Die Hit-Schreiberin Alles Gute zum 70., Carole King
Zeitlose Hits für ewige Teenager und Songtapeten des Erwachsenwerdens – Carole King wird 70: Eine Würdigung zu ihrem Geburtstag mit Amy Winehouse zu beginnen, das könnten Fans der amerikanischen Songschreiberin als Majestätsbeleidigung deuten. Dabei ist die Tatsache, dass auch Amy Winehouse vor ihrem frühen Tod einen Song von King aufgenommen hat, doch nur der aktuelle Beweis dafür, dass die Songs von Carole King mittlerweile ein halbes Jahrhundert schadlos überstanden haben.
Einer von Kings größten Hits, "Will you love me tomorrow", ist schon über 50 Jahre alt, erschienen Ende 1960, und Anfang 1961 Nummer Eins der US-Charts für die Shirelles. Die erste von vielen Nummer-Eins-Hits für die Songschreiberin Carole King. Über die Jahrzehnte haben sich viele an dem Song versucht, es gibt großartige Versionen von Laura Nyro, Bryan Ferry oder Roberta Flack, ganz zu schweigen von der Version einer gewissen Carole King. Die ist ja nicht nur eine tolle Autorin, sie ist ja auch Interpretin ihrer eigenen Songs. Berühmt wird sie aber zunächst als Schreiberin für andere.
Die Byrds und die Monkees, Blood Sweat & Tears und die Drifters, Dusty Springfield und Aretha Franklin, Justus Köhncke und Jonathan Richman...die Liste ist lang, die Namen sind groß. Sie alle haben die Songs von Carole King unsterblich gemacht.
Wer in den 60ern ein Teenager war, der kam nicht vorbei an "One fine day", an "Up on the roof" und "Oh no not my baby", schwelgerische Drei-Minuten-Soundtracks zu den Tragödien und Komödien der Pubertät. Mit den 60ern endete auch Carole Kings ergiebige Songwriter-Partnerschaft mit Gerry Goffin – und die gemeinsame Ehe. Das böse Erwachen, die Enttäuschungen und Zweifel am Morgen danach, das plötzlich erwachsene Ankommen in den Siebziger Jahren – die Probleme des Abschieds von der Jugend formulierte Carole King exemplarisch auf "Tapestry", ihrem zweiten Solo-Album von 1971.
Auch in England machen die Lieder von Carole King und ihrem Ehemann Gerry Goffin Eindruck. So etwa auf ein junges Songwriterpaar aus Liverpool. "Unser Ziel ist es, Lieder zu schreiben, die das Format von Goffins und Kings Kompositionen haben" - das erklären John Lennon und Paul McCartney am Beginn ihrer Karriere. Kein Wunder, dass sich auf den frühen Alben der Beatles gleich vier Coverversionen von Goffin/King-Songs finden.
Ihren Durchbruch als Solokünstlerin schafft Carole King 1971 der Single mit "It's too late", ihr erster Nummer Eins Hit. 1971, also zehn Jahre nach ihrem ersten Top-Hit als Autorin mit "Will you still love me tomorrow". Carole King ist 29, als das dazugehörige Album "Tapestry" die Spitze der US-Charts erreicht. Sie ist am Ende ihrer Jugend, aber doch schon die Hälfte ihres Lebens als professionelle Songschreiberin aktiv. Auf "Tapestry" erzählt sie vom Ankommen in einem neuen Jahrzehnt nach den turbulenten Sechzigern, es geht um den Abschied von der Jugend, um zerbrochene Lieben, um Zweifel und Enttäuschungen. Mit diesen Songs trifft Carole King wieder einen Nerv der Zeit.
Das Album "Tapestry" ist ein Meilenstein, nicht nur für Carole King, für die amerikanische Popmusik überhaupt, eine Wendemarke.
