Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Yard Act, Faye Webster, Messer und M. Rux
Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Mit Yard Act, Messer, M. Rux, Faye Webster, Daniela La Luz, Nils Frahm, Robert Lippok, Atomic und die Compilation "Future Sounds of Kraut Vol. 2".
Yard Act – Where’s my Utopia?
Mit ihrem Debütalbum „Overload“ haben Yard Act 2022 die Post-Punk-Szene ordentlich aufgemischt. Es folgten, wie üblich, Konzerte, Festivals und noch mehr Konzerte. Unterwegs schrieben Yard Act schon Album Nummer 2 „Where’s My Utopia?“, u.a. mit dem Song „We Make Hits“ - laut Band eine Liebeserklärung an ihre kreativen Anfänge, an die Zeit, als Yard Act noch ein Duo waren und auf den Sofas von Freund*innen übernachten mussten. Das „We Make Hits“ nimmt man ihnen aber glatt ab. Maßgeblich beteiligt an der Entstehung dieser „Hits“ war diesmal Gorillaz-Produzent Remi Kabaka Jr. Er kam nach Leeds und hat die Band mit neuen Inspirationen versorgt. Und war damit höchst erfolgreich.
Selten hab ich ein Album gehört und an soviel gleichzeitig gedacht. An Beck und die Unverfrorenheit der Beastie Boys. An The Streets plus Mike Skinners pointierte Alltagsbetrachtungen, ja sogar ein Mark E. Smith blitzt hier durch. Aber auch ein Damon Albarn und der Afrobeat eines Fela Kuti. Das Quartett aus Leeds hat sich offensichtlich die Perlen aus den letzten Pop-Jahrzehnten gepickt. Und dazu viel nachgedacht, nicht nur über die britische Gesellschaft, sondern diesmal auch über sich selbst, ihre Rolle im Musikbusiness, ihren „Dream Job“ und die Freiheit, die sie diesem verdanken („Blackpool Illuminations“).
Insgesamt klingt das Album so chaotisch, so lo-fi wie gut gelaunt und groovy. Eine catchy Achterbahnfahrt durch die Randbezirke des Postpunk. Einer meiner Favs in dieser Woche. Und, der Zündfunk proudly presents diesen Glücksfall von Band und seinen Spoken-Word Dance-Punk: am 17. April in der Münchner Muffathalle – Yard Act. (8,3 von 10 Punkten)
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Yard Act - We Make Hits
Faye Webster - Underdressed In The Symphony
Faye Webster steht in einer mittlerweile beeindruckend langen Reihe von jungen Singer/Songwriterinnen, die großartige Indie-Folk-Songs schreiben und dabei immer sehr soulful klingen - ohne Soul zu sein. Ich denke da an Julia Jacklin, Haley Heynderickx oder auch Angel Olsen. Ihr Markenzeichen: intimes Songwriting, tolle Stimme und Melodien, meist reduziert instrumentiert, mit Klavier, sanften Gitarren, ein paar Streichern. Die Stimmung: verträumt bis fast etwas schläfrig. Musik zum Runterkommen und im besten Fall eintauchen in eine andere Welt. So wie Faye Webster ab und zu klassische Konzerte besucht, in die Szenerie eintaucht, den Dresscode dabei aber nur zu gern ignoriert. „Underdressed In The Symphony“ wurde in Texas aufgenommen, Faye Webster selbst kommt aber aus Atlanta. Ihr noch sehr countryeskes Debütalbum ist 2013 erschienen, damals war Webster erst 16. 2021 landete dann einer ihrer Songs auf der Playlist von Barack Obama. „Better Distractions“ war ein toller Karriere-Booster. In Atlanta hat sich Webster auch schon einen Namen als Fotografin in der Hip-Hop Szene gemacht. Und dieses Faible für Hip-Hop taucht auch im Album auf, da ist nämlich Ex-Klassenkamerad, Rapper Lil Yachty, zu hören.Er ist der einzige und für einen Rapper erstaunlich zurückhaltende Gast auf diesem wunderbar experimentierfreudigen, nach allen Seiten offenen, sehr sehr schönen Album. (8,2 von 10 Punkten)
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Faye Webster - Feeling Good Today (Official Video)
Messer - Kratermusik
