Bayern 2 - Hörspiel


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Laurence Sternes einzigartiger Roman als Hörspiel in 9 Teilen "Tristram Shandy"

Nicht-lineares Storytelling mit Abschweifungen zu Monty Python, ins Internet und in die Popmusik

Stand: 30.04.2018 | Archiv

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"Was eine Hörspielbearbeitung vermag, die auf einem Text basiert, der Mitte des 18. Jahrhunderts das nichtlineare Erzählen in die Romanform einführte und die typografische Textgestaltung als sinntragendes Stilmittel einsetzte, kann man in Bruckmaiers Inszenierung des 'Tristram Shandy' hören. Große Kunst."

Jurybegründung zur Nominierung Deutscher Hörbuchpreis 2016 in der Kategorie 'Bestes Hörspiel'

Einzigartiges Werk in der Literaturgeschichte

Stefan Merki als Tristram

Laurence Sternes Tristram Shandy ist ein einzigartiges Werk in der Literaturgeschichte: Erschienen zwischen den Jahren 1759 und 1767, experimentiert Sterne in diesem neunbändigen Roman selbstbewusst mit der Form. In einer Zeit, als der Roman selbst noch nicht klar definiert oder gar etabliert ist, lotet Sterne bereits dessen Grenzen aus.

Sterne spielt mit der Wirkung auf seine Leser und lässt wie nebenbei fragwürdig erscheinen, wie er überhaupt erzählen kann, wovon er vorgibt, erzählen zu wollen: Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman. Verspricht der Titel nämlich eine wohlgeordnete und fein aufbereitete, womöglich auf ein Ziel hin erzählte Lebensgeschichte, so enttäuscht der Erzähler diese Erwartungen sofort. Eine stringente Biografie beinhalten die neun Bände sicherlich nicht.

Assoziative Struktur

Gabriel Raab mit Steckenpferd

Stattdessen prägt den Roman eine assoziative Struktur: Vor und zurück blickt der Erzähler, der sich nicht an eine Chronologie halten mag; ebenso wechselt sein Gestus – von beißender Satire oder einem spöttischen Ton bis zu pathetischen Beschreibungen. Und auch optisch verrät Sternes Roman, dass er sich nicht an das hält, was seine Gattung bisher auszeichnete.

Das Vorwort leitet die Geschichte nicht ein, es wird stattdessen nachgereicht, mitten in der Erzählung. Und die wiederum ist gespickt mit Auffälligkeiten: mit Auslassungen, Reihen von Sternchen-Symbolen, oder mit ganzen Kapiteln, die fehlen. Andere Seiten sind dafür ganz in schwarz gehalten, gefüllt mit Druckerschwärze, nicht mit sinnerfüllten Zeichen. All das sind Hinweise darauf, dass die Ordnung hier bewusst gebrochen wird, dass Autor und Erzähler Freigeister sind, die weniger an einer Biografie interessiert sind als an der bis heute bestehenden Frage, ob sich eine solche erzählen lässt. Vom Leben dieses vermeintlichen Protagonisten und Ich-Erzählers, Tristram Shandy, liest man entsprechend wenig – seiner Zeugung wird ebenso viel Aufmerksamkeit geschenkt wie seiner Geburt, von der erst im dritten Band berichtet wird. Sehr einprägsame und detailreiche Beschreibungen gelten dagegen anderen Figuren: allen voran Tristrams Vater und seinem Onkel Toby – zwei äußerst eigenwillige, bisweilen schrullige Charaktere, die der Erzähler aber nie so sehr dem Lächerlichen preisgibt, dass sie darüber ihre liebenswerte Note verlieren, ganz Karikatur werden.

Urtext aller Genreverletzungen

Kathrin von Steinburg mit Steckenpferd

Nietzsche galt Sterne deshalb als „der freieste Schriftsteller aller Zeiten“, gegen ihn, so schreibt er in Menschliches Allzumenschliches II, seien „alle anderen steif, vierschrötig, unduldsam und bäuerisch-geradezu“. Mit dieser Haltung hat Sterne die Geschichte des Romans geprägt und ist zu einer Instanz für folgende Schriftstellergenerationen geworden.

Auch in Deutschland blickten Autoren bewundernd auf den schreibenden Pfarrer aus England und seinen Tristram: Goethe und Zelter etwa tauschten im Briefwechsel ihre Lektüreeindrücke aus, und Lessing ließ sich zu der Aussage bewegen, er würde Sterne gerne fünf seiner Lebensjahre abtreten, wenn dieser sie nur schreibend verbringen wolle. Eine erste Übersetzung ins Deutsche folgte entsprechend früh, 1769. Auf der Übertragung von Michael Walter basiert nun die Bearbeitung für das Radio von Karl Bruckmaier. Dessen Ziel es ist, „den Hörgewohnheiten des 21. Jahrhunderts ebenso Rechnung zu tragen wie den zeitlosen, den klassischen Qualitäten dieses Urtexts aller Genreverletzungen“:

