Anselm Grün Gedanken zum Tag
Die Schönheit unserer Welt entdecken
19. Oktober
Samstag, 19. Oktober 2024
O edelstes Grün, das wurzelt in der Sonne und leuchtet in klarer Heiterkeit, im Rund eines kreisenden Rades, das die Herrlichkeit des Irdischen nicht fasst: umarmt von der Herzkraft himmlischer Geheimnisse rötest du wie das Morgenlicht und flammst wie der Sonne Glut. Du Grün bist umschlossen von Liebe. Hildegard von Bingen besingt in diesem Gedicht die "Grünkraft", die viriditas. Die Grünkraft wirkt nicht nur in der Natur, sondern durchdringt auch den Menschen. Gott selbst hat diese Grünkraft in die Natur hineingelegt. In uns Menschen drückt sich diese Grünkraft aus als der dauernde Impuls: Ich will leben. Ich will nicht vertrocknen. Ich will aufblühen. Das Leben soll in mir strömen. Es soll Frucht bringen. Mein Leben ist nicht leer und kalt, sondern voller Kraft. Es blüht auf und bringt Frucht - nicht nur für mich selbst, sondern auch für die anderen Menschen. In diesen Zeilen verbindet Hildegard von Bingen das Grün mit der Liebe. Das Grün ist umschlossen von Liebe. Wenn wir von der Grünkraft durchdrungen sind, dann blüht in uns die Liebe auf. Die Liebe ist die lebendige Kraft, die aus Gott heraus in uns einströmt. Wenn wir diese Worte der hl. Hildegard auf uns wirken lassen, spüren wir, dass wir eingebettet sind in einen großen göttlichen Lebensstrom, in den Strom der göttlichen Liebe.
Entnommen aus: Anselm Grün "Die Schönheit unserer Welt entdecken. Lob der Schöpfung, Lied der Erde", Herder Verlag, Freiburg 2023