Wie nett ist das Leben? Nett ist nicht das richtige Wort. Manchmal haben wir eine nette Zeit, gelegentlich sogar eine herrliche Zeit, aber nur wenig Menschen begnügen sich mit einem netten Leben. Das wäre zu wenig Erfüllung. Unser Leben kennt viele Zeiten – bekannt ist das Lied des biblischen Predigers, Kohelet (...), welches Ende der 1960er Jahre von The Birds in ihrem Song Turn! Turn! Turn! nachgesungen wurde: "Zeit zum Suchen und Zeit zum Verlieren – Zeit zum Einreißen und Zeit zum Aufbauen – Zeit, sich zu umarmen, und Zeit, sich aus der Umarmung zu lösen". Für viele Menschen sind es jeweils isolierte Zeiten, nach denen sie entweder mit fruchtlosem Heimweh zurückverlangen oder auf die sie mit Bedauern und Groll zurückschauen. Den Menschen gelingt es, alle diese Zeiten als ein einziges Leben anzunehmen, das ist eine große Lebenskunst, oder nenne es große Gnade.
Leben ist schwierig und mühevoll, weil der Tod so ein allmächtiges Höchstes Wesen ist. Diesem Tod zu widerstehen, diesen Tod mit all seinen Geschwadern zu vertreiben, die Wunden zu heilen, die er dir schlägt, die Angst so zu beschwören, dass sie dich nicht verrückt macht – Wüste durchqueren, Wasser aus dem Felsen schlagen: Damit verstreicht dein Leben. Dem Tod das letzte Wort absprechen, das ist Leben. Das ist der Sinn deines Lebens.

Entnommen aus: Huub Osterhuis "Alles für alle. Ein Glaubensbuch für das 21. Jahrhundert", Hrsg. von Cornelis Kok, aus dem Niederländischen von Frank Bestebreutje, Patmos Verlag, Ostfildern 2023