Ferrantes Weltbesteller als Hörspiel Meine geniale Freundin
Figurenreich, facettenreich, vielstimmig: "Meine geniale Freundin", der erste Teil der Neapolitanischen Saga als Hörspiel, erzählt die Freundschaft zwischen Lila und Lenù - nach dem Weltbestseller von Elena Ferrante.
Blind Date mit der weltberühmten Schriftstellerin Elena Ferrante - wie der BR an die Hörspielrechte kam
Um ein Hörspiel produzieren zu dürfen, braucht es eine Zusage der Autorin oder des Autors. Im Fall von Ferrante besonders schwierig: Die anonym schreibende Schriftstellerin gilt als strenge, kompromisslose Verhandlungspartnerin.
"Auf die erste Anfrage bekam ich vom Verlag nur die wenig ermutigenden Worte zurück, ich möge ein Konzept schicken, es sei aber unwahrscheinlich, dass die Autorin einer Bearbeitung zustimmen würde. Da die anonyme Autorin Ferrante als Gegenüber wenig greifbar ist, kam es mir ein bisschen so vor, wie einem Blind Date zu schreiben – wie ich mir die Adaption des Stoffes, die Aufteilung der Stimmen, die Auflösung der Szenen vorstelle und in welchem Programm-Kontext 'Die neapolitanische Saga' aufgehoben wäre. Was Frau Ferrante überzeugt hat, weiß ich nicht, aber nach einigen Wochen kam eine freudig überraschte Nachricht vom Verlag, dass Elena Ferrante einer Bearbeitung der kompletten Neapolitanischen Saga fürs Radioprogramm und Online zustimmt."
BR-Hörspiel-Chefdramaturgin Katarina Agathos
Die Entstehung des Ferrante-Hörspiels: Ein Making-Of hinter den Kulissen des BR
Wer ist Elena Ferrante, die Autorin von "Meine geniale Freundin" aus der "Neapolitanischen Saga"?
Mit dem Erscheinen ihres Debütromans „Lästige Liebe“ im Jahr 1992 hatte sich Elena Ferrante für die Anonymität entschieden - und gegen den Medienrummel.
"Mein Wunsch nach Anonymität basiert auf einem Charakter, der fast neurotisch unantastbar sein will. Ich werde der Öffentlichkeit fern bleiben."
(Elena Ferrante)
Obwohl - auch nach internationalem Rätselraten in den sozialen Medien - mehrere Quellen inzwischen beanspruchen, die Autorin hinter dem Pseudonym zu kennen, haben Ferrantes Verleger in Italien ihre Identität nie bestätigt. Elena Ferrante bleibt anonym.
Ihre „Neapolitanische Saga“ umfasst
- „Meine geniale Freundin“
- „Die Geschichte eines neuen Namens“
- „Die Geschichte der getrennten Wege“
- „Die Geschichte des verlorenen Kindes“.
Für den vierten und letzten Band der Reihe stand sie auf der Shortlist für den Man Booker International Prize. Die vierteilige Romanserie war sowohl in den USA also auch in weiten Teilen Europas ein Bestseller.
Elena Ferrantes Werke basieren oft auf Fragmenten ihrer Biographie - wie sie entstehen, darüber schreibt sie:
"Bei mir gibt es eine Zeit, bevor die Erzählung geboren wird. Sie besteht aus Gedächtnisfragmenten. Kennst du das Gefühl, Noten aus irgendeiner Arie im Kopf zu haben, aber du weißt nicht, welche? Du beginnst zu trällern, und am Ende kommt ein ganz anderes Lied heraus? Nicht das, was dich die ganze Zeit gequält hat? Oder wenn du dich an eine Straßenecke erinnerst, aber nicht mehr weißt, wo sie ist? Um diese Fragemente zu benennen, benutze ich ein Wort, das meine Mutter oft verwendete, frantumaglia, Trümmerhaufen. Also kleine Bruchstücke, deren Herkunft schwer zu ergründen ist. Sie schwärmen im Kopf herum, machen großen Lärm, und können manchmal bis zur Übelkeit führen."
(Elena Ferrante)
Jonathan Franzen, Hillary Clinton und Hörspiel-Schauspielerin Rosalie Thomass im "Ferrante-Fever"
"Ich hab noch nicht geknackt, wie Elena Ferrante das macht, dass man bei Lesen und Hören so mitfiebern kann. Es könnte auch eine Soap Opera sein, aber es ist halt viel besser! Es ist so kraftvoll und gesellschaftlich relevant und politisch interessant."