Auch wenn der Begriff problematisch und pauschal ist, aber "Tapestry" ist so etwas wie ein Generationen-Album. Eine melancholische Grundstimmung liegt über dem Album, das Gefühl, dass jetzt eine neue Zeit beginnt, aber eben nicht eine Aufbruchsstimmung wie in den Sechzigern, es geht eher um Rückzug und Neubesinnung - es ist zu spät – It's too late, sagt Carole King im größten Hit von "Tapestry".
Der amerikanische Pop-Kritiker Dave Marsh interpretiert "It's too late" im Kontext seiner Zeit:
"Jenseits der Melodie gibt es diesen Text. Das Protokoll einer schmerzhaften Trennung, wie hingeschrieben auf einem Zettel, den sie auf dem Küchentisch hinterlässt, während er gerade mal rausgegangen ist. Carole King hat diesen Text nicht geschrieben. Sie schrieb nur wenige Songs ohne eine Partnerin oder einen Partner, und keiner davon zählt zu ihren besten. Aber Carole King interpretiert die Worte von Toni Stern so perfekt wie diese Worte dem emotionalen Tenor ihrer Musik entsprechen. Vielleicht liegt es daran, dass eine Frau diesen Text schrieb, vielleicht liegt es am aufkommenden Feminismus dieser Zeit, oder vielleicht liegt es einfach nur an der Art, wie Carole King diese Worte über ihre Zunge gleiten lässt: It's too late jedenfalls drückt eine – zumindest implizite – feministische Haltung aus: Sie verlässt ihn, sie diktiert die Bedingungen ihres Auszugs, sie verbreitet keine mystischen Weisheiten sondern einen illusionslosen Blick auf die praktischen Perspektiven dieser Trennung:
"Es wird wieder gute Zeiten geben für dich und mich, aber zusammenbleiben können wir nicht, spürst du das nicht auch? / Dennoch bin ich froh für das, was wir hatten und wie ich dich einst liebte..."
Tapestry – das ist eigentlich ein Wandteppich, im übertragenen Sinn steht das Wort auch für Verworrenheit und Komplexität.
Carole Kings Album "Tapestry" ist so eine Art Songtapete des Erwachsenwerdens, eine Tapete, die in vielen Zimmern hängt in den 70er Jahren, nicht nur in den USA. Die Songs erzählen in einfachen Worten von verworrenen und komplexer werdenden Verhältnissen, und von der Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Sicherheit, nach jemandem, auf den man sich verlassen kann. "Wenn du traurig bist und besorgt, und du brauchst eine helfende Hand, wenn nichts, aber auch gar nichts wirklich klappt, dann schließ deine Augen und denk' an mich, und sogleich werde ich bei dir sein, um noch deine dunkelste Nacht aufzuhellen. Du musst nur rufen und ich werde da sein…du hast einen Freund."
Zugegeben, manche Texte klingen auf Englisch besser als auf Deutsch und gesungen besser als gesprochen. Die Zeilen vom verlässlichen Freund, der einem in jeder Lebenslage beisteht, sie stammen aus "You‘ve got a friend", dem zweiten großen Hit aus "Tapestry". Nach ihrer Scheidung von Gerry Goffin und ihrem Umzug an die Westküste trifft Carole King in der Hippie-Gemeinde von Laurel Canyon den jungen Singer-Songwriter James Taylor. Der schlaksige Typ mit den traurigen Augen verkörpert haargenau das, was man später als Softie bezeichnen würde. Taylor bestärkt Carole King darin, ihre Songs selbst zu singen. Und sie schenkt ihm eins von ihren Liedern. Mit "You've got a friend" feiert James Taylor 1971 seinen großen Durchbruch.
Bis heute glauben viele Leute, dass Taylor diesen Song selbst geschrieben hat – dabei stammt er von Carole King. Und wie so viele Songs der weißen Jüdin Carole King wird auch "You've got a friend" von vielen schwarzen Künstlern aufgenommen, berühmt ist die Duett-Fassung von Roberta Flack & Donny Hathaway.
