Wenn wir von jemandem wissen, dass es ihr oder ihm eine große Freude bereitet, uns bald einmal wieder treffen zu können, so sollten wir die Einladung dazu so früh wie möglich aussprechen. Dann könnte die Vorfreude umso länger ausgekostet werden. Der Freude nämlich entsprechen gewisse Schaltvorgänge in unserem Gehirn, die es verändern, verjüngen, ja differenzieren, da ihm hierbei jeweils neue Verschaltungsmöglichkeiten zuwachsen. Das Erwartungssystem des Gehirns löst Vorfreude aus, sobald wir uns ein Ziel vorstellen, ein Ziel setzen, ganz egal, was es zum Inhalt hat, ob es das Beherrschen einer Fremdsprache ist oder einen Traumjob zu bekommen oder gar die "ewige Seligkeit". Selbst die Hoffnung hierauf wäre nicht ganz illusionär, denn die Vorfreude ist eine wirklich erlebte Freude, die uns keiner mehr nehmen kann, selbst wenn das Erwartete, was eintrifft der Erwartung nicht ganz entspricht. Andererseits: Wenn das Erwartete doch eintrifft, dann könnte uns niemand die verpasste Vorfreude mehr ersetzen, wenn wir sie versäumt, wenn wir sie nicht zugelassen haben aus Angst vor möglicher Enttäuschung.

Entnommen aus: Ingrid Riedel "Geschmack am Leben finden. Erfüllte Momente entdecken", Patmos Verlag, Ostfildern 2023