Constanze Kleis Gedanken zum Tag
Wir leben in der größtmöglichen allgemeinen Verunsicherung.
22. November
Freitag, 22. November 2024
Wir leben in der größtmöglichen allgemeinen Verunsicherung. Wir empfinden unser Leben dabei umso trostloser, je mehr man uns versichert, es gehe immer noch besser. Und wir werden umso handlungsunfähiger, je mehr man unser Leben zu einem einzigen Leistungsnachweis macht, an dessen imaginäres paradiesisches Endziel man erst noch "hingecoacht" werden muss. Dabei verhält es sich wie mit dem Hasen in der Fabel Der Hase und der Igel. Immer wenn wir denken, wir könnten endlich angekommen sein, hat der Igel schon wieder ein neues Ziel vorgegeben. Das ist nicht nur sehr traurig, irre anstrengend und enorm teuer. Das ist auch wahnsinnig langweilig. Während wir nämlich immer besser leben und sein wollen, verlernen wir, richtig zu leben. Mit allem, was dazugehört: mit all den Irrungen und Wirrungen, den Fehlgriffen, den Umwegen, den Stopersteinen, den kleinen, mittleren und großen Katastrophen, der Trauerigkeit, der Euphorie, den Macken, Marotten und Knacksen. Den eigenen und denen der anderen. Wir verlernen die herrliche Vielfalt und unser Zutrauen in unserer wichtigste Fähigkeit: sich ganz manierlich durchzuwurschteln und auf das Ergebnis stolz zu sein. Am Ende, so schreibt der dänische Psychologieprofessor Sven Brinkmann sollten wir deshalb sehr viel weniger um Selbstfindung bemüht sein, sondern mehr darum, uns mit uns selbst abzufinden.
Entnommen aus: Constanze Kleis "Das Leben ist zu kurz für Mimimi. Warum es befreiend ist, Verantwortung zu übernehmen", Gräfe und Unzer Verlag, München 2020