Ebenfalls eine afroamerikanische Sängerin ist es, die 1967 "den größten Song, der jemals über weibliche Sexualität, aufgenommen wurde", singt. Das zumindest meint Dave Marsh in seinem Standardwerk: The heart of rock and soul – the 1001 greatest singles ever made. Er schwärmt von "You make me feel like a natural woman", geschrieben von Carole King, zelebriert von Aretha Franklin.
Dave Marsh über "You make me feel like a natural woman":
"A natural woman ist wahrscheinlich der größte Song über weibliche Sexualität, der jemals aufgenommen wurde. Eine Frau sitzt an der Fensterbank an einem regnerischen Morgen. Sie fühlt sich sehr wohl mit sich, und das ist etwas Neues! Der Grund ist ihr Freund. Warum? Nun, man kann es nur zwischen den Zeilen lesen, durch die Metaphern -–sie würde es niemals laut sagen. Aber es ist nicht schwer zu erraten, dass sie endlich jemanden gefunden hat, mit dem sie zum Orgasmus kommen kann. Also singt sie ihr Lied auf die Ekstase.
Oder wie sollte man diese Zeilen anders deuten? "Oh baby what you done to me? You made me feel so good inside / And I just wanna be close to you, you make me feel so alive."
"Natural woman" ist das Gegenstück zu "Respect", aber es dreht sich keinesfalls um Abhängigkeit. Es geht vielmehr um die berauschende Erfahrung der absoluten Gleichheit, die so nah ist an der Definition von gutem Sex wie nur irgendetwas. Natürlich ist es nicht ganz unproblematisch, in diesen Tagen des wachsamen, feministischen Bewusstseins so einen Song zu schreiben: Ein Song, in dem eine Frau einen Mann dafür verehrt, dass er ihr zur Erfüllung ihrer "Natur" verhilft. Aber – da ist ja auch noch die Musik! So bewegend und wunderbar, wie man es sich kaum vorstellen kann, die Streicher schleudern gegen die Trommeln, die Bläser erheben sich um von einer Leidenschaft zu künden, die so vollkommen fleischlich ist, praktisch radioaktiv!"
Interessanterweise hat sich auch die amerikanische Feministin und Geschlechterforscherin Judith Butler zu diesem Song geäußert, in ihrem Buch "Queer denken".
Judith Butler über "You make me feel like a natural woman":
"Wenn Aretha Franklin singt: "You make me feel like a natural woman", so scheint sie zunächst anzudeuten, dass durch ihre Beteiligung an der kulturellen Position »Frau« als Objekt heterosexueller Anerkennung eine Art natürliches Potential ihres anatomischen Geschlechts verwirklicht wird. Irgendetwas an ihrem »Geschlecht« wird so durch ihre »Geschlechtsidentität« ausgedrückt, die in der heterosexuellen Szene vollständig bekannt und akzeptiert wird. Es gibt keinen Bruch, keine Diskontinuität zwischen »Geschlecht« (als biologische Tatsache) und Essenz oder zwischen Geschlechtsidentität und Sexualität. Aretha ist zwar offenbar nur froh, ihre Natürlichkeit bestätigt zu bekommen, sie scheint sich paradoxerweise jedoch zugleich der Tatsache bewusst zu sein, dass diese Bestätigung niemals garantiert ist- dass der Effekt der Natürlichkeit nur als Konsequenz jenes Augenblicks der heterosexuellen Anerkennung erreicht werden kann.
Immerhin singt Aretha: »You make me feel like a natural woman «, womit sie impliziert, es sei eine Art metaphorischer Ersatz, ein Akt der Hochstapelei, eine Art sublime und vorübergehende Beteiligung an einer ontologischen Illusion, die durch die profane Funktionsweise heterosexueller Travestie produziert wird.
