"Nicht eine Sekunde kann man euch alleine lassen!", seufzen Eltern, Erzieherinnen oder Lehrer. Denn Kinder können innerhalb kürzester Zeit Dinge vollbringen, die Erwachsene gehörig ärgern. Etwas nicht aus dem Blick zu lassen, kann allerdings auch beglücken. Das merke ich, wenn (…) ich eine Kerze anzünde. Sofort bin ich konzentriert. Und muss mir das nicht mühsam vornehmen. Ganz von selbst bin ich aufmerksam, weil der Docht sonst nicht brennen würde. Ein Kind übt das unzählbar viele Male, bis sich ein Gefühl dafür einstellt. Und auch ein Erwachsener benötigt manchmal einen zweiten Anlauf. Und dann? Die Streichholzzündung riecht berauschend. Aber ich verliere nicht die Konzentration. Schließlich habe ich nur eine Streichholzlänge Zeit, die Kerze zum Leuchten zu bringen. Da darf sich kein langes Zögern einschleichen, zumal der Docht die Flamme nicht unbedingt gleich übernimmt. Zu rasant darf sich das entbrannte Zündholz aber auch nicht bewegen, sonst geht sein Licht aus, noch ehe es sich der Kerze mitgeteilt hat. Das Ergebnis ist kraftvoll und weich, aber niemals harmlos. Damit Tisch, Zimmer und Haus nicht Feuer fangen, lasse ich es nicht aus dem Blick. Ich muss erleuchtet sein! So sieht das jedenfalls aus, wenn ich andere sehe, die ins Kerzenlicht schauen. Die Gesichter sind ruhig, gelassen, schön. Und alle (…) Aufregung ist meilenweit entfernt.

Entnommen aus: Georg Magirius "Einfach freuen, 24 Momente gegen die Rastlosigkeit", Echter Verlag, Würzburg 2017