Der im Blick auf unsere Mentalität einflussreiche Sigmund Freud (…) sagt schlicht: "… die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten". Angesichts der Ergebnisse der heutigen Hirnforschung ist jedoch gerade dies die Frage. In unseren Gehirnen sind nämlich eigene Schaltungen für Freude, Lust und Euphorie nachweisbar, zum Beispiel für die Freude am Geschmack von Speisen, die unmittelbar dazu dienen, unseren Energiehaushalt zu steuern, aber auch für die Freude an Berührung vom Streicheln bis zum Sex oder die Freude am Wagnis, am konzentrierten Lernen und am schöpferischen Schaffen. Aber: Ignorieren wir nicht im Allgemeinen diese Anlage, die unserem Organismus eingestiftet ist, indem wir sie viel zu wenig zu gebrauchen wissen? Dabei wäre sie, wie die Neurophysiologie nachweist, durchaus trainierbar – so gut wie die Anlage, eine Sportart oder Fremdsprache zu erlernen und zu optimieren. Unser Gehirn nämlich ist und bleibt bis ins Alter plastisch, und seine Schaltungen sind veränderbar, erneuerbar, umschaltbar. Es ist also möglich, es auf Erfahrungen von Freude hin umzuschalten, es überhaupt erst einmal darauf einzuschalten.

Entnommen aus: Ingrid Riedel "Geschmack am Leben finden, Erfüllte Momente entdecken", Patmos Verlag, Ostfildern 2023