Was aber, wenn Aretha ihr Lied an mich richten würde? Oder wenn sie eine Fummeltunte ansänge, deren Performanz ihre eigene irgendwie bestätigen würde?"
Fragt Judith Butler – auch aus der Perspektive einer Frau, die sich sexuell eher zu Frauen hingezogen fühlt. So eine Frau war auch Dusty Springfield, auch wenn ihre Songs immer so verstanden wurden, als seien sie an das männliche Geschlecht adressiert. Auch Dusty Springfield hat mehrere Songs von Carole King aufgenommen. Am bekanntesten ist ihre Version von "Goin' back". "Goin' back" ist einer von sage und schreibe 118 Hits, die Carole King in den Billboard Charts untergebracht hat, damit ist sie die erfolgreichste weibliche Songschreiberin ihrer Zeit. Auch "Goin' back" wurde von vielen aufgenommen, auch von den Byrds, die mal als amerikanische Antwort auf die Beatles galten. Die Byrds haben auch zwei Songs beigetragen zum Soundtrack von "Easy Rider". Der Film um die beiden Motorradhippies, dargestellt von Peter Fonda und Dennis Hopper, lebt ja stark von der Musik. Und auch da hat Carole King mitgemischt, ihr Song "Wasn't born to follow" ist einer der Easy Rider-Momente, die sich festgesetzt haben in der Erinnerung – in der Version der Byrds.
"Wasn't born to follow" kommt aus der Hitschmiede Goffin & King, das Paar hat übrigens auch zwei Töchter hervorgebracht, bevor es sich Ende der Sechziger getrennt hat. Aus einer zweiten Ehe hat Carole King zwei weitere Kinder. Die Songs von Goffin & King haben sich eingeschrieben in die Geschichte des 20.Jahrhunderts. Davon erzählt Billy Joel 1988, als die Drifters in die Rock & Roll Hall of Fame aufgenommen werden:
Billy Joel über die Songs von Goffin & King:
"Ich bin aufgewachsen in einer Wohnsiedlung in New York, draußen in Long Island. Es waren die frühen Sechziger, damals war ein roof nur die Spitze eines Hauses und ein boardwalk bloß ein Holzsteg. Broadway – das war eine Straße in New York City, wo Leute mit blaugefärbten Haaren sich Theaterstücke anschauten. Wir gingen samstagsabends ins Kino und guckten uns Filme an. Der "Last dance", der letzte Tanz fand immer ohne uns statt.
Die Drifters haben das alles verändert. Sie haben uns das Stichwort gegeben. Und das Stichwort lautete: Bleib' nicht zu Hause hocken und glotz' an die Decke! Geh rauf auf's Dach – up on the roof – und schau dir die Sterne an. ...sogar Levittown sah gut aus von dort oben.
Ihnen mehr erzählen zu wollen über "Up on the roof", das hieße ein Geheimnis verraten, das jeder selbst ergründen muss. Also, entnehmen Sie Ihren Marschbefehl bitte dem Song: "Let's go up on the roof."
"Broadway – das war eine Straße in New York City, wo Leute mit blaugefärbten Haaren sich Theaterstücke anschauten." Hat Billy Joel gesagt. Broadway – das war auch eine Straße in New York City, wo Leute wie Carole King und Gerry Goffin fünf Tage die Woche ihrem Handwerk nachgingen, das Schreiben von Popsongs. Broadway – das war auch eine Straße in New York City, über die Leute wie Carole King und Gerry Goffin Popsongs geschrieben haben. Popsongs, die das großstädtische Leben feiern, die Metropole New York, die internationalste Stadt der Welt, der Sehnsuchtsort von Leuten, die aus allen möglichen Winkeln des Planeten gekommen sind, um ihr Glück zu finden. Den Broadway, wo die Neonlichter heller leuchten als anderswo…auch den haben Carole King und Gerry Goffin in einem Evergreen verewigt.