Bayern 2 - Gedanken zum Tag


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Georg Magirius Gedanken zum Tag

Alles ist eingespielt. Morgens nehme ich die Schüssel aus dem Schrank, fülle Haferflocken, Nüsse hinein, gebe eine Banane dazu, dann Milch.

Stand: 21.08.2024

Gedanken zum Tag - Bayern 2 | Bild: BR

21 August

Mittwoch, 21. August 2024

Alles ist eingespielt. Morgens nehme ich die Schüssel aus dem Schrank, fülle Haferflocken, Nüsse hinein, gebe eine Banane dazu, dann Milch. Den Becher stelle ich neben den Wasserkocher, ein Teebeutel landet im Becher. Während das Wasser zum Siedepunkt hochklettert, hole ich die Zeitung. Über all das denke ich kaum nach, es geschieht routiniert. Doch manchmal durchbreche ich die Gewohnheit. Dann decke ich am Abend den Tisch für den nächsten Morgen. Den morgendlichen Ablauf will ich dadurch nicht noch effektiver machen. Es handelt sich vielmehr um einen Kontrapunkt in der abendlichen Müdigkeit. Endlich ist die Küche aufgeräumt. Der Tisch ist frei. Und nun platziere ich dort die Müslischüssel, Löffel, Becher. Das sieht nicht aus wie die fantastisch geschmückten Tische, die ich in (…) Werbekatalogen bestaune. Eher ist es die Einfachheit des Bilds, die mich erwartungsvoll stimmt. Die Leere der Schüssel beruhigt. Der Löffel liegt in stiller Geduld. (…) Zu sehen ist das Gegenteil von Hektik. Es ist ein Bild, das Vertrauen heißt. Denn das Geschirr wird warten - eine ganze Nacht. Der erste Schluck am Morgen, dazu der erste Löffel Müsli. Es schmeckt auf eine alles andere als alltägliche Weise gut. Aber nicht weniger beglückt der Moment am Abend zuvor. Inmitten der Müdigkeit sehe ich, wie die Freude Gestalt annimmt. Eingangs der Nacht schaut mich der Morgen an. Da ist dieses Unberührte, das die Gewissheit zeigt, berührt zu werden.

Entnommen aus: Georg Magirius "Einfach freuen. 24 Momente gegen die Rastlosigkeit", Echter Verlag, Würzburg 2017


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