LAW: Liebe - Arbeit - Wissen Positionen zu Beginn des 21. Jahrhunderts
"'Liebe, Arbeit und Wissen sind die Quellen unseres Lebens; sie sollten es auch beherrschen' (Wilhelm Reich)
Der Satz ist so richtig, dass er fast trivial ist. Aber damit sie unser Leben beherrschen können, müssten wir uns mit denen anlegen, die über diese Quellen herrschen: Mit der blinden und maßlosen Wachstumswut unserer Wirtschaftsordnung, die immer mehr Menschen zu inhaltsloser Arbeit verdammt oder sie ihnen ganz nimmt, und dabei die Natur zerstört. Mit den Patentierern des Wissens, den Privatisierern der Kulturschätze, den Politikern, die unser Bildungswesen sehenden Auges verrotten lassen. Mit den großen Kapitalien, die aus den Medien Zerstreuungsmaschinen gemacht haben, die Menschen trennen statt verbinden und die Schönheit und die Sinnlichkeit zu Waren machen.
Der Kampf gegen sie - er ist auch eine Form der Liebe: zu unserem Planeten, zu den Schätzen, die uns allen gehören, zu unseren Kindern, denen wir dies alles weitergeben wollen. Dieser Kampf erst bereitet den Boden für die wunderbarste Quelle unseres Lebens: die Liebe. Denn wie schlecht steht es um die Liebe in einer verwüsteten Welt, in einer Gesellschaft mit Zeitmangel und ohne Solidarität, wie ärmlich bleibt sie, wenn unsere Köpfe vermüllt und unsere Seelen voller Furcht sind?"
Mathias Greffrath, Schriftsteller und Journalist, Berlin
"Ora et labora, das war die Lebensform des Heiligen Benedikt, als Wissen und Liebe dasselbe waren. Dafür konnte man nicht arbeiten, es fiel einem im Gebet zu. Damit man nicht der Melancholie verfiel und sich in der Welt verlor, arbeitete man - natürlich zur höheren Ehre Gottes.
In der Moderne sind Wissen und Liebe auseinander gefallen; Arbeitsethik ist an die Stelle der Liebesethik getreten. Seitdem ist Wissen Macht und Liebe - im Sex und in der Beziehungsarbeit - eben Arbeit geworden. Der Liebe laufen wir seither, melancholisch bis auf die Knochen, hinterher."
Barbara Vinken, Romanistin, München
"Liebe ist zunächst die zu anderen Menschen. Wen man liebt, mit dem teilt man das, was einem wichtig ist: Wissen und Kunst, Freizeit und Arbeit. Liebe kann sich auch direkt auf Arbeit und Wissen beziehen. Was man aus Liebe zur Sache macht, heißt im Englischen 'labour of love' und wird z.B. für die Wissensarbeit bei freier Software, freiem Spieledesign oder Wikipedia verwendet.
Die Neugierde, die Lust an der Entdeckung, die Liebe zum Wissen ist zweifellos die mächtigste menschliche Triebkraft. Natürlich ist Reichs Forderung so aktuell wie eh und je. Die digitale Revolution hat ideale Bedingungen dafür geschaffen, Wissen miteinander zu teilen und gemeinsam zu arbeiten. Beides, Wissen und Arbeit, gibt es heute im Überfluss. Aber wie steht es um die Liebe? Zwei brasilianische Freunde haben in ihrer Vortrags-Installations-Performance auf der Transmediale 2009 parallel zum global warming ein global cooling der menschlichen Beziehungen konstatiert. Ein Freund, den sie hier in Berlin nach langer Zeit wiedergetroffen haben, sagte zu ihnen: schickt mir eine E-Mail."
Volker Grassmuck, Soziologe, Berlin
"'Nicht der Mensch bewohnt diesen Planeten, sondern Menschen. Die Mehrzahl ist das Gesetz der Erde.'
Dieses Zitat von Hannah Arendt stellt für mich die Grundlage jeglichen Denkens über Liebe, Arbeit und Wissen dar - wir fühlen, schaffen und denken gemeinsam mit anderen, im Widerstreit mit anderen und auf andere hin. Die Anderen können ein Abstraktum sein oder uns konkret werden, als PartnerInnen, KollegInnen, MitstreiterInnen, GegnerInnen.