In diesen Krater fällt man doch gerne: „Kratermusik“ haben Messer aus Münster bzw. Berlin ihr fünftes Album genannt. Wie immer ein Album ohne Konzept, so Sänger Hendrik Otremba. Aber dafür mit Humor: Humor statt Pathos. Und wie ich finde, mit einer großartigen Leichtigkeit, einer Lässigkeit, die die verschiedenen musikalischen Einflüsse der einzelnen Bandmitglieder zu einem aufregenden Ganzen werden lässt. Postpunk, Ska, Dub, Funk, No Wave, Pop und sogar Metal („Grabeland“ mit Mille Petrozza von Kreator (!)) schimmern hier durch und werden von euphorischen Hey‘s und Ho‘s angeheizt. Selbst ein Song, den Messer einem verstorbenen Freund der Band gewidmet haben, klingt alles andere als melancholisch („Taucher (für Smukal)“), eher scharf, kantig, kompakt und trotzdem, tanzbar. Und das sagt Hendrik Otremba zur neuen „Kratermusik“:
"´Kratermusik´ ist vielleicht auch augenzwinkernd ein bisschen die Idee, sich ein eigenes Genre zu stiften oder als generelles Genre vorzuschlagen. Vielleicht ist das, was wir mit Messer machen ´Kratermusik´? Weil ich das Gefühl habe, dass wir bei all dem Wandel, den wir musikalisch hinter uns haben, nirgendwo richtig dazu gehören - wenn man denn versucht, sich irgendwie einzuordnen. Und da ist es dann vielleicht nach weit über zehn Jahren Bandgeschichte - Messer gibt es jetzt seit 2010 - irgendwann auch eine logische Konsequenz sich im – sagen wir - größenwahnsinnigsten Modus, ein eigenes Genre zu stiften - und das heißt nun vielleicht ´Kratermusik´."
Hendrik Otremba
Hendrik Otremba und seine Band Messer, die Genre-Stifter. Aber Otremba ist nicht nur Musiker, solo und mit Messer, sondern auch Maler, Publizist und Romanautor. Deshalb sind auch die hochpoetischen Texte auf „Kratermusik“ wieder ganz besonders toll. Abstrakt und ambivalent, von seltsam bis sehnsüchtig. Mein Lieblingssatz diesmal: „Ich will mich zu euch hinlegen wie die Asseln untern Stein“ (aus „Am Ende einer groszen Verwirrung“). (7,9 von 10 Punkten)
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Messer - Taucher (Für Smukal) (Official Video)
Pissed Jeans – Half Divorced
Die Pissed Jeans aus Allentown, Pennsylvania, sind jetzt schon seit 20 Jahren (und sechs Sub Pop-Alben) ausgesprochen wütend, ihr Hardcore-Punk wuchtig wie eh und je. Und auch wenn die Single „Moving On“ fast nach harmlosem Dad Rock klingt, Songs wie „Junktime“ können einen ganz schön wegblasen. Da ist er wieder, der Noise, aber auch der Humor der wunderbar schlecht gelaunten US-Combo. In dem Song „Everywhere Is Bad“ z. B. bekommt so ziemlich jede US-amerikanische Stadt, ja selbst Orte wie die Hölle, ihr Fett ab. Überhaupt, dieser Albumtitel „Half Divorced“, was soll das heißen? Hoffentlich nicht, dass sich die Band schon halb aufgelöst hat. “Half Divorced“, entweder ist man geschieden oder eben nicht. Ist man „Half Divorced“ hängt man in der Luft und flattert im Wind. So wie die Pissed Jeans. Die Bandmitglieder sind mittlerweile Väter geworden, haben geheiratet und sind schon wieder geschieden. Hängen irgendwo fest zwischen dem wilden Hardcore ihrer Anfangstage und einer nicht weniger aggressiven Variante ihrer selbst, die die Realität sieht, aber dann doch wieder nicht sehen will. (7,9 von 10 Punkten)
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Pissed Jeans - Moving On (Official Video)
V.A. - Future Sounds Of Kraut Vol. 2
Man kann die Realität anschreien, wie die Pissed Jeans, man kann sich vor ihr aber auch in kosmische Weiten flüchten. Den passenden Soundtrack dazu liefert die Compost-Compilation „Future Sounds Of Kraut Vol. 2“, zusammengestellt von Fred und Luna aka Rainer Buchmüller, der leider kurz vor Erscheinen des Samplers an Krebs gestorben ist.
