Wie lernt unser Gehirn etwas über die Welt? Am Lernen sind viele Hirnregionen und chemische Verbindungen beteiligt, aber eine biologische Botschaft ist besonders wichtig. Diese Botschaft ist der Vorhersagefehler: Sein Signal zeigt an, dass die Vorhersagen des Gehirns falsch waren, und fordert das Gehirn auf, dazuzulernen und seine Erwartungen zu aktualisieren, um besser für die Zukunft gewappnet zu sein. Vorhersagefehler erleben wir jeden Tag. Wenn Sie seit Monaten einen bestimmten Kaffee in einem bestimmten Geschäft kaufen, haben Sie schon vor dem ersten Schluck eine klare Vorstellung von dem bevorstehenden Geschmackserlebnis. Schmeckt er eines Tages noch besser als gewohnt, so reagieren Sie überrascht - das wäre ein "positiver Vorhersagefehler". Das Gehirn aktualisiert daraufhin die Belohnungserwartung an den nächsten Kaffee, also wie köstlich er schmecken sollte. Schmeckt der Kaffee umgekehrt eines Tages schlechter als gewohnt, so sind Sie ebenfalls überrascht - das wäre ein "negativer Vorhersagefehler". Ein negativer Vorhersagefehler senkt die Belohnungserwartung an den nächsten Kaffee. Vielleicht sind Sie nach einem solchen Erlebnis etwas misstrauischer gegenüber Ihrem Lieblingsladen und wählen eine andere Sorte oder kaufen keinen Kaffee mehr. Oder Sie kommen zu einem ganz anderen Schluss und halten für völlig unvorhersehbar, ob Kaffee richtig gut schmeckt oder nicht. Eine Überraschung und das, was wir daraus folgern, ist also eine wichtige Quelle für Erwartungen und deren Einfluss auf das eigene Verhalten.

Entnommen aus: Camilla Nord "Das ausgeglichene Gehirn. Was uns die Neurowissenschaft über mentale Gesundheit verrät. Neueste Erkenntnisse über die positive Wirkung von Therapien, Psychedelika, Schokolade und Co.", aus dem Englischen von Imke Brodersen, Kösel Verlag, München 2024