Virtuelle Welten haben die Zahl an konkreten Menschen, denen wir begegnen können, radikal erhöht. Wir knüpfen Netzwerke und Partnerschaften über Internetbörsen, informieren uns über Datenbanken und kooperieren per E-Mail.
Virtuelle Welten haben auch die Art der Konkretheit, in der wir uns begegnen, radikal verändert und neue Formen möglicher Täuschung und Ent-Täuschung geschaffen. Im entgrenzten Raum sind nur begrenzte Erfahrungen möglich und diese Begrenzungen verunsichern uns. Neue Freiheiten schaffen neue Ängste - doch wie sagt Hannah Arendt an anderer Stelle:
'Angst ist für das Überleben unverzichtbar.'"
Monika Mokre, Politologin, Wien
"'Liebe, Arbeit und Wissen sind die Quellen unseres Lebens; sie sollten es auch beherrschen' (Wilhelm Reich)
Dieser Satz scheint höchst aktuell. Eine der Folgen der Durchdringung aller Lebensbereiche mit digitaler Kommunikation ist eine Entgrenzung von Erwerbsarbeit und sozialem Leben. Neue Organisationsformen haben auch zur Folge, dass Arbeiten, die vorher im großem Umfang entweder gar nicht oder nur von professionellen Institutionen unternommen werden konnten, nun von Amateuren (Liebhabern einer Sache) ausgeführt werden können.
Der US-amerikanische Kommentator Clay Shirky bringt dies auf die folgende Formel: 'In the past, we could do little things for love, but big things, big things required money. Now, we can do big things for love.' (Wobei man nicht vergessen sollte, dass Liebe und Hass verwandt sind).
Im Zuge dieses strukturellen Wandels erleben wir aber auch die gegenteilige Tendenz. Der Versuch, sowohl das Wissen (durch Ausdehnung des Urheber- und Patentrechts) als auch die Liebe (durch die 'Inwertsetzung' sozialer Beziehungen in Form von Profilen auf Web2.0 Plattformen) der Logik der Arbeit zu unterwerfen. Im Moment findet eine Neudefinition des Verhältnisses von Liebe und Arbeit im Raum des Wissens statt."
Felix Stalder, Netztheoretiker, Wien/Zürich
"Einem Befund des französischen Wissenschaftssoziologen Bruno Latour zufolge sind wir Viktorianer des Wissens - wie diese zwar umsprungen von einer zunehmend größer werdenden Kinderschar und dennoch gleichermaßen prüde gegenüber den Belangen ihrer Herkunft. Dem Sex als blinden Fleck der Reproduktion von Menschen entspricht auch eine für die unablässige Reproduktion des Wissens konstitutive Blindheit - gegenüber den Dingen und den Figuren dieses Wissens. Aufklärung verspricht ein Denken, dass die menschlichen und die nicht-menschlichen Akteure nicht länger kategorial voneinander trennt, sondern sie nach den Modalitäten ihres Zusammenlebens befragt.
Der doppelte Wille zur Aufklärung von Sexualität und Wissen ist auch bei Wilhelm Reich ungebrochen. Sein eigener und sehr umstrittener Beitrag zur Arbeit an einer repressiven Sexualmoral verdoppelt auf wundersame Weise einen blinden Fleck, der aller Rede von der Befreiung eignet: Reichs Forderung, Liebe, Arbeit und Wissen seien nicht nur als Quellen des Lebens anzusehen, sondern zugleich als Faktoren seiner Beherrschung zu belangen, setzt in ihrer Aktualität eine unfreiwillige Pointe - war das Leben doch nie so dominiert wie jetzt und dennoch nie etwas anderes gewesen."
Stefan Rieger, Medien- und Kulturtheoretiker, Bochum
"Der dreifaltige Appell 'Liebe! Arbeite! Wisse!' stammt nicht nur aus Zeiten, in denen man sich mit dem Aufruf zu einem erfüllten Menschsein letzte Rettung versprach. Mit ihm wurde auch ein Gebot zur Vermehrung gesetzt, das den Erfolg von Lebensläufen und Karrieren nach der Aussicht auf libidinöse Dividenden, auf soziale und kulturelle Gewinnausschüttungen bemisst. Im Schatten dieses Imperativs entstand zwangsläufig ein humanes Prekariat: all jene Versager und Verlierer, deren Lüste, Beschäftigungen und Kenntnisse sich nicht in die Bildung von fruchtbarem Beziehungskapital konvertieren ließen.
