Es gibt Menschen, die sich noch nie in ihrem Leben unsterblich verliebt haben. Sie kennen das nur aus der Literatur. Manche wünschen sich, es zu erleben. Es lässt sich nicht einfach machen. Aber es kann jeden und jede erwischen. Dass sie plötzlich von einer Kraft gepackt werden und nicht mehr wissen, wie ihnen geschieht. Dass sie, um es mit einem Bild auszudrücken, entspannt den Swimmingpool entlanglaufen und ehe sie sich versehen, im Wasser landen. Der engelische Ausdruck für sich verlieben, to fall in love, drückt das treffend aus. Genauso verhält es sich. Ohne ihr Zutun ist es plötzlich um sie geschehen. Manche denken vielleicht, dass wir uns nur in jungen Jahren verlieben. Doch das ist ein Irrtum. Einer, der davon ein Lied singen kann, ist Johann Wolfgang von Goethe. Er verliebt sich mit 74 Jahren in die über 50 Jahre jüngere Ulrike von Levetzow. Die verzaubernde Kraft, die vom Verlieben ausgeht, kommt mit aller Macht über ihn. Davon zeugt seine Marienbader Elegie (…). "Vor Ihrem Blick. Wie vor der Sonne; Walten, von Ihrem Atem wie von Frühlingslüften; Zerschmilzt, so längst sich eisig starr gehalten; Der Selbstsinn tief in winterlichen Grüften; Kein Eigennutz, kein Eigenwill dauert; Vor Ihrem Kommen sind die weggeschauert."

Entnommen aus: Wunibald Müller "Verzaubert hab ich dich, Im Verlieben unser inneres Gold entdecken", Echter Verlag, Würzburg 2024