Bayern 2 - Gedanken zum Tag


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Anselm Grün Gedanken zum Tag

Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie durch ihre Vergangenheit festgelegt sind.

Stand: 04.06.2024

Gedanken zum Tag - Bayern 2 | Bild: BR

04 Juni

Dienstag, 04. Juni 2024

Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie durch ihre Vergangenheit festgelegt sind. Sie fühlen sich benachteiligt, weil sie in ihrer Lebensgeschichte so viele Verletzungen und Behinderungen erfahren haben. Die Versöhnung ist die Verheißung: Wir sind nicht festgelegt durch die Vergangenheit. Wir können als versöhnte Menschen immer wieder neu anfangen, neu auf die Menschen zugehen, uns neu auf das Leben einlassen, ohne dass wir die Last der Vergangenheit immer mit uns mitschleppen müssen. Wir verdrängen die Vergangenheit nicht, aber wir befreien uns von ihrer Last, indem wir uns mit ihr versöhnen. Für den Neuanfang nach der Versöhnung gelten zwei widersprüchliche Worte: einmal das Wort von Hermann Hesse, dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt. Zum andern das Sprichwort: "Aller Anfang ist schwer." Wenn ich mich mit einem Freund versöhnt habe, dann spüre ich den Zauber des neuen Anfangs. Auf einmal können wir persönlicher miteinander sprechen, als es je zuvor möglich war. Wir sprechen auch über unsere Schattenseiten, die wir während des Konfliktes und Streites kennengelernt haben. Wir machen einander nichts mehr vor. Jetzt vertrauen wir dem andern ganz und gar. Wir sind durch Zeiten des Missverständnisses auf beiden Seiten gegangen, durch Zeiten der Entfremdung, der Verletzung, der Hilflosigkeit, der Ohnmacht. Doch jetzt haben wir diese dunklen Zeiten hinter uns gelassen. Die Sonne der Versöhnung ist über uns aufgegangen.

Entnommen aus: Anselm Grün "Zeit für Versöhnung. Spaltung überwinden, Begegnung wagen", Herder Verlag, Freiburg 2023


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