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Muscle Shoals Kleines Dorf mit großem Sound

Muscle Shoals ist ein Dorf in Alabama, tief im Süden der USA. Über 75 Gold- und Platin-Schallplatten sind dort in zwei Studios entstanden, darunter Klassiker von Aretha Franklin, den Rolling Stones, Otis Redding und Paul Simon.

Von: Klaus Walter

Stand: 14.02.2013 | Archiv

Vinyllabel von Aretha Franklin | Bild: Atlantic

In Muscle Shoals blüht in den sechziger Jahren ein neuer Sound, ein schillernder Bastard aus Soul, Country und Rhythm & Blues. An die goldenen Jahre von Muscle Shoals erinnert in diesem Frühjahr ein Dokumentarfilm. Außerdem sind vor 70 Jahren, am 4.Februar 1943 zwei Schlüsselspieler der Muscle Shoals-Szene zur Welt gekommen. Der Keyboarder Barry Beckett, der 2009 gestorben ist, und der Gitarrist Jimmy Johnson haben diesen Sound auch als Produzenten geprägt.

Wilson Picketts “Land of a thousand Dances“ von 1966 ist einer der größten Hits aus den Fame Studios in Muscle Shoals. Dabei war dieses Land der tausend Tänze bloß ein kleines Dorf im Norden von Alabama. 1961 hat es angefangen mit Arthur Alexander und seinem Hit „You better move on“, später gecovert von den Rolling Stones.

Der Gründer heißt Rick Hall

Produziert wird der Song von Rick Hall, dem Gründer der Fame Studios in Muscle Shoals. „Das kann nie ein Hit werden, meinten damals alle“, so erinnert sich Rick Hall später. „Zu weiß für die Schwarzen, zu schwarz für die Weißen.“

Wilson Pickett

Ironie der Geschichte: genau das könnte das Erfolgsrezept von Fame und Muscle Shoals gewesen sein, dieses: Zu weiß für die Schwarzen, zu schwarz für die Weißen. Es waren nämlich vor allem weiße Männer, die den Sound von Muscle Shoals geprägt haben, und es waren vor allem, aber nicht nur, schwarze Frauen und Männer, die diesem Sound ihre Stimmen gegeben haben. Und das meist unter der Regie des weißen Produzenten und Studiogründers Rick Hall. In den Fame Studios und später auch im Muscle Shoals Sound Studio gilt in den frühen keine Rassentrennung, wie sie zu dieser Zeit im Süden der USA noch an der Tagesordnung ist.

Die schönste Musik des Planeten

Interessanterweise entsteht ausgerechnet zwischen Alabama und  Tennessee zu dieser Zeit die schönste Musik des Planeten und sie wird gemeinsam gemacht von Schwarzen und Weißen. Tatsächlich sind Aufnahmestudios, Konzerthallen und Clubs oft die einzigen Orte, an denen Schwarze und Weiße mehr oder weniger ungehindert zusammen sein können.

Der Sound aus Muscle Shoals erobert die Charts, schon bald werden auch weiße Musiker aus dem Norden der USA aufmerksam und wollen mit diesen schwarzen Musikern arbeiten. Mit diesen vermeintlich schwarzen Musikern…

Studio-Boss Rick Hall erzählt eine lustige Geschichte. „Eines Tages ruft Paul Simon an, er will unbedingt mit diesen tollen schwarzen Musikern aufnehmen, die er auf einem Hit der Staple Singers gehört hat. Da habe ich gesagt, okay, kannst du haben, aber diese Typen sind ganz schön blass.“

Die ach so schwarzen Musiker sind ganz schön blass, es sind Weiße. Paul Simon kommt trotzdem nach Muscle Shoals und nimmt ein Nummer-Eins-Album auf, „There goes Rhymin´ Simon“.

Paul Simon in Muscle Shoals

Paul Simon wollte unbedingt mit diesen tollen schwarzen Musikern aufnehmen, nur um dann festzustellen, dass es sich um weiße handelt. Das Wort colourblind, also farbenblind, fällt immer wieder, wenn es um den Sound von Muscle Shoals geht, und es ist als Kompliment gemeint. Das Dorf in Alabama hatte schnell einen guten Ruf unter Musikern als ein Ort, an dem Weiße und Schwarze ohne Probleme zusammenspielen konnten, so steht es im Begleitbuch zu The Fame Studio Story, eine Drei-CD-Sammlung über den Muscle Shoals Sound – The Story of the Studio that put the Muscle Shoals sound on the map.

