Bayern 2 - Gedanken zum Tag


17

Georg Magirius Gedanken zum Tag

Als Kind fühlte ich mich wunderbar aufgehoben, wenn ich in fremde Welten aufbrach. Ich saß vor einem weißen Papier und malte.

Stand: 10.01.2025

Gedanken zum Tag - Bayern 2 | Bild: BR

10 Januar

Freitag, 10. Januar 2025

Als Kind fühlte ich mich wunderbar aufgehoben, wenn ich in fremde Welten aufbrach. Ich saß vor einem weißen Papier und malte. Das Besondere war (…) nicht nur das Malen selbst, sondern auch die Instrumente, mit denen ich Farben und Figuren hinterließ. Heute ist die kindliche Lust am Malen verschwunden. Fast! Denn gelegentlich greife ich noch immer zum Bleistift. Ich nutze ihn, um eine Notiz zu machen, eine Telefonnummer aufzuschreiben. Auch Buntstifte verwende ich. Dann sitze ich nicht am Schreibtisch, sondern im Sessel, um ein Schriftstück mit Markierungen zu versehen. Ich hebe Worte heraus, umrahme und schraffiere sie, trage Signale und Zeichen ein, um das Verfasste später möglichst lebendig vorzutragen. Die Stifte dienen der Arbeit. Und doch spüre ich bald wieder wie als Kind ihr Versprechen, alles zu können. Am vielleicht intensivsten aber spüre ich die Freude, noch ehe die Malarbeit beginnt. Allein schon die Buntstiftbüchse zu öffnen, versetzt in Schaffenslaune. Ich gebe ihr aber nicht gleich nach. Denn erst werden die Stifte gespitzt. Es ist, als ob alles von Neuem beginnen darf. Wenn ich über die Mine streiche, spüre ich eine noch nie berührte Schärfe. Sie ist zerbrechlich, kann feine Spuren hinterlassen, gibt sich hin, verausgabt sich, nutzt sich ab, fängt immer wieder an. Sie ist in der Lage, fantastisch schöne Welten entstehen zu lassen. Vielleicht kann besonders gut Hoffnung geben, was empfindsam ist?

Entnommen aus: Georg Magirius "Einfach freuen. 24 Momente gegen die Rastlosigkeit", Echter Verlag, Würzburg 2017


17