(Rosalie Thomass, Schauspielerin und Sprecherin der Elena Greco)
"Ihr Stil ist nicht auffällig, sie verwendet keine ausgefallenen Wörter, setzt nicht auf komplizierte Metaphern, will einen nicht mit ihrer Prosa beeindrucken. Aber man hat, wie bei Alice Munro, das Gefühl, dass hinter jedem Satz ein Gedanke steckt. Und sie beschreibt sehr genau, wie jemand die Straße hinuntergeht, einen Laden betritt, etwas kauft, mit zwei anderen Personen. Das ist scheinbar ganz schlicht gemacht, nur eine Reihe von Vorgängen. Aber dort steht nichts, was nicht notwendig wäre. Und auch wenn die Sätze nicht auffällig sind, sie sind alle makellos."
(Jonathan Franzen, Schriftsteller)
Auch Hillary Clinton zählt zu den Fans von Ferrante:
"Ich habe etwas zu lesen angefangen, und bin hypnotisiert. Die neapolitanische Saga von Elena Ferrante. Ich habe den ersten Band bekommen und konnte nicht mehr aufhören zu lesen oder daran zu denken. Ich bin darin völlig versunken."
(Hillary Clinton)
Wären Ferrantes Bücher Spielfilme, man würde sie als Straßenfeger bezeichnen. Ihre Bücher ziehen Leser und Leserinnen aus aller Welt in den Bann. Über das "Ferrante-Fever" entstand in Italien eine Dokumentation, abrufbar in der BR-Mediathek:
Der Rione - Bezugspunkt für Elena und Lila
"Rione, das heißt einfach nur „Stadtteil“ und dieser Ort zwischen den Bahngleisen und den Schnellbahnen im Industrieviertel ist ein weißer Fleck gewesen auf allen touristischen Landkarten Neapels, bevor es Elena Ferrantes Bücher gab. Das wäre so ähnlich, als ob ganze Karawanen von Bustouristen aus Japan zum Beispiel München Laim besuchten."
(Reiseleiter Peter Amann, schreibt an einem Touristenführer über Neapel)
Von den 1950er Jahren bis in die Gegenwart wird die Entwicklung der beiden so verschiedenen Frauen beschrieben, die aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Begabungen aus dem sozialen Gefüge des Rione herausstechen und doch in ihm verhaftet bleiben. Während es der eher ängstlichen und fleissigen Elena gelingt, sich zumindest äusserlich aus dem Rione heraus zu lernen, zu arbeiten und zu schreiben, wird die phantasiebegabte und furchtlose Lila ihn zeitlebens nicht verlassen.
"Der Rione hatte sich im Gegensatz zu uns überhaupt nicht verändert. Die grauen Häuser, der Hof, der Stradone, die dunklen Öffnungen des Tunnels und die Gewalt hatten die Zeit überdauert. Aber der Rione verwies auf die Stadt, die Stadt auf Italien, Italien auf Europa, Europa auf den ganzen Planeten. Nicht der Rione ist krank, die ganze Erde ist es, das Universum oder die Universen. Und die Kunst besteht darin, den wahren Zustand der Dinge vor anderen und vor sich selbst zu verbergen."
(aus Die Geschichte der getrennten Wege)
Leichthändig spannt Ferrante einen Bogen über die europäische Geschichte der Nachkriegszeit mit ihren vielfältigen Brüchen und politischen Herausforderungen. Das Thema Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern und den sozialen Schichten, der Einfluss der Camorra in Neapel, die Aufarbeitung der Traumata faschistischer Diktaturen in Europa, die Zeit der Studentenbewegung in den 1960er Jahren, all dies bildet den Hintergrund der beiden miteinander verwobenen Einzelschicksale von Elena Greco und Lila Cerullo.
"Große Schriftsteller sind in der Lage, Aspekte der Wirklichkeit uns in einem ganz neuen Licht zu zeigen."
(Sandro Ferri, Verleger von Elena Ferrante)
Ferrantes neapolitanische Saga - Eine lebenslange Freundschaft im Italien des letzten Jahrhunderts
Als Lila und Elena beschließen, den gefürchteten Schwarzhändler Don Achille aufzusuchen, weil sie eine ihrer Puppen in seinen Kellerschacht geworfen haben, ändert sich alles: Lila, mutig und bisher für die zaghafte Elena weit entfernt scheinend, nimmt Elenas Hand. Und die beiden klopfen gemeinsam an die Tür.
