Emmylou Harris Das schöne Gesicht der Country-Musik
In der Musik von Emmylou Harris ist große Sehnsucht zu hören - nach einem verstorbenen Menschen. Gram Parsons ist dieser Mensch, an den Emmylou Harris bis heute immer wieder erinnert.
"Boulder to Birmingham" ist so etwas wie der sog. "Signature Song" von Emmylou Harris, ihr Erkennungszeichen. "Boulder to Birmingham" erschien 1975 auf ihrem zweiten Solo-Album "Pieces of the Sky" und beschreibt die Sehnsucht nach einem verlorenen Menschen. Bei Emmylou Harris geht es dabei um Gram Parsons, den Prince of Country Rock, an dessen Seite ihr Aufstieg begann.
Nach einem missglückten Start Ende der 60er Jahre als Folksängerin in New York, war Anfang der 70er Chris Hillman – früher bei den Byrds, zu jener Zeit bei den Flying Burrito Brothers – auf die Sängerin aufmerksam geworden und hatte sie seinem ehemaligen Burrito-Kollegen Gram Parsons empfohlen. Emmylou Harris, zu jeder Zeit schon Mutter einer Tochter und frisch geschieden, wurde Parsons ideale Duett-Partnerin auf seinen zwei Solo-Alben. Aber die Beiden waren auch ein Liebespaar – und das hört man der Musik auch an.
Kurz nach Fertigstellung des Albums "Grievous Angel" starb Gram Parsons am 19. September 1973 an einem Drogencocktail. Emmylou Harris war erschüttert und wird – bis zum heutigen Tag – immer wieder Parsons Songs aufnehmen und auch in Interviews immer wieder an ihn erinnern. Und auch an dessen Rolle in der Popmusik der 60er Jahre. Parsons war es nämlich, der Country-Musik auch in der alternativen Hippie-Szene wieder gesellschaftsfähig machte. In den politischen Turbulenzen der Sixties galt Country nämlich – und nicht ganz zu Unrecht – als Musik der Konservativen bis Reaktionären. Mit Parson begann jedoch die Ära des Country Rock, die mit dem Erfolg der Eagles Mitte der 70er ihren Höhepunkt erleben sollte.
Eine Frau aus dem Süden der USA
Emmylou Harris ist ein Southern Girl, geboren in Alabama, aufgewachsen in North Carolina und Virginia, war also durch die Country-Radio-Stationen der Südstaaten musikalisch sozialisiert worden. Und sie hat immer differenziert zwischen politisch inkorrekten Redneck-Songs und wahrhaftiger Schönheit von Country-Klassikern, wie sie auf "Elite Hotel" – einem ihrer besten Alben – enthalten sind.
Mitte der Siebziger ist Emmylou Harris längst ein großer Star. Das liegt nicht nur an ihrer engelsgleichen Stimme und der verlässlichen Auswahl ihrer Songs. Emmylou Harris ist eine schöne Frau, sieht eher wie ein Model mit Hippie-Chic aus als wie die übliche Country-Queen mit Beehive-Frisur. Und sie ist bestens vernetzt mit der Nu- Folk und Country-Rock-Szene jener Zeit. Sie ist bestens bekannt mit Leuten wie Crosby, Stills, Nash and Young. Besonders mit Neil Young wird sie im Laufe der Jahre immer wieder kollaborieren.
Im November 1976 wird sie sozusagen offiziell in die Oberliga aufgenommen, denn sie darf beim "Last Waltz" mitmachen. Das ist das Abschiedskonzert von The Band, bei dem Bob Dylan, Joni Mitchell oder Ringo Starr mitwirken und das Martin Scorsese fürs Kino verewigt. Ihr Song an diesem legendären Abend ist Robbie Robertsons "Evangeline".
Kurz danach wird sie ihr erfolgreichstes Solo-Album veröffentlichen. Im Januar 1977 erscheint "Luxury Liner”, benannt nach einem Gram-Parsons-Song. Hier zeigt sich Harris vor allem als begnadete und vielseitige Interpretin, die sowohl Chuck Berrys "You never can tell" als auch Country-Klassiker wie Townes Van Zandts "Pancho and Lefty" überzeugend rüberbringen kann.
Familie, Konzerte, Platten
Emmylou Harris heiratet 1977 im Alter von 30 Jahren zum zweiten Mal und bringt auch ihre zweite Tochter zur Welt. Aber das hält sie nicht davon ab, weiter regelmäßig zu touren und Platten aufzunehmen. Inzwischen hat sie auch eine sehr gut funktionierende Band am Start, deren Mitglieder zwar ständig wechseln, aber nie an Qualität einbüßen. Zu Emmylou Harris "Hot Band" gehören Gitarristen wie der Elvis-Sidekick James Burton, der britische Perfektionist Albert Lee und auch der Songwriter Rodney Crowell, der schon bald eine erfolgreiche Solo-Karriere hinlegen wird.
