Es ist eine gute Tradition, von Aschermittwoch bis Ostern sieben Wochen lang auf etwas zu verzichten. Auf Alkohol etwa. Wer sieben Wochen ohne auskommt, ist kein Alkoholiker, so einfach ist das. Oder sieben Wochen ohne Süßigkeiten. Beim Nachdenken über solche Fastenziele machen viele Menschen eine frustrierende Erfahrung: Das Ziel kommt ihnen übergroß vor. Zwei Monate lang kein Wein, kein Bier? Kein Stückchen Kuchen, kein Gummibärchen? Das schaffe ich doch nie. Warum soll ich mir das antun? Und geben auf. Mir hilft dabei eine Erkenntnis aus der Gehirnforschung: Dass das Ziel so riesig wirkt, ist eine Sinnestäuschung. Die für Emotionen zuständige Hirnregion verschätzt sich, wenn sie ein Ziel aus der Entfernung sieht. Sobald Sie aber anfangen und den ersten Schritt tun, merkt Ihr Gehirn: Soo großmächtig ist die Aufgabe gar nicht. Sie ist ein Scheinriese, wie der Herr Tur Tur von Michael Ende. Trinken Sie eben eine Apfelschorle. Oder knabbern ein paar Nüsse. Starren Sie nicht auf die sieben Wochen. Morgen das gleiche nochmal schaffen, das genügt.

Werner Küstenmacher / unveröffentlichter Text