Da ist die Erinnerung - ich war höchstens vier - an den alles überbietenden Geschmack der großen weißen Pfirsiche von einem niedrigen Baum an unserem Gartenzaun, der gar nicht viel trug, er war noch jung. Aber die zehn, zwanzig Pfirsiche, die an den Zweigen hingen, waren die Pfirsiche meines Lebens. Ich pflückte immer einmal einen von ihnen ab, der gerade reif war, was mir jeder von der Familie gönnte, legte mich mit ihm, der mir so groß erschien wie ein Ball, mitten in den Rasen und biss hinein, bis mir der Saft übers ganze Gesicht bis in die Ohren tropfte. Dies war unendliche Lust, dies war Sommer. Triefend vor Saft, spürte ich Bissen für Bissen dem Aroma nach, wunderte mich, wie etwas so herrlich schmecken konnte, und blickte dabei in den tiefblauen Himmel, in dem die Vögel in großer Höhe kreuzten. Es war ein Glücksgefühl, das ich kaum beschreiben kann und dass ich für immer mit dem Geschmack der weißen Pfirsiche verbinde. Wie schwer konnte ich es fassen, dass im Jahr 1944 eine Fliegerbombe, die den ganzen Garten in einen Trichter verwandelte, auch diesen Pfirsichbaum zerriss. Doch trieb der zurückgebliebene Stamm des Bäumchens erneut aus, und einige Jahre nach dem Krieg konnte ich wieder weiße Pfirsiche pflücken. So ist für mich der weiße Pfirsich auch zu einem Gleichnis für die große Kraft des Lebens geworden, das Zerstörende zu überwinden.

Entnommen aus: Ingrid Riedel "Geschmack am Leben finden. Erfüllte Momente entdecken", Patmos Verlag, Ostfildern 2023