Hugo Ball Tenderenda, der Phantast
2 Teile
"Sind wir nicht magische Eklektizisten?"
Hugo Ball
Das ungestüme, wild überbordende Textkonvolut Tenderenda, dessen Teile in der Zeit zwischen Herbst 1914 und Juli 1920 geschrieben wurden, ist das „geheime Vermächtnis“ Dadas. Das zweiteilige Hörspiel präsentiert dieses von Ball auch einmal als „Phantatischer Roman“ bezeichnete Werk ohne Kürzungen. Es wurde einer Leserschaft erstmals 1967 in Buchform zugänglich gemacht, aber bereits zu Lebzeiten Balls waren markante Teile dieses als „work in progress“ entstandenen Textes auf diversen Dada-Soiréen immer aufs Neue bühnenwirksam erprobt worden.
"Ich weiß einige sehr lustige Dinge, die möchte ich gerne aufschreiben. Einiges davon lese ich oben in der Kneipe vor und man freut sich manchmal sehr darüber. Das ist so etwas wie Bruchteile aus einem satirisch-phantastisch-pamphletisch-mystischen Roman. Weiß der Teufel, was für eine Mißgeburt. Aber irgendwie hängts mit der Zeit zusammen."
schreibt Hugo Ball am 2. Juni 1916 an seinen Freund August Hofmann
Wer sich heute an Tenderenda wagt, dem entzündet sich ein Feuerwerk. Die Überschriften der 15 Sequenzen – „Das Karusselpferd Johann“ etwa, „Der Untergang des Machetanz“, „Satanopolis“, „Grand Hotel Metaphysik“, „Der Verwesungsdirigent“ – sind dabei Programm. Jedes Genre ist erlaubt. Alles ist Parodie, alles Subversion. Eine jede Phantasie führt in die richtige Richtung – und weist dabei stets auf jenes erschütternde Ereignis hin, das die damalige Welt komplett aus den Angeln gehoben hat: den Ersten Weltkrieg. Seither war nichts mehr, wie es war. Schon gar nicht die Kunst. Wie alle weltanschaulichen Gebäude zerfiel auch sie in lauter Einzelteile. Mit phantasievollen Tricks versuchten Künstler allerorten, sich den perfiden Gedankengängen der Herrschenden zu entziehen. Sie unterliefen die an sie gesteckten Erwartungen und konterkarierten den Wahnsinn der Welt durch Klamauk, was gedanklichen Tiefgang nicht ausschloss. Ihr Mittel, sich vom technokratischen Wahnsinn der Kriegstreiber zu distanzieren, war die absolute Freisetzung der Sprache. Und auch wenn sie dabei nicht selten um das Goldene Kalb des l'art pour l'art tanzten, wurden sie vielleicht gerade deswegen – je zynischer die Farce – zur moralischen Instanz.
"In dem Maße, in dem sich das Grauen verstärkt, verstärkt sich das Lachen. Die Gegensätze treten grell hervor. Der Tod hat magische Gestalt angenommen. Sehr bewusst wird dagegen das Leben verteidigt, die Helle, die Freude. Die hohen Gewalten treten persönlich in die Schranken. Gott tanzt gegen den Tod."
Tenderenda: Bulbos Gebet und Der gebratene Dichter
Richard Huelsenbeck hat es auf den Punkt gebracht:
"Wenn nie jemand die Einsicht hätte, zu begreifen, dass der Dadaismus ein notwendiges, sehr ernsthaft gemeintes Vorgehen gegen eine verlorene Geistigkeit war, müsste er vor der nun vollendeten Entwicklung Hugo Balls sehen, dass es hier positive Werte gab, die sich mit einem Aufschrei gegen eine feindselige Umgebung zur Wehr setzten."
Richard Huelsenbeck
Hugo Ball: Tenderenda der Phantast (1-2)
Regie: Michael Farin
BR 2016 | Hörspiel Pool Download
Hugo Ball (1886–1927), Autor, Dramaturg, Schauspieler, Begründer des Cabaret Voltaire und Hauptinitiator des Zürcher Dadaismus. Aufgewachsen in gutbürgerlichen Verhältnissen einer streng katholischen Familie. 1906–10 Studium der Germanistik, Soziologie und Philosophie in München und Heidelberg. Bruch mit den Eltern und Wechsel an das Max Reinhard Seminar in Berlin. 1911–12 Dramaturg in Plauen, 1912–14 Dramaturg an den Münchner Kammerspielen. Mitarbeit für Zeitschriften und Lektor verschiedener Theaterverlage. Im Februar 1915 Veröffentlichung Ein literarisches Manifest (gemeinsam mit Richard Huelsenbeck), Emigration nach Zürich, Tourneen als Klavierspieler und Texter mit dem eigenen Varieté-Ensemble durch die Schweiz. Februar 1916 mit Hans Arp, Emmy Hennings, Tristan Tzara und Marcel Janco Gründung des Cabaret Voltaire in Zürich. Rückzug vom aktiven Kreis der Dadaisten, 1917–20 Mitarbeiter und dann Verlagsleiter der „Freien Zeitung“. Wendung zum orthodoxen Katholizismus und Studium der alten Mystiker. Ab 1920 wohnhaft im Tessin, enge Freundschaft mit Hermann Hesse.
Werke u.a. Die Nase des Michelangelo (Tragikomödie, 1911), Cabaret Voltaire. Eine Sammlung künstlerischer und literarischer Beiträge (Hg., 1916), Flametti oder Vom Dandysmus der Armen (Roman, 1918), Zur Kritik der deutschen Intelligenz(1919), Byzantinisches Christentum. Drei Heiligenleben (1923), Die Folgen der Reformation (1924), Hermann Hesse. Sein Leben und sein Werk (1927), Die Flucht aus der Zeit (Aphorismen, 1927).