War Vol. 1 von “Future Sounds Of Kraut” schon ganz formidabel, steht Vol. 2 dem in nichts nach. 17 mehr oder weniger aktuelle Krautrock-Tracks, viele von ihnen exklusiv für die Compilation eingespielt und inspiriert von großen Namen wie Can, Neu! und Cluster. Meine Highlights kommen von Sankt Otten, Thomas Fehlmann, Roman Flügel und Lucas Croon, dem Stabil Elite-Bandmitglied und Resident-DJ im Düsseldorfer Salon des Amateurs. Croon hat seinem Track den großartigen Titel „Krautwickel“ gegeben, hat Krautrock bzw. kosmische Musik eingewickelt in den Zeitgeist, seine Ideen und seine Sounds. Stilbewusster Retrofuturismus, irgendwo zwischen Club und Kopfhörer. (7,8 von 10 Punkten)
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Sankt Otten – Angekommen In Der Letzten Reihe
Atomic - If This Wall Could Sing
Mit der Band Atomic ist es wie mit dem gleichnamigen Club, dem Atomic Café. Beide waren abgetaucht und sind jetzt wieder am Start. Die Marschel-Brüder aus Furth im Wald in der Oberpfalz haben nach über zehn Jahren Pause 2023 ein Best-Of-Album veröffentlicht. Und mit „If This Wall Could Sing“ erscheint sogar ein ganz neues Album der ewigen Britpopper. Mit ein paar hübsch nostalgischen Britpop-Knallern, die auch von den Vorbildern der Band stammen könnten, von Oasis, den Kinks, den Stone Roses oder Supergrass. Zwar können sie das Tempo auf Albumlänge nicht ganz halten, aber ihre Fans vermutlich auch nicht mehr. Die Album-Release-Party findet im Atomic Café (im Fat Cat München) statt, wo auch sonst. Schließlich hat sich die Band, damals im Jahr 2000, auch nach dem Atomic Café benannt. Und zum Glück gibt es sie wieder, die regelmäßigen Atomic-Abende in der Fat Cat, dem ehemaligen Gasteig. Das wird vermutlich großes Party-Kino. „Back in the race and I feel like I’m coming home“. (7,0 von 10 Punkten)
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Atomic - I Am The Ocean (Official Lyric Video)
M. Rux – Rekorder
Marten Rux, kurz M. Rux, kommt ursprünglich aus Rostock, lebt aber heute in Berlin. Sein neues Album heißt „Rekorder“, inspiriert vom lateinischen Wort „recordare“, sich erinnern, über etwas nachsinnen. Schubladenchecker haben seinen Sound schon „Schneckno“ getauft, sprich Schneckentempo-Techno, womit M. Rux aber überhaupt nichts anfangen kann. Zwar sind seine Zeitlupen-Beats so hochgradig verschlurft wie tanzbar, aber: „Wer will schon bummeln bei Techno“ (Zitat Marten Rux).
