Am Anfang aller Freundschaft steht das Kennenlernen. Diese beiden Worte sprechen Bände. Niemanden können wir sofort kennen, es bedarf eines längeren Kennen-Lernens. Erst wenn ich gelernt habe, kann ich behaupten: Meinen Freund kenne ich wirklich ganz gut; diese Freundin habe ich kennen gelernt. Wir bezeichnen ja mit dem Kennenlernen oft nur den Anfang der Begegnung. Das ist eigentlich schade. Wir müssen in Betracht ziehen, dass wir uns auch ändern. Und wenn wir uns ändern, müsste Freundschaft dann nicht sich ständig fortsetzendes Kennenlernen sein? Wir entwickeln uns beruflich oder gehen privat durch große Veränderungen. Freundschaft wird zum Beispiel durch geschlossene Ehen auf die Probe gestellt. (…) Oder Kinder verändern die Freundschaften. "Bei denen dreht sich jetzt alles nur noch um die Kinder", heißt es dann schnell. Die Kunst ist, in diesem unsteten Dasein den anderen über die eigenen Veränderungen auf dem Laufenden zu halten. Und die Veränderungen des anderen nachzuvollziehen. Vielleicht muss man dann auch aushalten, dass der Freund sagt: "Mensch, ich erkenn dich gar nicht wieder!" (…) Das Schwelgen in guten alten Zeiten wird vermutlich zum Erhalt von Freundschaft nie reichen. Ich will mich also aufmachen, meine echten Freunde immer wieder neu kennenzulernen!

Entnommen aus: Marcus Friedrich "Sternenkarren. Auf den Spuren Gottes durchs Leben ziehen", Echter Verlag, Würzburg 2019