Wie geht das zu, wenn Gott mit dabei ist, wo Menschen einander lieben? Gott ist nicht Konkurrent, er stellt sich nicht dazwischen. Im Gegenteil: Man entdeckt eine ganz neue, unerhörte Nähe zueinander, sobald man sich durch ihn befreien lässt. Befreien wovon? Von der Angst, den anderen zu verlieren oder zu verfehlen; von der Unfähigkeit, ihm restlos gut zu sein; von der Ohnmacht, in die Tiefe, Breite, für ein Leben sich zu schenken und den anderen so zu nehmen, wie er ist und sich geben kann; von der Distanzlosigkeit, mit der man den andren beherrschen oder überfordern will; von der Unduldsamkeit oder heimlichen Genugtuung, wo er sich eine Blöße gibt; vom Versiegenkönnen der gegenseitigen Liebe; vom Aneinanderkleben, diesem Egoismus zu zweien. Gerade dort, wo man bei aller Intimität offenbleibt, da sein kann für Freunde und Nachbarn, Arme und Zu-kurz-Gekommene, für solche, die niemand mag, für jedermann, der einen braucht, liefert man sich die Probe aufs Exempel, dass Gott mit dabei ist.

Entnommen aus: Anselm von Canterbury "Monologion", Frommann-Holzboog Verlag, Stuttgart 1964