Sofern sich mit jeder technologischen Transformation auch eine sozialtechnische verknüpft, sollte man allerdings die Gelegenheit des so genannten digitalen Zeitalters nicht verpassen. Denn wie alle Krisen des Regierens bietet auch die gegenwärtige mit ihrer erodierenden Kraft einen Anlass dazu, alte Herrschaftsformeln ebenso wie die dazugehörigen Regime des Wünschens zu vergessen; und eine Möglichkeit, die Frage der Lebensform nicht als eine längst beantwortete, sondern als offene und neu zu stellende zu begreifen. Es geht also weniger darum, ob, wie oder mit welcher Priorität auch heute noch 'Liebe, Arbeit und Wissen' unser Leben beherrschen sollen, sondern um die Frage, wie sich ein Wünschen nach weniger Beherrschung - durch wen oder was auch immer - erlernen lässt."
Joseph Vogl, Literaturwissenschaftler, Berlin
"Auch Liebe ist Arbeit. Für die Kunst hat der Spaß längst aufgehört. Und der Gewinn heißt: Augiasmus - Lust durch Pflichterfüllung.
Das bürgerliche Leben war streng in eigentliche und uneigentliche Lebenssphären geteilt. Eigentlich liebte man seine Frau - uneigentlich ging man ins Bordell, so, als ob man es gar nicht selber gewesen sei, als ob man nur unpersönlich einem Naturgesetz gehorche, demzufolge alle körperlichen Funktionen in regelmäßigem Abstand zur Geltung kommen müssten. Wer ins Bordell ging, tat das, um seine Funktionstüchtigkeit zu bekunden. Aber die Aufforderung, sich im Bordell freizumachen, war diktiert von Zwängen, wie sie auch in den ehelichen Zuwendungen herrschten. Reduziert auf ihre reine Funktion, machten die betreffenden Körperteile häufig durch Versagen des Dienstes dem Einzelnen klar, dass Lustgewinn nur durch harte Arbeit zu erreichen ist, die gleiche Arbeit, die man auch im Beruf zu leisten hatte. Im Bordell erfuhr der Bürger, wie es tatsächlich um ihn bestellt war: jedes hat seinen Preis; ihn zahlen zu können, verlangt Arbeit.
Die Effekte der bürgerlichen Kulturblüte wurden erreicht durch die Umstellung vom Prinzip Orgasmus auf das Prinzip Augiasmus. Herkulische Ausmistung der Augiasställe des Lebens verlangte Anstrengungen, durch die die körpereigene Opiatproduktion angeregt wurde. Die Olympiade der Bewältigung täglicher Pflichterfüllung gewährte Erschöpfungslust, wie heute das Langstrecken-Jogging, Body-Building und Extremsport aller Sparten."
Bazon Brock, Philosoph, Wuppertal
"Liebe, Arbeit und Wissen sind die Quellen unseres Lebens; sie beherrschen uns auch im Digitalzeitalter. Naturgemäß sind wir skeptisch, wenn wir hören, dass uns etwas 'beherrscht'. Doch in diesem Fall sind wir geneigt einzuwilligen. Wer unterwirft sich nicht gerne der Liebe, vorausgesetzt, sie nimmt einem nicht zu viel Luft weg? Wer arbeitet nicht gerne, vorausgesetzt, man erkennt noch Restbestände an Freiwilligkeit? Und wer erweitert nicht gerne sein Wissen, vorausgesetzt, das Wissen belebt und belastet nicht? Liebe, Arbeit und Wissen geben uns den Raum und die Kraft und die Zuversicht zu unserem Leben. Aber sie können auch ins Gegenteil umschlagen und uns den letzten Raum, die letzte Kraft und die letzte Zuversicht rauben! Was sollte sich daran im Digitalzeitalter ändern? Aber vielleicht bekommen wir ja Gesellschaft. Die Geister, Götter, Teufel und Feen früherer Zeiten haben wir verjagt; wir wissen kaum noch, wie es ihnen geht. Bald bekommen wir es mit intelligenten Maschinen, Robotern und intelligenten Wesen im Internet zu tun. Wie werden wir sie beobachten? Wie werden wir uns mit ihnen arrangieren? Werden wir nicht auch sie mit den Verführungen von Liebe, Arbeit und Wissen zu umgarnen versuchen? Und werden wir nicht mit einer leicht diebischen Freude zuschauen, wie sie sich in die Liebe, die Arbeit und das Wissen verstricken und es bald mit denselben Dilemmata zu tun bekommen, die wir jahrhunderte-, jahrtausendelang einigermaßen zu bewältigen gelernt haben? Wir werden ihnen zuschauen, wie schnell sie tatsächlich sind. Und wir wären überrascht, oder nicht?, wenn diese künstlichen Intelligenzen nicht nur rechnen und denken, sondern auch kommunizieren lernten. Ich meine nicht den simplen Signalaustausch. Kommunikation, das ist die Fähigkeit, unter unabhängigen Lebewesen Beziehungen der Abhängigkeit aufzubauen und zu unterhalten, die die Unabhängigkeit eher steigern als reduzieren. