Perfekt? Gefasst? Makellos? Wie oft erheben wir diesen oder einen ähnlichen Anspruch an uns selbst? Wir kranken am Gefühl, es (…) in der persönlichen Zurücknahme möglichst allen recht machen zu wollen und zu sollen, dabei möglichst Zufriedenheit und Erfüllung zu erfahren. Und, wenn das nicht gelingt, wollen wir die eigenen Gefühle zumindest im Griff haben und ja nicht aus der Fassung geraten. Wir erstreben es nicht nur für uns selbst, sondern verspüren oft einen entsprechenden Druck von außen. Erwarten wir es denn auch von unseren Mitmenschen? Wenn ja, warum? Bewegt uns nicht im eigenen Herzen oft genug die Frage, wo denn unsere vermeintlichen Unzulänglichkeiten ihren Platz haben können: Wohin mit dem kaum zu haltenden Lachen, das völlig ungelegen kommt? Wohin mit unserem überbordenden Staunen, von dem wir befürchten, das sich andere darüber lustig machen? Wohin mit dem Ärger? Wohin mit der Wut? Braucht es nicht ein Ventil für all das, damit die Seele nicht in der Fassung verkümmert, die wir Contenance nennen? Wenn wir ehrlich sind, ist doch ein Miteinander, sei es auf Arbeit, in Familie oder in Gemeinschaft, um einiges intensiver und lebendiger, wenn die dazugehörigen Menschen ab und an spontane Regungen zeigen, die jenseits des Soll-Wertes liegen.

Entnommen aus: Paulina Kleinsteuber "Libellenflug und Windgeflüster. 52 Fährten Gottes in der Welt", Herder Verlag, Freiburg 2024