Wenn wir uns die spirituellen Traditionen ansehen, können wir zwei wichtige Aspekte unseres menschlichen "Selbstverständnisses" immer wieder beobachten. Für eine spirituell adäquate Haltung zu unserem ganz persönlichen Leben sind wir in zwei Richtungen gefordert: Zum einen gilt es, die Heiligkeit unseres Lebens zu erkennen und unser Licht auf den Leuchter zu stellen - wir sind alle Kinder Gottes! Zum anderen sollten wir nicht in die Falle des Egos gehen, uns zu wichtig zu nehmen und um uns selbst zu kreisen, unser Leben in der Hand zu haben und mitunter auch das Leben anderer kontrollieren zu wollen. Gerade die Unterweisungen zur Meditation, ob aus der Sicht buddhistischer Lehre oder aus der Sicht der christlichen Kontemplation, legen uns nahe: Nimm das Leben nicht zu persönlich. Rechne mit viel größeren Kräften als den deinen und mit viel größeren Zusammenhängen, als du sie überblicken kannst. Lass dich ein, ganz ein auf die Spur deines ganz individuellen Lebens; aber lass dich immer auch wieder aus. "Lasse dich" - wie Meister Eckhart, der große deutsche Mystiker des Mittelalters, es nennt. Du bist groß und klein, klein und groß. Wie beides zusammengehen kann, habe ich in dem wunderbaren Satz gefunden, der dem persischen Dichter Rumi zugeschrieben wird: "Wir sind nicht ein Tropfen im Ozean. Wir sind der Ozean in einem Tropfen".

Entnommen aus: Steve Heitzer "Hellwach am Leben. Auf dem Weg zu einer tragfähigen Spiritualität", Tyrolia Verlag, Innsbruck 2024