Seine groovenden Exotica-Tracks klingen oft melancholisch, aber immer auch seeehr tiefenentspannt. Dubby Down-Beat mit ausgefallenen Instrumenten wie Maultrommel, Banjo und Auto-Harp plus strangen Field Recordings. Dazu beeinflusst von Blues, persischem Folk der 60’s und anatolischem Psychedelic Rock der 70’s. Ein buntes Kaleidoskop an Sounds und Samples, ein sanfter Ritt durch die musikalischen Erinnerungen eines Marten Rux. Leftfield-Electronica für Freunde von Nightmares on Wax und ähnlich melodieverliebten Downbeat-Projekten. (8 von 10 Punkten)
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The Promise
Nils Frahm – Day
Bis vor kurzem hatte ich den Eindruck, Nils Frahm wird mehr und mehr zum Pianisten der Superlative. Seine Alben wurden immer länger (sein letztes Album „Music For Animals“ hat eine Gesamtlänge von drei Stunden!), sein ursprünglich sehr reduzierter Neoklassik-Sound immer experimenteller, immer gigantomanischer, auf der Bühne ein Gebirge von Instrumenten, dazu Unmengen von elektronischem Equipment. Und wenn Nils Frahm auf Tour ging, und das tat er gefühlt ständig, waren seine Shows immer ausverkauft (und sind es immer noch, so auch sein Konzert am 4.3. in der Münchner Isarphilharmonie). Aber auf seinem neuen Album „Day“ konzentriert sich Frahm jetzt wieder ganz auf seine Kernkompetenz, das Klavierspiel. Und klingt dabei so sagenhaft entschleunigt, so nah und zerbrechlich, dass man glaubt, neben ihm auf dem Klavierhocker zu sitzen. Manchmal hört man ihn sogar schnaufen, die Klavierpedale quietschen und im hintersten Hintergrund bellen Hunde oder zwitschern Vögel. Das Klavier ist mal mehr, mal weniger präpariert, egal, die Tracks haben immer eine extrem meditative Wirkung. Die einen nennen das spirituell, anderen ist das eventuell zu esoterisch. Aber ich muss gestehen, mich hat es schon auch ganz schön reingezogen in diese Stille zwischen den Noten. Eine Stille, die man glaubt fast anfassen zu können. (7,8 von 10 Punkten)
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Nils Frahm - Changes (Official Audio)
Robert Lippok – Open Close Open EP (Re-Release)
Im April startet in Venedig wieder die Biennale, die 60. mittlerweile. Der deutsche Pavillion wird diesmal von sechs KünstlerInnen bespielt, darunter auch Jan Werner von Mouse on Mars und Robert Lippok. Sie beschäftigen sich mit Schwellen, Stufen und Grenzen, räumlichen und zeitlichen Übergängen. Ob das auch etwas mit „Licht“, dem Bonus-Track auf Robert Lippoks Re-Release „Open Close Open“ zu tun hat, erfährt nur, wer in die Giardini nach Venedig fährt.
Robert Lippok kennt man solo, aber auch zusammen mit seinem Bruder Ronald und Stefan Schneider als To Rococo Rot. To Rococo Rot haben sich 2014 aufgelöst – nachdem sie uns knapp zwei Jahrzehnte lang mit wunderbar knisternder Electronica beglückt hatten. Electronica, die sie aus Geräuschen, Samples und analogen Einspielungen bastelten und die gegen alle konventionellen Hörgewohnheiten angroovte. Ein Genre, dem Robert Lippok bis heute treu geblieben ist. (7,9 von 10 Punkten)
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Licht
Daniela La Luz - System Reset
Daniela la Luz, der Name lässt erstmal spanische Wurzeln vermuten, doch Daniela la Luz kommt aus München, hat in Augsburg und Berlin gelebt und ist erst vor kurzem wieder nach Bayern zurückgezogen. Seit 2007 macht sie elektronische Musik, ist Live-Act und DJ (auch im Radio). Davor war Daniela la Luz im Bandkontext, als Indie-Musikerin, unterwegs. Dieser Umstand hallt auch auf ihrem neuen Album nach. Ihr Sound pendelt irgendwo zwischen jazzy Deep-House, dubbigen Techno und hibbeligen Breakbeats. Ungewöhnliche Einfälle machen jeden ihrer Tracks auf diesem Album einmalig. Mal sind es Spoken Word-Samples, mal Synthie- oder Acid-Einlagen und ganz oft der Gesang von Daniela la Luz, die sich festhaken. „System Reset“ ist das dritte Album der Produzentin aus München, die hier die vergangenen Jahre, auch die nicht immer angenehmen der Pandemie, verarbeitet bzw. wegtanzt. Und das macht sie mit einer eleganten Contenance, einer radikalen Softness, die auch die diversesten Soundentwürfe zusammenhält.
Ebenfalls sehr sympatisch: Daniela la Luz liebt nicht nur elektronische Musik, sondern auch unseren Planeten. 2023 war sie mit „Melting Giants“ u.a. in München in der Lothringer 13 zu Gast. „Melting Giants“ war eine audio-visuelle Live-Show mit elektronischem und klassischem Sound und den Bildern von schmelzenden Gletschern in den bayerischen, österreichischen und Schweizer Alpen. (7,8 von 10 Punkten)
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Daniela La Luz - My House (Is Your House)