Paul Simon (rechts) und Art Garfunkel

Das Studio, das diesen Sound auf die Landkarte brachte. Besonders bemerkenswert, weil die Landkarte von Alabama eben auch Orte wie Birmingham, Selma oder Montgomery verzeichnet, Städte, in denen es während der Bürgerrechtsbewegung zu blutigen Kämpfen kam. Muscle Shoals – so scheint es – ist eine Insel der Seligen, und der Farbenblinden. Farbenblinde Weiße wie Dan Penn.

Der Songwriter Dan Penn

Als Autor zahlloser Songs, darunter einige absolute Klassiker ist Penn eine der wichtigsten Figuren in Muscle Shoals: „Wir wussten nichts über Musik, bis uns die Schwarzen auf den richtigen Weg brachten“, mit diesen Worten zitiert das Booklet diesen Dan Penn. Penn nahm seine Songs auch selbst auf, allerdings mit wenig Erfolg. Den hat er 1966 mit „I'm your puppet“, ein Song, den Penn zusammen mit Spooner Oldham geschrieben hat. Oldham war ebenfalls ein wichtiger Autor und Keyboarder der Fame-Hausband. Penns eigene Aufnahme von „I´m your puppet“ floppt, aber dann gibt er den Song in die Hände von zwei – schwarzen - Cousins aus Florida: James & Bobby Purify, und die machen „I´m your puppet“ zu einem Top Ten Hit.

Im Text heißt es: „Du machst mit mir was du willst, du musst nur an den Strippen ziehen und ich bin hilflos, ich bin deine Puppe.“ 1966 ein ungewöhnlicher Text aus dem Munde eines Mannes – damals ist es nicht üblich, dass ein Mann Schwäche zeigt. Später wird das Lied von der Puppe auch von Frauen gesungen, berühmt ist die Version von Dionne Warwick, sie entspricht eher den Geschlechterkonventionen der sechziger Jahre.

Nicht ganz geschlechtergerecht

Auch der Song “Do right woman, do right man” kommt aus dem Fame Studio, auch er stammt aus der Feder von Dan Penn, auch er wurde von Männern und Frauen aufgenommen, auch er handelt von Männern und Frauen. Wenn er von Otis Clay gesungen wird, dann ist es ein Appell eines Mannes an seine Frau, die ihn möglicherweise betrogen hat: Wenn du einen rechtschaffenen Mann haben willst, dann sei gefälligst eine rechtschaffene Frau…

Viele haben “Do right woman, do right man”, aufgenommen, Männer und Frauen, Schwarze und Weiße, darunter auch ein weißer Mann namens Gram Parsons, einer von vielen Belegen für die Nähe und die Vereinbarkeit von Country und Soul im Süden der USA, in Muscle Shoals, Alabama. Die berühmteste Version von „Do right woman, do right man” stammt von Aretha Franklin und ist 1967 nicht weniger als eine feministische Forderung nach Gleichberechtigung und gegenseitigem Respekt: Wenn du eine rechtschaffene Frau haben willst, dann sei gefälligst ein rechtschaffener Mann, singt mit dem ihr eigenen Nachdruck die junge Aretha.

Aretha Franklin fordert Respekt

Aretha Franklin

Auch die berühmteste musikgewordene Forderung nach Gleichberechtigung und gegenseitigem Respekt ist in Muscle Shoals von Aretha Franklin 1967 aufgenommen worden. Die Sessions, so heißt es, müssen schwierig gewesen sein, racial tensions sind überliefert, also Spannungen um Fragen der Hautfarbe, als Aretha Franklin aus New York im Süden ankommt, in einem Studio mit lauter weißen Männern, sie hat ihre Crew mitgebracht mitsamt ihrem Ehemann, der als gereizt beschrieben wird…aber, aus der angespannten Situation entwickelt sich eine denkwürdige Aufnahmesession.