"Noch auf dem Heimweg begann ich mir Sorgen zu machen. Wenn Stefano sie nun umbrachte? Wenn Antonio nun mich umbrachte? Wie schwer es war, sich zurechtzufinden. Wie schwer es war, gegen keine der vielfältigen Männerregeln zu verstoßen."
(Elena in Die Geschichte des neuen Namens)
Was vor der Tür Don Achilles seinen Anfang nahm, durchläuft alle Facetten einer großen Freundschaft – tiefes Vertrauen, bedingungslose gegenseitige Unterstützung, Neid, Missgunst und schonungslose Offenheit. Und obwohl sich die Lebensläufe der beiden weit auseinanderentwickeln, bleiben Elena und Lila fast symbiotisch verbunden. In einem seltenen Moment der Selbstoffenbarung platzt Lila einmal heraus:
"Ich erwarte Großes von dir, ich bin mir sicher, dass du es besser kannst, ich will, dass du es besser machst, denn wer bin ich, wenn du nicht gut bist, wer bin ich dann?"
(Lila an Elena, in Die Geschichte der getrennten Wege)
Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern, Kindern aus Arbeiter- und Akademiker- und Camorrafamilien, der Einfluss der Camorra in Neapel, die Aufarbeitung der Traumata faschistischer Diktaturen in Europa, die Zeit der Studentenbewegung in den 1960er Jahren: All dies bildet den Hintergrund der beiden miteinander verwobenen Einzelschicksale von Elena Greco und Lila Cerullo.
"Könnt ihr euch vorstellen, was es heißt, vom Ablösen der Tierknochen lauter Wunden an den Fingern zu haben? Männer und Frauen müssen Leibesvisitationen über sich ergehen lassen, denn am Ausgang gibt es ein sogenanntes Stoppsignal. Wenn Rot statt Grün aufleuchtet, bedeutet das, dass du Salami oder Mortadella gestohlen hast. Dieses Stoppsignal wird vom Pförtner bedient, einem Spitzel des Fabrikbesitzers, der nicht nur bei möglichen Dieben auf Rot schaltet. Sondern vor allem bei hübschen, widerspenstigen Mädchen und Nervtötern. Die Gewerkschaft ist dort nie gewesen, und die Arbeiter sind dem Gesetz des Chefs unterworfen, das besagt: Ich bezahle dich, also besitze ich dich."
(Lila in Die Geschichte der getrennten Wege)
Die Figuren und ihre Darsteller
Elena Greco jung | Ann-Sophie Ruhbaum | |
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Elena Greco mittel | Rosalie Thomass | |
Elena Greco älter | Christiane Roßbach | |
Mutter Greco | Annette Paulmann | |
Vater Greco | Stefan Wilkening | |
Peppe | Anton Winstel | |
Gianni | Johann Winstel | |
Elisa, Elenas jüngere Schwester | Linda Blümchen |
Raffaella ‚Lila‘ Cerullo jung | Helena Schrei | |
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Raffaella ‚Lila’ Cerullo mittel | Enea Boschen | |
Raffaella 'Lila' Cerullo alt | Sylvana Krappatsch | |
Rino Cerullo, Lilas älterer Bruder | Roland Schreglmann | |
Rino Cerullo (40) | Ferdinand Dörfler | |
Fernando Cerullo, Lilas Vater, Schuhmacher | Michele Cuciuffo |
Melina Cappuccio, Witwe | Rahel Comtesse | |
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Ada Cappuccio, Antonios jüngere Schwester, Pasquales Verlobte | Luise Zehner, Liliane Amuat (erwachsen) | |
Antonio Cappuccio, Melinas Sohn, Automechaniker, Elenas erster Freund | Camill Jammal | |
Nunzia Cerullo, Lilas Mutter, Hausfrau | Hanna Scheibe |
Donato Sarratore, Zugschaffner, Dichter | Florian Fischer | |
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Nino Sarratore, Donatos Sohn, Jugendschwarm Elenas | Anselm Müllerschön | |
Nino Sarratore jung | Finjo Gollner | |
Marisa Sarratore, Ninos Schwester, Frau von Alfonso Carracci | Leandra Fili |
Don Achille Carracci, Schwarzhändler | Wolfgang M. Bauer | |
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Mutter Carracci | Sandra Schwittau | |
