Bayern 2 - Hörspiel


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Laudatio Nisser/Wüst: Dein Reich auf der A 96

Stand: 11.10.2011 | Archiv

"Auch dann, wenn man schon vor Beginn  des kleinen Hörspiels den Titel Dein Reich auf der A96 oder ein Stichwort wie Autobahnkirche bewusst wahrgenommen hat, bleibt den Hörerinnen und Hörern die sehr reizvolle, sehr spannende Aufgabe, die vielen Geräusche, Töne und Stimmen zuzuordnen. Man kann tatsächlich hören, ob eine Straße viel befahren ist und schnell befahren wird. Man kann hören, wie die Schritte einer Person sich in diesen Lärm der Straße mischen. Man kann hören, wie eine Tür zu einem Raum diese Straßengeräusche verblassen lässt und das Geräusch der Schritte verändert, weil sich der Boden verändert hat. Man kann hören, wie der Raum akustisch erst allmählich zu einer Kirche wird, weil man das Geräusch von Münzen, die in einen Opferstock fallen, mit der Darbietung von Gebeten und kirchlichen Gesängen kombiniert. Die Hörerinnen oder Hörer erleben sich dabei selbst - in dieser akustischen Puzzle-Arbeit, in dieser aktiven Beteiligung an der Realisierung des Hörspiels. Zwangsläufig denkt man nach über die verschiedenen frommen Wünsche, die zu hören sind. Sie bitten Gott nicht nur, Tobias in Kabul zu beschützen, sondern erbitten von Gott  auch, dass wir eine Ferienwohnung finden. Die Sorgen dieser Familie möchten wir haben. Und ein leicht blasphemischer Witzbold erbittet auch Gottes Segen für all die Prostituierten, die er je besucht hat. All diese kurze Sequenzen bewirken ein Nachdenken, bewirken bei uns eine Vorstellung: Wer mag das wohl sein, der so etwas schreibt oder sagt - in einer Autobahnkirche: Dein Reich auf der A96. Lässt sich das Reich Gottes mit den Kennziffern von deutschen Autobahnen fassen? Wohl kaum! Warum eigentlich nicht? Und so setzt sich unsere faszinierte Nachdenklichkeit auch noch fort, wenn das Hörspiel längst verklungen ist."

Prof. Dr. Bernd Scheffer, Literatur- und Medienwissenschaften, Ludwig-Maximilians-Universität München


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