Lisa Pottstock Gedanken zum Tag
Der Atem begleitet uns permanent und bedeutet uns auch permanent eine Grenze des Lebendigen.
06. September
Freitag, 06. September 2024
Der Atem begleitet uns permanent und bedeutet uns auch permanent eine Grenze des Lebendigen. Wenn ich diesem philosophischen Verständnis folge, dann denke ich mir das Ein- und Ausatmen unserer Köper als ein zentrales Wirken einer naturgegebenen Notwendigkeit, die bewusst oder unbewusst ständig erfüllt wird. Atmen also muss ich sowieso. Singen dagegen muss niemand. Auf diese Weise den Atem zu gebrauchen, so, dass er schön klingt, ist uns allen freigestellt. Geschieht das aber dennoch, wird also gesungen, dann wird dieser permanente, refelexhafte und lebensnotwendige Vorgang des Atmens verziert. Dies zu tun, finde ich verwegen, und darin scheint mir die performative Kraft des Singens zu liegen. Denn das zentrale Wirken einer naturgegebenen Notwendigkeit, das Atmen, wird beim Singen nicht zu diesem natürlichen Zweck benutzt, sondern um einen ästhetischen Gegenstand hervorzubringen. Klingend tritt der Atem in Erscheinung und wird ästhetisch. Es wird etwas wahrnehmbar, das zuvor gar nicht im Spiel war, nämlich ein Vorgang der Gestaltung. Der Atem wird beim Singen als Gestaltungsfläche erfahrbar und sein Klang als Ergebnis einer ästhetischen Entscheidung. Es ist also etwas geschehen, der singende Körper hat einen bestimmten Erfahrungsraum etabliert.
Entnommen aus: Lisa Pottstock "Atmen muss ich sowieso, in: Philosophie des Singens", herausgegeben von Bettina Hesse, Marisch Verlag, Hamburg 2019 (E-Book)