Lukas Fries-Schmid Gedanken zum Tag
Machtlosigkeit ist uns sehr unangenehm. Sie gibt uns das Gefühl, gescheitert zu sein oder versagt zu haben.
22. August
Donnerstag, 22. August 2024
Machtlosigkeit ist uns sehr unangenehm. Sie gibt uns das Gefühl, gescheitert zu sein oder versagt zu haben. Wenn ich keine Macht mehr habe, muss ich kapitulieren. Ich gehe unter. Sich einzugestehen, dass man keine Macht mehr hat über eine Situation, kann uns so ausgelegt werden, als ob wir aufgeben würden. Das ist jedenfalls die Angst bei vielen von uns. Das mag stimmen in einem Umfeld von Kampf und Wettbewerb. Dort, wo es darum geht, dass der Stärkere gewinnt. Dort muss ich um jeden Preis für mein Überleben kämpfen. Dort ist Machtlosigkeit eine wirkliche Bedrohung. Aber das Leben ist kein Wettbewerb. Im Leben geht es nicht um Kampf, sondern um Kooperation. Da haben wir umzudenken. Das Gegenteil von Macht ist nicht Machtlosigkeit, sondern Ohnmacht. Ohnmacht hat eine andere Qualität als Machtlosigkeit. Das ist in meinen Augen mehr als eine bloße Umdeutung. Ohnmacht eröffnet uns eine neue Dimension. Sie führt uns in die Tiefe. Wenn ich Ohnmacht in mein Leben integrieren kann, breche ich aus dem Schema von richtig und falsch, gut und böse, gesund und krank aus. Ich stehe nicht mehr vor der Wahl, zu kämpfen oder zu kapitulieren. Ich kann unumgängliches Leiden akzeptieren, ohne es zu verherrlichen. Ich kann mich den letzten Fragen und meiner tiefsten Sehnsucht hingeben. Darum halte ich Ohnmacht für etwas sehr Wertvolles.
Entnommen aus: Lukas Fries-Schmid "Hör auf zu helfen. Ohnmacht als Tor zum göttlichen Geheimnis", Echter Verlag, Würzburg 2022