Bayern 2 - Nachtmix


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P-Funk means Pure Funk George Clinton

Wer im Jahr 1970 George Clinton live gehört hat, wird im Traum nicht daran gedacht haben, dass dieser Mann einmal in einem Atemzug mit James Brown, Jimmy Hendrix oder Sly Stone genannt wird.

Von: Judith Schnaubelt

Stand: 19.10.2011 | Archiv

George Clinton | Bild: picture-alliance/dpa

"Funkadelic sahen aus wie eine Gruppe abgerissener Zirkusclowns, erzählt Rickey Vincent in seinem Buch "Funk". "Grady gab den orientalischen Aladin, Fuzzy erschien in langen Unterhosen, Calvin trug einen Zaubererhut und George Clinton kam in Hotel-Bettlaken auf die Bühne, die er vorher durchlöchert hatte. Ihr verzerrter Rock schien kein Ende zu nehmen. Mit Freude spielten sie so lange, bis das Publikum flüchtete." Aber schon auf dem ersten Funkadelic-Album gibt George Clinton Entwarnung. Und er gibt erste Hinweise auf seine wahre Herkunft, die nichts mit einem Zirkus zu hat. Im Song "What is soul" heißt es: "Schau’ her, ich bin funkadelic, ich komm’ nicht aus Deiner Welt. Aber hab’ keine Angst, ich tu Dir nichts. Leih’ mir Dein funky Ich, dann spiele ich damit. Denn nichts kommt gut, solange man nicht damit spielt. Und alles, was gut ist, ist sexy. Flieg’, Baby."

Die seltsam verfremdete Stimme, die diese Ansprache hält, könnte einem Science-Fiction-Film entliehen sein. Spricht hier ein Alien? Spacige Synthesizer-Sounds und psychedelische Gitarren verstärken den Eindruck. Das Wesen, das ganz den Verführer gibt und seinem Gegenüber erotische Freuden in Aussicht stellt, ist, wie es betont, nicht von dieser Welt, kommt aber in friedlicher Absicht.
Und dann wird im Song noch die ketzerische Frage gestellt: What is soul? Was entweder mit einem frechen "Weiß ich nicht" oder mit absurden Sprüchen beantwortet wird. Das Studio, muss man dazu wissen, in dem diese respektlose Truppe ihr erstes Album "Funkadelic" aufnahm, befand sich mitten in Detroit. In "Motown-City", wo Kommerz-Soul am Fließband produziert wurde.
Damals, 1970, stand in den Zeitungen noch nichts davon, dass in Detroit ein extraterrestrisches Raumschiff gelandet ist, dessen Besatzung eine freundliche Übernahme im Pop-Business plant, heute aber wissen wir es besser. George Clinton war schon lange vorher undercover, als Wegbereiter der funky Invasion, auf diese Erde gekommen, ehe er sich auf als solcher outete. 1975 auf dem Parliament-Album "Mothership Connection".

Es waren also aus heutiger Sicht ohne Zweifel Außerirdische, die vor genau 70 Jahren, am 22. Juli 1941, beschlossen hatten, einen der ihren auf die Erde zu beamen. Warum sie sich ausgerechnet das Städtchen Kannapolis im US-Bundesstaat North Carolina für die Ankunft ihres Pioniers ausgesucht hatten, lässt sich nur vermuten. Vielleicht waren die schlauen und belesenen Aliens einfach vom Namen des Ortes angetan. KANNAPOLIS: das klang nach einer Bürgergemeinde, die Kanna schätzte, jene südafrikanische Pflanze, deren Genuss kreislaufstimulierend und schmerzlindernd sein soll und zudem die Tanzlust fördert. Ein idealer Ausgangspunkt also für ihren Mann, der fürderhin den Funk, und zwar den Pure Funk unter die kriegsblassen Erdlinge bringen sollte. Zu deren Erbauung und Freude, nach dem Motto: "Move your ass and your mind will follow." Es sollte aber noch ein paar Jahre dauern, bis Klein-George soweit war, diese Mission zu erfüllen.

