Schwindel im Skriptorium Mittelalterliche "Fake News" aus dem Kloster St. Emmeram
Im Kloster St Emmeram in Regensburg wurden nicht nur Teile von "Der Name der Rose" gedreht, sondern hier geschah bereits 1000 Jahre davor ein Schwindel, der es leicht mit dem Mittelalterkrimi von Umberto Eco aufnehmen könnte: ein Reliquienraub. Und zwar ein fingierter! Jahrelang arbeiteten die Emmeramer Mönche an einer Lügengeschichte, die beweisen sollte, die Reliquien des Heiligen Dionysius lägen nicht in St Denis bei Paris, sondern in Regensburg. Dafür wurde getrickst, gefälscht und gelogen, Fake News aus dem Kloster: spannend und sehr unterhaltsam, für uns heute.
"Die jüngere Translatio des Heiligen Dionysius"
Eine Handschrift aus dem Mittelalter, die schon Generationen von Forschern auf Trab gehalten hat, die "Translatio des Heiligen Dionysius". So auch Veronika Lukas von der "Monumenta Germaniae Historica", das weltweit größte Institut zur Erforschung des Mittelalters. Sie hat diese Handschrift neu ediert und übersetzt, die unglaubliche Lügen-Story der Benediktiner.
Die Tranlatio des Heiligen Dionysius, unspektalär in der Aufmachung, aber ungeheuerlich in der Aussage
"In diesem Brief hast Du mir nachdrücklich aufgetragen, Dir mituzuteilen und schriftlich dem Gedächtnis anzuvertrauen, auf welche Weise die Gebeine des allerheiligsten Dionysius aus Paris entwendet, aus Frankreich übertragen und in Regensburg niedergelegt wurden. Ja, mit freudigem Herzen werde ich dies erzählen, wie ein so herrlicher und so großer Schmuck dem Vaterland von Gott verliehen wurde. In der Tat fügen wir ja dem Lob dessen, der immer wunderbar ist in seinen Heiligen, jedesmal noch etwas hinzu, wenn wir den Ruhm der Heiligen verkünden, die bekanntlich als Glieder zum Herrn, dem allerhöchsten Haupt, gehören. Wenn schließlich ohne seine Zustimmung kein Vogel auf die Erde fällt, wie soll dann einer von denen, denen selbst die Haare auf dem Kopf gezählt sind, von einem Ort an einen anderen, geschweige denn aus einem Reich in ein anderes übertragen werden können ohne seinen Willen?"
Fingierter Brief an Abt Reginward von Regensburg aus 'Translatio des Dionysii'
Mit diesem Brief an den Abt des Klosters St Emmeram beginnt die Schwindelstory. Verfasst im Scriptorium des Klosters von einem schreibmächtigen, listigen Mönch in den 1040er Jahren. Man behauptete, die Reliquien des Heiligen Dionysius lägen hier in Regensburg nicht in St Denis bei Paris. Das ist natürlich eine ungeheuerliche Behauptung!
Dionysius ist der Nationalheilige der Franzosen, die Kirche und das Kloster waren das bedeutendste Meisterwerk der Gotik. Aber die Emmeramer waren in Not: Die Kirche sollte erweitert werden und der Klostersäckel war leer. Klöster waren nicht abgesichert, sie lebten von ihrem Erwirtschafteten. Und noch dazu hatten die Regensburger den Auftrag, den abendländischen Osten zu missionieren. Mit Predigten allein konnte man nicht viel verdienen. Ein Wanderprediger erhielt damals für eine Predigt ein Mittagessen, einen Liter Wein und ein Huhn, weswegen man sie auch Hendlprediger nannte. Mehr nicht. Also woher das Geld für den Ausbau nehmen, wenn nicht stehlen? Der Kirchenpatron St Emmeram, ehemals Bischof von Regensburg, zog durch seine Wunder viele Pilger an, aber anscheinend nicht genung. Und er war halt auch nur ein "bayerischer Nationalheiliger", kein Superheiliger wie der Heilige Dionysius, einer der 14 Nothelfer. Nun war guter Rat teuer ... die Emmeramer griffen tief in die Trickkiste, dichteten den Galliern, also den Franzosen, schlechte Eigenschaften an, faul seien sie, unzuverlässlich und geldgierig, kein Wunder, dass es Dionysius nach Regensburg zog.
Ein kostbares Reliquiar des Heiligen Dionysius, ein echtes (!), das im Kloster Schäftlarn unter dem Altar liegt
"Die Stadt Regensburg ist verabscheuenswert wegen des Schadens, den sie uns zugefügt hat, doch wahrhaft liebenswert in der Verehrung für Dionysius, wahrhaft ein zweites Athen, ebenso in der Bildung blühend, aber überhäuft von den Früchten einer wahrhaftigeren Philosophie. Hierher ist unser Dionysius gewandert, weil ihm unser Gallien zuwider war, wurde es doch erschüttert von beständiger Zwietracht und von den Unruhen innerer Kriege; daher gefiel ihm das friedliche Germanien besser."
Ein französischer Eremit, der hier erzählt
Eine Schwindelgeschichte, die es in sich hat. Und die Dreistigkeit der Emmeramer Mönche ging sogar soweit, dass sie sich nicht scheuten, einen Papstbrief mit Siegel zu fälschen, um ihre Lügenstory "wahrer" zu machen. Das einzige, was nicht gelogen ist, ist eine Beschreibung Regensburg, die einzige aus dieser Zeit. Denn die konnten die Leser leicht vor Ort nachprüfen.
Die ganze Schwindelgeschichte kann man in einer wissenschaftlichen Edition der "Monumenta Germaniae Historica" nachlesen: "Die jüngere Translatio des heiligen Dionysii Areopagitae". Ediert von Veronika Lukas. Ein spannender, unterhaltsamer Mittelalterkrimi aus Regensburg über den Erfindungsgeist eines Mönches über einen angeblichen Reliquienraub aus Paris.