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Werden die Maschinen rausfinden, wie das geht? Die meisten Menschen haben es ja selber noch nicht begriffen, so geschickt sie auch immer mit der Sache umzugehen vermögen. Liebe, Arbeit und Wissen: das sind Modalitäten der Kommunikation, unbezahlbar in ihrem Raffinement und ganz schwer zu kopieren. Vielleicht muss man sogar vermuten, aber das geht jetzt schon zu weit, dass es sich bei der Liebe, der Arbeit und dem Wissen um Beziehungen handelt, die nur im Medium des Analogen, der qualitativen Modifizierung von Berührung, möglich sind. Dann allerdings hätten die digitalen Maschinen des Digitalzeitalters, die schnellen Rechner, doch ein Defizit, das so ohne Weiteres nicht zu korrigieren ist. Aber wissen wir es?"
Dirk Baecker, Soziologe, Friedrichshafen
"Als man in den 1990ern die kostenlose Produktion von Inhalt für das Internet als Geschenkökonomie idealisierte, wurde zugleich die Arbeit als Hobby deklariert. Ihre Helden waren die Hacker mit ihrem 14 Stunden Tag. Grundlage der Hacker-Ethik war nicht das Programmieren, sondern die Leidenschaft (auch ein Tischler kann Hacker sein). So verliebten sich die protestantische Arbeitsethik und die Erlebnisgesellschaft.
Mit der Kultur der Amateure, die für den politischen Weblog schreiben, Videos auf YouTube stellen, Artikel für Wikipedia redigieren und danach an Flash-Animationen basteln, wurden alte Träume wahr. Der kommunistische Mensch, hieß es 1845 in Marx' und Engels' 'Deutsche Ideologie', wird nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit haben, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden, was ihm ermöglicht, 'heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren … ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden'. Diese Kultur der Amateure ist nun Realität geworden, zumindest im Bereich der digitalen Medien. Und seit es Laptops gibt, kann man die Arbeit auch immer bei sich haben. So entstand die Rede von der 'digitalen Boheme', die sich selbstbestimmt verwirklicht jenseits der Festanstellung. Und so scheinen sich schließlich auch Kommunismus und Kapitalismus gefunden zu haben.
Andere sprechen wenig euphorisch von der 'Generation Praktikum' und nennen die Fan-Labore im Web 2.0 gar eine moderne Variante der Sklaverei, die kostenlos das nötige Umfeld für Werbespots schafft. Aber das sind Menschen mit einer elitären Ästhetik, die generell keine Happy Ends mögen.
Und ich? Auch ich sitz gern 14 Stunden am Computer, um Wissen anzuhäufen und auszuteilen. Ich nenne es nicht Arbeit. Ich liebe es. Nur manchmal, manchmal, wenn das Abendlicht auf die Tastatur fällt, wünsch ich mir, ich hätte mehr Zeit für die Viehzucht."
Roberto Simanowski, Medienwissenschaftler, Berlin/Boston
"Mit der Zeit ist sie hellsichtig geworden. Sie findet in ihrem Geist eine ganze Sammlung von Bildern und Äußerungen, denen sie Sinn verleihen kann. Wenn sie diese wunderbare Anhäufung nur richtig behandeln würde, könnte sie weitere Räume durchqueren als zunächst ersichtlich.
Sie könnte über die wahrnehmenden und empfindenden Zustände des Erlebten hinausgelangen und weiterführende Empfindungen einer zukünftigen Wahrnehmung anvertrauen. Doch diese würde nicht einfach einem intellektuellen, sensiblen oder gesellschaftlichen Bewusstsein entspringen, sondern der mitwirkenden Handlung der Konjunktion 'und'. In ihr steckt die Vielheit, die in allen Beziehungen mitschwingt und uns mit Leben zu bevölkern beginnt.