"Samuel Johnson, Englands Kritikerpapst des 18. Jahrhunderts, murrte dereinst, dass nichts Komisches von Dauer sein könne – selbst Tristram Shandysei bereits vergessen. Das Gelächter, das diese gewagte Äußerung auslöst, mag sich zu dem Lachen gesellen, das seit 250 Jahren die Räumlichkeiten erfüllt, in denen jemand einen der neun Bände von Lawrence Sterne zur Hand hat und in ‚Leben und Ansichten‘ des Gentlemans Tristram Shandy liest, kreuz und quer, am besten laut, gern von hinten nach vorne, ‘s ist einerlei. Seit dreißig Jahren gibt es die Übersetzung von Michael Walter, der noch immer von einem ‚work in progress‘ spricht, welche ihre Modernität daraus zieht, die Sprache vergangener Zeiten mal passgenau ernsthaft, mal kokett und spielerisch sich anzuverwandeln, dabei nie die literarische Freiheiten außer Acht lassend, die in der Zeit seit Lawrence Sternes zu frühem Tod im Jahr 1768 dazugewonnen worden ist: von Joyce bis Wolfe, von Jandl bis Wolf mag der Resonanzraum reichen. Walters Eindeutschung bildet auch die Basis der Bearbeitung für das Radio, deren Ziel es ist, den Tristram Shandy auf eine Art und Weise in den radiophonen Sattel seines Steckenpferds zu hieven, die den Hörgewohnheiten des 21. Jahrhunderts ebenso Rechnung trägt wie den zeitlosen, den klassischen Qualitäten dieses Urtexts aller Genreverletzungen. Den Romantext fest im kanonischen Blick erlauben sich Bearbeitung und Regie trotzdem Abschweifungen zu Monty Python, zu P.G. Wodehouse, ins Internet und in die Sakristei, gar in die Weiten des Landes Pop: Robert Forster, Chris Cutler und Robert Coyne tragen Songs zu diesem Hörspiel bei, so wie Experten aus Religion, Geschichte oder Medizin akustische Fußnoten beisteuern und der Geist der Screwball Comedy über all diesen Untiefen schwebt. Das homerische Gelächter, welches dies alles auszulösen in der Lage sein wird, stammt ganz sicher aus der Kehle Homer Simpsons."

Karl Bruckmaier

"Laurence Sternes Roman, ein Erfolgsbuch des 18. Jahrhunderts, handelt vom Lesen und Schreiben, der Kunst der Abschweifung und dem Verrinnen der Zeit. Regisseur und Bearbeiter Karl Bruckmaier ist es mit erstaunlicher Finesse gelungen, das komplizierte Buch kongenial in ein amüsantes Hörspiel der heutigen Zeit zu übertragen. Dies gelang ihm nicht zuletzt durch ein hervorragendes Sprecher-Ensemble."

Jurybegründung 1. Platz hr2-Hörbuchbestenliste Januar 2016

Laurence Sterne: Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman

9 Teile

Mit Stefan Merki, Peter Fricke, Anna Drexler, Hans Kremer, Helmut Stange, Michele Cuciuffo, Kathrin von Steinburg, Gabriel Raab, Sebastian Weber, Peter Veit, Pascal Fligg, Wolfgang Hinze, Johannes Herrschmann, Katja Bürkle, Helga Fellerer, Dr. Waldemar Hadulla

Aus dem Englischen von Michael Walter
Musik: Robert Forster, Chris Cutler, Robert Coyne
Bearbeitung und Regie: Karl Bruckmaier
BR 2015

Beim Hörverlag als Hörbuchedition erschienen

"Sternes 'Tristram Shandy', ein Buch aus dem achtzehnten Jahrhundert, nimmt in seiner alle bis dahin gültigen Erzählnormen sprengenden Vielschichtigkeit und literarischen Wucht den modernen, experimentellen Roman vorweg. Dieses Meisterwerk in einer szenisch-akustischen Fassung hören zu können, haben sich viele seiner Bewunderer immer schon gewünscht. Karl Bruckmaier erfüllt den Wunsch mit seinem ursprünglich für den Bayerischen Rundfunk realisierten Hörspiel auf kongeniale Weise. Für alles Spielerische des Textes, ja selbst für Sternes geschwärzte Kapitel findet er ein hörbares Pendant. Unterstützt wird er von Musikern wie Robert Coyne mit eigens komponierten Liedern sowie von einem hochkarätigen Sprecherensemble, dem das Vergnügen am literarischen Atem des Romans, an seinen unzähligen Abschweifungen und skurrilen Charakteren anzuhören ist. Ein Erfolgsroman der Vergangenheit, übrigens zeitgleich zum Hörbuch in der großartigen Übersetzung von Michael Walter als Buch neu aufgelegt, wird so zum Hörgenuss von heute."

Jurybegründung Preis der Deutschen Schallplattenkritik - Bestenliste 1/2016 - Hörbuch

Laurence Sterne, geb. am 24.11.1713 im irischen Clonmel, Sohn eines Offiziers. 1724 Tod des Vaters, Aufnahme durch einen Onkel. Studium der Theologie in Cambridge. Ab 1738 Pfarrer in Sutton in der Nähe von York, wo er 20 Jahre als Landgeistlicher arbeitet. 1741 Heirat mit Elisabeth Lumley. 1759 erregt er in York und London mit den ersten beiden Bänden von Tristram ShandyAufmerksamkeit. 1760 Übersiedlung nach London. Pendeln zwischen London und Coxwold, wo er eine Pfarrei erhält. Zweieinhalbjähriger Aufenthalt in Frankreich, von dem er alleine, ohne seine Frau nach London zurückkehrt. 1765 Reise nach Neapel. Am 18.3.1768 stirbt er in London an Tuberkulose.

Werke: The life and opinions of Tristram Shandy (1759–67), Sermons (1760ff.), Sentimental journey through France and Italy (1768), Letters to his most inimate friends (1775).


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