Wie für so viele Stars der Sixies und Seventies werden die 80er auch für Emmylou Harris ein eher schwieriges Jahrzehnt. Das Aufkommen der New Wave, der Keyboard-lastige Sound der neuen Stars Madonna, Prince und Michael Jackson zwingen Emmylou Harris zu einer Kurskorrektur. Sie wendet sich der traditionelleren Country Musik zu, nimmt diverse Alben in diesem Stile auf, bleibt so in den Country-, verschwindet aber allmählich aus den Pop-Charts.
Highlight dieser Periode ist ihr 85er Album "The Ballad of Sally Rose". Das kommt völlig ohne Coversongs aus, alle Titel werden von ihr und ihrem nun bereits dritten Ehemann, dem Briten Paul Kennerly, geschrieben. Diese Sally Rose ist so etwas wie das Alter Ego von Emmylou Harris – es handelt sich also im weiteren Sinne um ein Konzeptalbum.
Zurück zu den Wurzeln
Emmylou Harris ist Mitte der 80er Jahre in ihrer sog. Roots-Phase. Zu der gehört eigentlich auch das bestverkaufte Album, auf dem sie je mitgewirkt hat. 1987 nämlich kommt endlich das zustande, wofür es in den Jahren zuvor immer wieder gescheiterte Anläufe gegeben hatte: Ein gemeinsames Album mit den zwei anderen Country-Rock-Königinnen Dolly Parton und Linda Ronstadt. Begleitet von der Creme de la Creme der Studiomusiker von Los Angeles, also nicht in Nashville aufgenommen, wird das Album "Trio" ein Millionenseller. Zwölf Jahre später, also 1999, wiederholen die Drei diese Eskapade – dann allerdings mit etwas weniger Erfolg.
In den Neunzigern verlangsamt sich erstmals der Plattenausstoß von Emmylou Harris ein wenig. Sie wechselt die Plattenfirma, aber irgendwie scheint das mit dem Image des ewigen Cowgirls nicht mehr so richtig zu laufen. Es ist abermals ein Richtungswechsel angesagt – und der gelingt 1996 erstaunlich gut, mithilfe des kanadischen Produzenten Daniel Lanois. Der verordnet Emmylou eine strenge Country-Diät und versorgt das Album "Wrecking Ball" stattdessen rockistischen Elementen und verstärkten Echokammern. "Wrecking Ball" ist für Emmylou Harris ein geglücktes Experiment, eine düstere Platte, mit der sie eine neue Generation auf sich aufmerksam macht.
Emmylou Harris hat im Laufe ihrer Karriere immer wieder Kollaborationen durchgezogen , zusätzlich zu ihren 26 Solo-Alben in den letzten 40 Jahren. 1999 entsteht das Album "Western Wall - The Tuscon Sessions", das als Duett-Album mit Linda Ronstadt beworben wird, die bei dem Projekt wohl auch federführend war. In einem Studio der texanischen Stadt kommen aber auch Neil Young, Ex-Eagle Bernie Leadon und die McGarrigle-Schwestern zusammen, um ein wunderbar relaxtes Album aufzunehmen. Emmylou Harris ist inzwischen auch äußerlich transformiert: Statt der dunklen Haare trägt sie jetzt silber-metallic, gibt sich also nunmehr als Grand Dame von weiterhin entrückter Schönheit.
Im neuen Jahrtausend hat Emmylou Harris im Schnitt alle drei Jahre ein neues Album gemacht und ist mit ihrer Band in Bob-Dylan-Manier regelmäßig um die Welt gereist. Längst ist sie zum dritten Male geschieden und kürzlich erstmals Oma geworden. Mit ihren Kollaborationen deckt sie ein weites Spektrum ab – das reicht von Mark Knopfler bis zum Wunderkind Conor Oberst, den Emmylou auf seinem Bright-Eyes-Album "I’m wide awake it’s Morning" 2005 beigestanden hat. Und hier hört man, dass sie auch in eher folkigen Kontexten bestehen kann.
Ein Blick auf ihre Website verrät, dass sie weiterhin fleißig Konzerte gibt und auf irritierende Weise nicht in die Riege der Altstars ihrer Generation passt, weil sie nicht auf die Taste "Legende" drückt, sondern sich als aktive, fortschrittliche Künstlerin versteht. Am zweiten April 2012 feierte Emmylou ihren 65. Geburtstag.