Sie verlangt von uns, zu einem gegebenen Potential ein anderes, aber nicht irgendeines zu wählen, und zwar so, dass sich eine Differenz zwischen Potentialen herstellen kann, die als solche eine Dynamik besitzt. Das ist Wissen und Arbeit und Liebe, wie sie sich keiner kategorialen Ordnung verdanken, sondern der Intention des 'und'."
Eva Meyer, Philosophin, Berlin
"Für jede ARBEIT braucht man ein gewisses Grundwissen
und WISSEN ist selbst das Ergebnis stetiger Arbeit.
Nur LIEBEN kann man ohne zu arbeiten und braucht dafür nichts zu wissen.
LIEBE ist die schöpferische Pause,
die Arbeit und Wissen außer Kraft setzt."
Aleida Assmann, Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, Konstanz
"'Liebe' - so eine berühmte Formel - heißt: 'Geben, was man nicht hat.' Liebe und Wissen sind also kein garantierter Besitz, ein für alle mal. So ähnlich wie der ungewissen Kunst der Liebe ergeht es auch dem Wissen: Selbst wenn wir, mit Sokrates gesprochen, wissen, dass wir nichts, oder auch nur zu wenig, wissen, wissen wir immer noch nicht, was wir auf welche Weise nicht wissen.
Im Zeitalter der Computer grassiert zwar der vielversprechende Slogan von der globalen Informationsgesellschaft. Doch betrachten wir nüchterner den seltsamen Status, der dem Wissen und der Wissbegier, der Information und der Überlieferung zukommt - von Epoche zu Epoche.
Gewiss: die weltweit sich beschleunigende Ausdehnung der Informationsmaschinen und ihrer bis dato unvorstellbaren Datenspeicher verändern die Zirkulation und Verbreitung von Bildern, Tönen und Texten. Und die Erkenntnis der Kybernetik, dass Information, neben Energie und Materie, zum Zauberwort der Wissenschaften avancierte, ist gewiss ein Novum in der Geschichte der 'Grundbegriffe des Lebens'.
Doch es werden stets nur bestimmte Informationen ausgewählt, aufbewahrt und überliefert. Ohne Selektion keine Kommunikation, ohne Vergessen kein Erinnern, ohne Archiv keine Macht des Wissens und keine über das Wissen. Und hier haben wir wieder, wie schon bei der Liebe, die Ungewissheit.
Das Modell der Bibliothek als Zeuge und dauerhafte Bleibe des Wissens rivalisiert nun mit den verteilten Netzwerken des dynamischen Internets. Wer aber beurteilt und selegiert in Zukunft die Qualität und die Macht der neuen Wissensspeicher? Oder beginnen wir bereits, in der geschichtsvergessenen Postmoderne diese Frage nach der Qualität und Macht des Wissens zu vergessen?"
Georg Christoph Tholen, Medienwissenschaftler, Basel
"Wilhelm Reichs Motto 'LAW' liegt nicht auf der Ebene seiner präzisen theoretischen Begriffe, sondern eher auf der Ebene der Ideen: es drückt keine Erkenntnis aus, sondern eher eine vage Hoffnung. Karl Marx hätte so etwas wohl als 'trinitarische Formel' bezeichnet und spöttisch gefragt: 'Was ist das überhaupt für eine Aufzählung?'
Aufgrund dieser Unklarheit enthält das Motto keine Lösung, sondern wirft eine Reihe von Fragen auf: - Liebe: in welcher gesellschaftlichen Form? Familie? Ehe? Geschlossene oder offene Zweierbeziehung? Gesellschaftlich anerkannte Polygamie von Singles? Arbeit: unter welchen Eigentumsverhältnissen? Wissen: warum gerade Wissen? Und nicht etwa all das andere, was unsere Herzen höher schlagen lässt? Musik, Mode, großes Kino, Fußball, Müßiggang, Tabak- oder Weingenuss etc.?
Immerhin fällt mir ein, dass alle diese Freuden immer ein bestimmtes Wissen zur Voraussetzung haben. Wenn ich mich also müßig zurücklehne, all die Fragen kurz vergesse und mit halb zugekniffenen Augen zu träumen beginne, dann gefällt es mir gar nicht so schlecht, mir die Menschheit als Ensemble von liebenden, arbeitenden und wissenden Wesen vorzustellen."
Robert Pfaller, Philosoph, Wien