Stefano Carracci, betreibt die Salumeria | Timocin Ziegler | |
Alfonso Carracci, Stefanos jüngerer Bruder | Valentin Mirow | |
Pinuccia Carracci, Stefanos jüngere Schwester, Rinos Verlobte | Pola O’Mara |
Carmela Peluso, Schulkameradin von Elena und Lila | Annika Schiegg, Xenia Tilling (erwachsen) | |
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Pasquale Peluso, Carmelas älterer Bruder, Maurer | Florian von Manteuffel |
Marcello Solara, Sohn des Padrone | Shenja Lacher | |
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Michele Solara, Bruder von Marcello | Aurel Manthei | |
Vater Greco Manuela Solara, Mutter, Wucherin | Ilona Grandke | |
Gigliola Spagnuolo, Elenas Schulkameradin, arbeitet in Solara-Bar, dann Ehefrau von Michele Solara | Julia Riedler |
Professor Airota, Professor für griechische Literatur | Rene Dumont | |
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Adele Airtoa, seine Frau, Übersetzerin | Irina Wanka | |
Pietro Airota, Elenas Studienfreund und späterer Ehemann | Jakob Geßner | |
Mariarosa Airota, Tochter, Dozentin für Kunstgeschichte in Mailand | Marie Jensen |
Enzo Scanno, Lilas Schulkamerad, Gemüsehändler, später Informatiker und Lebenspartner Lilas | Sebastian Fischer | |
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Enzo Scanno jung | Leonard Dölle | |
Gino, Sohn des Apothekers | Moritz Zehner, Manuel Kandler (erwachsen) | |
Junger Mann/Carabinieri | Andreas Dirscherl | |
Lehrerin/Schneiderin | Michaela Steiger | |
Maestra Oliviero, Elenas und Lilas Grundschullehrerin | Viola von der Burg | |
Maestro Ferraro | Stefan Merki | |
Religionslehrer | Stefan Merki | |
Nella Incardo/Schreibwarenhändlerin | Caroline Ebner | |
Frauenstimme | Hemma Michel | |
Eleonora, Frau von Nino Sarratore, aus der neapolitanischen Oberschicht | Natalie Spinell | |
Franco Mari, Studentenführer, kurze Zeit Elenas Geliebter | Sebastian Weber | |
Juan, Venezolanischer Maler | Thomas Hauser | |
Silvia, Studentin, Mutter eines unehelichen Sohnes von Nino Sarratore | Jenny Langner | |
Dario, Student, Kommunist | Lukas Rüppel | |
Capone , Gewerkschaftssekretär | Peter Weiß | |
Junger neapolitaischer Anwalt | Patrick Nellessen | |
Frauenarzt | Rainer Buck | |
Kardiologe | Jochen Striebeck | |
Neurologe | Christian Baumann | |
Alte Professoressa, prüft Elena im Abitur | Ilona Grandke | |
Professor | Steffen Höld | |
Lektor, in Elenas Verlag | Michael Goldberg | |
Kritiker | Walter Hess | |
Redakteur der Unita | Marco Steeger |
Professoressa Galiani, Elenas Lehrerin am Gymnasium, Kommunistin | Wiebke Puls | |
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Nadia, ihre Tochter und Jugendliebe von Nino Sarratore | Mareike Beykirch | |
Armando, ihr Sohn, Medizinstudent | Florian Jahr |
Bruno Soccavo, Freund von Nino Sarratore Besitzer einer Wurstfabrik | Omid Memar | |
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Filippo, Wachmann | Heinz-Josef Braun | |
Teresa, das Riesenweib aus der Zerlegeabteilung | Katja Bürkle | |
Edo, Arbeiter | Sebastian Winkler | |
Arbeiter-Mädchen | Nina Steils | |
Titina, Nachbarin von Enzo&Lila in San Giovanni | Catalina Navarro Kirner |
Hörspiel nach Elena Ferrante
Aus dem Italienischen von Karin Krieger
Besetzung: Andrea Fenzl
Komposition: Ulrike Haage
Ton und Technik: Marcus Huber / Gerhard Wicho / Josef Angloher / Daniela Röder / Fabian Zweck / Anton Wunder
Produktionsassistenz: Stefanie Ramb
Bearbeitung und Regie: Martin Heindel / Katja Langenbach
Dramaturgie und Redaktion: Katarina Agathos
BR 2020/2022, Ursendung