Bayern 2 - Gedanken zum Tag


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Janusz Korczak Gedanken zum Tag

Wie man ein Kind lieben soll.

Stand: 29.05.2024

Gedanken zum Tag - Bayern 2 | Bild: BR

29 Mai

Mittwoch, 29. Mai 2024

Du sagst: "Mein Kind." (…) Das Kind, das du geboren hast, wiegt zehn Pfund. Davon sind acht Pfund Wasser und je eine Handvoll Kohlenstoff, Kalk, Stickstoff, Schwefel, Phosphor, Kalium und Eisen. Du hast acht Pfund Wasser und zwei Pfund Asche zur Welt gebracht. Und jeder Tropfen dieses deines Kindes war einmal Dunst einer Wolke, ein Schneekristall, Nebel, Tau, ein Bach (…). Du hast nur das alles zusammengefügt, was schon vorhanden war. (…) Unter den Millionen von Menschen hast du noch ein - ja was denn? - Hälmchen, ein Stäubchen zur Welt gebracht, ein Nichts. Aber dieses "Nichts" ist ein leibhaftiger Bruder der Woge im Meer, des Sturmwindes, des Blitzes, der Sonne und der Milchstraße. (…) In ihm ist etwas, das empfindet, untersucht - duldet, begehrt, sich freut, liebt, vertraut, hasst - glaubt, zweifelt, an sich zieht und abstößt. Dieses Stäubchen umfasst mit seinen Gedanken alles: Sterne und Ozeane, Berge und Abgründe. Und was ist der Inhalt der Seele anderes als das All, nur ohne Dimensionen. Das ist nun der Widerspruch im menschlichen, aus vergänglichem Staub entstandenen Wesen, in dem Gott Wohnung genommen hat.

Entnommen aus: Janusz Korczak "Wie man ein Kind lieben soll", Hrsg. Sabine Andresen, Vandenhoek und Ruprecht Verlag, Göttingen 2018


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