Tobias Haberl Gedanken zum Tag
Meine Kindheit war ein Paradies, in dem ich mich lange aufgehalten habe, behütet, sorglos, ohne Ahnung von den Tragödien des Lebens.
12. Oktober
Samstag, 12. Oktober 2024
Meine Kindheit war ein Paradies, in dem ich mich lange aufgehalten habe, behütet, sorglos, ohne Ahnung von den Tragödien des Lebens. Ich wurde getauft, weil alle getauft wurden, danach wurde ich katholisch erzogen, ohne es zu merken, so natürlich, so selbstverständlich fühlte sich alles an. Der Glaube wurde mir vorgelebt, ich schaute zu und ahmte nach. Er war der Rahmen, innerhalb dessen ich mich frei und aufgehoben fühlte. Jesus war für mich ein sympathischer Sonderling, der die Vorschriften seines Glaubens nicht allzu ernst nahm und nicht aufhörte, den Menschen von Gott zu erzählen, selbst dann nicht, als es um sein Leben ging. (…) Ein charismatischer Rebell, der nicht Macht, sondern Liebe, nicht Rache, sondern Vergebung, nicht materiellen, sondern geistigen Besitz predigte. (…) Besonders beeindruckte mich das Gleichnis vom verlorenen Sohn: wie der Vater dem leichtsinnigen Sohn nicht nur vorzeitig das Erbe auszahlt, sondern ihn auch ziehen lässt, als dieser übermütig die Familie verlässt, und ihn Jahre später, als er verarmt und reumütig aus dem Elend zurückkehrt, bedingungslos aufnimmt und auch noch ein großes Fest veranstaltet (…) - das hat mich schon damals tief bewegt. Ob sich die Geschichte genauso abgespielt hat, darüber sollten sich andere den Kopfzerbrechen. Mir gefiel ihre Botschaft, denn eines hatte ich schnell begriffen: Wenn Gott mir ins Herz schauen konnte, wenn er mir, egal was ich angestellt hatte, immer eine neue Chance gab, dann müsste ich nie wieder Angst haben.
Entnommen aus: Tobias Haberl "Unter Heiden. Warum ich trotzdem Christ bleibe", btb Verlag, München 2024