Als Mama Clinton beschloss, das Textilindustrie-Städtchen Kannapolis in Northcarolina zu verlassen und sich nach einigem nomadischen Herumziehen mit ihren neun Kindern in Newark/New Jersey niederließ, konnte der Alien-Plan endlich anlaufen. George Clinton war der Älteste der neun Kinder, also deren Respektsperson. Als solche hatte er gelernt, wie man Schwärme organisiert, was ihm bei der Gründung seiner eigenen "funky family" half. Einer der ersten Songs, die George 1958 mit seinen damaligen Kumpeln aufnahm, hieß "Partyboys". Lange hatten die Parliaments den Song eingeübt. Im Hinterzimmer jenes Friseurladens, in dem George als 15-jähriger begonnen hatte, als Friseur zu arbeiten. Nebenbei, immer die Mission im Blick, hatte er eine Doowop-Gruppe gegründet, die Parliaments. Die Jungs trugen glatt gefönte Haartollen, die wie schwarz glänzende Ziegel kunstvoll auf die Schädeldecke zementiert waren. "Es war als Friseur mein Job, andere cool aussehen zu lassen, aber meine Freunde und ich waren selbst cool unterwegs", sagte Clinton mal in einem Interview. Alle Jungs fuhren Cadillacs, übten Doowop-Gesang im Barbershop und manchmal traten die Parliaments gegen die Serenaders an und sangen sich die Seele aus dem Leib. Laut Clinton waren die Serenaders viel besser als die Parliaments, seine Jungs hätten jedoch die bessere Show abgezogen. Aber erst 1967 gelang es ihnen mit "I wanna testify" einen Top-Five-Hit in den R&B-Charts zu landen, was ihnen auch einen ersten Auftritt in Harlems Apollo Theater verschaffte.

"I wanna testify" wurde auf dem kleinen Detroiter Label Revilot veröffentlicht. Die Company war ein Zwerg im Vergleich zu den großen Motown-Studios. Dahin aber war George Clinton irgendwann mit seiner in New Jersey eher erfolglos gebliebenen Band The Parliaments gefahren, um vorzusingen. Keinem, außer Martha Reeves von Martha and the Vandellas, gefielen die Gesangsharmonien der Jungs besonders, aber immerhin wurde George Clinton von Motown als Songwriter engagiert. Für Diana Ross Ross schrieb er "Something I can’t shake a loose" und Jackson 5 nahmen sein "I’ll bet to you" auf. Clintons Parliaments brachten beim Revilot-Label ein paar Singles raus, aber als sich das Label auflöste, verloren sie ihren Arbeitgeber und die Rechte auf ihren Bandnamen. Für George war das noch lange kein Grund aufzugeben, es war sowieso an der Zeit für einen Style-Wechsel. Aus den Parliaments wurde 1970 die Band Funkadelic, die einen Quantensprung vom Soul zum psychedelischen und rauen improvisierten Rockfunk machte. Homebase war Westbound Records in Detroit.   

"Wir sahen, wie die Hippies und deren Rockbands auf den Plan traten und wie die sich benahmen: Wow, dachten wir, das ist jetzt also cool. Wir brauchen keine gebügelten Anzüge mehr tragen und proper aussehen. Und das gab uns eine Menge mehr Freiheit", erinnerte sich George Clinton in einem Interview. Sie nahmen sich die Freiheit auch in anderer Hinsicht. Hatte George früher die Haare der Jungs mit Chemie geglättet, wurden chemische Substanzen jetzt von allen konsumiert, zum Zwecke der funky Bewusstseinserweiterung. Parliaments-Sänger Fuzzy Haskins erzählte das einmal so: "Wir rauchten Dope, warfen Acid ein, nahmen alles, was es gab. Als Calvin, unser Bariton, aus dem Vietnamkrieg zurückkam, schaukelten wir in Kronleuchtern und sprangen auf und ab. Wir haben uns wie die Irren aufgeführt."

"Free your mind and your ass will follow" hieß programmatisch das zweite Funkadelic-Album. Ab sofort spielte Clintons alter Buddy Bernie "The wizzard of Woo" Worrell am Keyboard mit, der klassische Musik studiert hatte. Er brachte europäische Harmonien mit ins Spiel, lud Funkadelics Musik mit Synthesizer und neuen Soundexperimenten auf, trieb sie in Richtung kosmischen Space. Getreu dem Text, den George Clinton auf der ersten Funkadelic-Platte veröffentlichte: "Schau her, ich bin funkadelic, ich komm nicht aus Deiner Welt." Man kann diese Sätze auch als Version eines neuen afroamerikanischen Selbstverständnisses verstehen, das sich Anfang der 70er Jahre formulierte: "I‘m  black. I‘m proud. I‘m  beautiful. I am somebody!" Bei Clinton wird es mit dem spielerischen Aspekt des außerirdischen Funkateers und Tricksters ergänzt, vor dem sich keiner zu fürchten braucht. Auch wenn George Clinton dass Treiben der Erdlinge furchtbar fand.

