In den meisten langjährigen Beziehungen haben sich mit der Zeit Rollen und Verantwortlichkeiten herauskristallisiert und etabliert, eine häufig unbewusste Arbeitsteilung. Hier meine ich nicht die typischen Mann-Frau-Rollen, sondern die emotionale Arbeitsteilung. Wer gibt den Bedenkenträger, wer den Unbeschwerten? Wer bringt neue Impulse, wer bewahrt Traditionen? Wer sorgt für Spannung und wer für Sicherheit? In jedem Menschen sind alle Anteile angelegt. Wir fühlen uns zur einen oder anderen Seite hingezogen, weil sie zum Beispiel unseren Werten oder unseren Prägungen entspricht. In Beziehungen neigen wir dazu, einen Teil ganz zu übernehmen - und damit einen anderen, den wir auch gestalten könnten, dem Partner zu überlassen. Meistens ist das praktisch für uns: Wir können in unserer Komfortzone bleiben. Sobald wir eine Beziehung eingehen, nehmen wir Rollen ein. Vielleicht, weil wir das selbst so wollen oder weil wir sie auf den Leib geschrieben bekamen. Nach und nach verfestigen sie sich. Und dann kann es sein, dass eine Rolle irgendwann nicht mehr passt. Man ist aus ihr herausgewachsen oder hat einfach keine Lust mehr, immer wieder das gleiche Stück aufzuführen. (…) Das Leben ist dynamisch. Wir verändern uns - als Individuen und als Paar. Wie wäre es, wenn wir uns gegenseitig beim Wachsen und Gedeihen unterstützen, statt uns zu behindern mit Verstellungen von gestern und vorgestern?

Entnommen aus: Casy M. Dinsing "Warum bist du nicht, wie ich dich gern hätte? Wie die Liebe den Beziehungsalltag überlebt", Kösel Verlag 2023