Das Resultat ist das Album “I never loved a man the way I love you”, für Aretha Franklin der Durchbruch zur Queen of Soul. Dieses Album beginnt mit einer weiteren Forderung nach Respekt. Respekt vor dem anderen Geschlecht, Respekt vor der anderen Hautfarbe. „Respect“ stammt ursprünglich von Otis Redding, aber erst in der Version von Aretha Franklin bekommt dieses „Respect” seine durchschlagende Wirkung, 145 Sekunden, die tatsächlich mal die Welt verändern, zumindest ein bisschen. Und die Karriere von Aretha Franklin, die wird über Nacht zur sogenannten Queen Of Soul.

The Dark end of the street

Um Respekt vor dem anderen Geschlecht und um die Tücken der Geschlechterverhältnisse geht es – irgendwie – auch in „The Dark end of the street”, vielleicht der größte der sogenannten Cheating Songs, also Lieder, in denen es um Betrug und Verrat der Liebe geht.

Dan Penn ist mal wieder der Autor, und fast jeder und jede im Soul hat es aufgenommen. Viele halten die Version von James Carr für die definitive, andere schwören auf die gewaltige Fassung von Aretha Franklin. Die eigenwilligste Version ist in den Muscle Shoals Studios entstanden und stammt von Clarence Carter, einem der großen Stars des Fame Labels. Ein blinder Sänger mit einem äußerst männlichen Habitus und ebensolcher Stimme. Seine Version von „The Dark end of the street” besteht im Grunde aus zwei Songs. Im ersten erzählt er eine kleine Geschichte des Liebe Machens im Großen und Ganzen.

Pferde machen Liebe, Kühe machen Liebe, Moskitos machen Liebe und auch menschliche Wesen machen Liebe…und dann geht´s um die kleinen Unterschiede zwischen den Geschöpfen. Und nachdem Clarence Carter das alles erzählt hat, dann gibt es einen sagenhaften Moment nach 4.07 Minuten, da erhebt Carter seine mächtige Stimme und der eigentliche Song beginnt, „at the dark end of the street, that´s where we always meet“.

Hier geht's um Betrug

Am dunklen Ende der Straße treffen sich zwei anderweitig verheiratete Menschen, um miteinander Liebe zu machen. Clarence Carters Version dieses Evergreens ist zu skurril für die Charts, aber auch Carter landet einige richtige Hits für seine Plattenfirma Fame. Einer davon ist “Snatching it back” aus dem Jahr 1969. Das markante Gitarrenmotiv am Anfang des Songs leiht sich später die Rockband Lynyrd Skynyrd für ihren Welthit „Sweet Home Alabama“, quasi die inoffiziellen Nationalhymne von Alabama.

Berühmt-berüchtigt ist „Sweet Home Alabama“ als patriotische Antwort auf den „Southern Man“ von Neil Young. Der Kanadier Young hatte in „Southern man“ den Rassismus im Süden angeprangert. Lynyrd Skynyrd verbitten sich derlei Einmischung von Fremden und zählen dagegen die schönen Seiten des von Alabama auf. Dazu gehören auch die Swampers aus Muscle Shoals.

Die Swampers sind die Rhythmusgruppe des Fame Studios und gründen später auch das Muscle Shoals Sound Studio. Die Swampers sind also für Muscle Shoals das, was die Meters für New Orleans oder Booker T. & The MG´s für Memphis sind. Die Swampers sind auf mehr als 75 Gold- oder Platin-Schallplatten vertreten, sie haben u.a. gespielt mit Rod Stewart, J.J.Cale, Tony Joe White, mit Traffic und den Rolling Stones. Und mit Lynyrd Skynyrd. Eben diese Band setzt den Swampers ein Denkmal in „Sweet Home Alabama“:

"Now Muscle Shoals has got the Swampers;
And they've been known to pick a song or two."

Lynyrd Skynyrd

Heißt es da, die Swampers aus Muscle Shoals haben den einen oder anderen Song gespielt und: „They pick me up when I'm feeling blue, Now how about you? “ Also, sie heben mich wieder auf, wenn ich am Boden bin, geht´s dir nicht genauso? Und das alles zu einem Gitarrenmotiv von Clarence Carter – made in Muscle Shoals.


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