"Maggot Brain", das dritte und sehr erfolgreiche Album von Funkadelic, eröffnete Clinton mit einem Gedicht: "Mutter Erde ist zum dritten mal schwanger, ihr alle habt sie vergewaltigt. Ich hab’ die Maden im Gehirn des Universums gekostet, hab’s aber überstanden. Ich wusste, ich muss mich über all das erheben, um nicht in meiner eigenen Scheiße zu ersticken." Und Gitarrist Eddie Hazel gab den Jimmy Hendrix und den Carlos Santana zu all der Weltuntergangsstimmung, aus der Clinton aber immer wieder die Flucht nach vorn ergriff. Als gewiefter Trickster, der mehr als eine Strategie auf Lager hatte.

Bald schon schickte George eine zweite Band auf den Plan. In Anlehnung an seine alte Doowoop-Gruppe, nannte er sie Parliament. Elaborierter, soulfuller und tanzbarer sollte dieses Parlament agieren, das sich im Prinzip aus denselben Bandmitgliedern wie Funkadelic zusammensetzte. Mit dem Namen verband sich jetzt auch eine politische Vision, die im Jahr 1975 formuliert wurde und die sich damals wirklich nur ein Außerirdischer erlauben konnte: Personalwechsel in Washington D.C., Neubesetzung aller Posten in White House und Kabinett. Regieren sollten die Stars der Black Culture. Stevie Wonder wird Kulturminister, Aretha Franklin First Lady und als Präsident vorgesehen: The Godfather of Soul. "Vergessen Sie bloß nicht, Ihren James-Brown-Pass mit sich zu führen, wenn sie die Hauptstadt betreten", warnen George und Parliament im Song Chocolate City.

Funkadelic-Parliament - so hieß die kosmische Funkregierung der 70er Jahre. Ihr Slogan: "One Nation under one groove." Alles war erlaubt, nur eines nicht: cool zu sein. P-Funk musste Spaß machen. War Chaos, Hysterie, Sexyness. Auf der Bühne dergestalt inszeniert, wie es Steven Spielberg nicht besser hinbekommen hätte. Raumschiffe, Lightshow, Schall und Rauch. Mitten drin: die P-Funk-Aliens mit überdimensionierten Afrofrisuren, silbernen Raumanzügen, goldenen Plateaustiefeln, Brillen in Sternform und auf dem Rücken: Engelsflügel. Der Star auf der Bühne war, neben George, jetzt auch Bootsy Collins aus Cincinnati/Ohio, den eine kosmische Fügung ins Spiel gebracht hatte. Er gab den genialen Bootzilla am Funkbass und war ein großer Showman, der das Spektakel liebte. Und Bootsy brachte schließlich auch Maceo Parker und Fred Wesley von der James Brown-Hornsection ins Parlament. 

Das ganze Spektakel hatte, wie es Bootsy Collins mir vor vielen Jahren in einem Zündfunk-Interviews erzählte, einen durchaus ernsthaften Hintergrund: Man sei tatsächlich den Aliens begegnet während einer Fahrt über Land. Und so hätte sich die Mission konkretisiert, nämlich das Schöne und Gute via P-Funk unter die Menschheit zu bringen. Nach diesem Ereignis stand die Mothership-Connection also auftragsmäßig auf gänzlich solider Basis. Und der Chicagoer Graphiker Pedro Bell gab dem ganzen Unterfangen ein optische Corporate Identity auf den Plattencovern vom Parliament-Funkadelic-Kollektiv: Bunte Comicfiguren, "Hardcore  Jollies" genannt, die durch popbunte planetarische Landschaften groovten.

Ab Mitte der 70er Jahre hatte Dr. Funkenstein also ein Paralleluniversum im Irdischen kreiert, das bis heute einzigartig ist. Und das vieles, was nachfolgen sollte im Lande Pop, nachhaltig beeinflusst hat. Neben James Browns Musik wurde nichts häufiger im HipHop gesampelt, als die Soundvisionen der P-funkenden George Clinton-Family. Und Dr. "G-Funk" Dre, einer der innovativsten HipHop-Produzenten der 90er Jahre, sagte einmal, dass niemand ihn mehr beeinflusst hätte als George Clinton. Der Meister und fünfzehn Mitglieder seiner P-Funk-Posse haben selbstverständlich inzwischen einen Ehrenplatz in der "Rock and Roll Hall of Fame", was aber nicht heißt, dass die Aliens, Clintons Auftraggeber, ihn in die eigentlich wohlverdiente Rente geschickt hätten. Ride on, Dr. Funkenstein!


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