jeder Mensch sein Lieblingslied singen kann, dass viele aber scheitern, wenn man sie auffordert, das Lied korrekt einzuzählen; oder dass es vielen schwerfällt, den Off-Beat mitzuklatschen, also die unbetonten Schläge in einem Takt. Deshalb ist für ihn die rhythmische Schulung durch Body Percussion oder elementare Percussioninstrumente fester Bestandteil des Gitarrenunterrichts.
"'Off-Beat' ist ein anderes Wort für 'Synkopierung'. Das heißt, es werden an sich schwache Rhythmusstellen als stark empfunden. Das ist eine Fähigkeit, die ich mir selber erobert habe. Ich bin so weit, dass wenn ich einen Wasserhahn tropfen höre, dann höre ich den nicht als 'klock – klock – klock', sondern als 'mmm-klock-mmm-klock-mmm-klock', und dieses ständige Suchen nach dem nächsten Off-Beat, das grundsätzliche Leben im Off-Beat ist eine Errungenschaft, finde ich."
Martin Staeffler
Staeffler ist sowohl in der modernen klassischen Musik als auch in der Rock- und Popmusik aktiv. In beiden Sparten versucht er, das aufzubrechen, was er in seiner Diplomarbeit über den "Rundfunk als Musikmedium" die "Dominanz des Vier-Viertel-Takts" nennt. Seine Musik ist geprägt von ungeraden Rhythmen wie fünf Viertel oder sieben Viertel, von Rhythmuswechseln oder auch von sogenannter Polymetrik, vom Übereinanderlegen unterschiedlicher Rhythmusstrukturen.
"Meistens startet's bei mir mit einem Fundament – mit dem Motor, der einen Song ausmacht. Text kommt eigentlich meistens zum Schluss."
Matthias Bäuerlein
Der Beginn der Welt war das Wort. Doch was die Welt und die Musik im Innersten zusammenhält, ist der Rhythmus. Die Schlagzeuger spielen ihn. Um ihnen zu der gebührenden Wertschätzung zu verhelfen, hat ein australisches Musikmagazin den 10. Oktober zum Umarme-einen-Schlagzeuger-Tag erklärt. Denken Sie also heuer dran: Umarmen Sie eine Schlagzeugerin oder einen Schlagzeuger, wenn Sie Gelegenheit haben.
Sie haben es verdient.