Bayern 2 - Nahaufnahme

Trans* Menschen in Deutschland "Niemand lässt sein Geschlecht angleichen, um sich in Frauenumkleiden zu schleichen"

Henri Maximilian Jakobs ist Musiker, Autor und Schauspieler. Zwischen 2015 und 2019 ließ er sich vom BR bei seiner Transition begleiten. Was hat sich seitdem in puncto Selbstbestimmung von trans* Menschen getan?

Von: Christina Wolf

Stand: 01.04.2022 | Archiv

Henri Jakobs | Bild: Bastian Bochinski

Henri Maximilian Jakobs ist Musiker, Autor und spielt Theater an der Berliner Schaubühne. Und er klärt auf Instagram über queere Themen auf. 2015 hat er sein eigenes Coming Out als trans* und lässt seine Transition von seiner besten Freundin Christina Wolf über Jahre hinweg mit dem Mikrofon begleiten. Das Ergebnis, der Bayern2 Podcast Transformer, wird 2019 mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet. Seither rückt das Thema Transidentität immer mehr in den gesellschaftlichen Fokus - nicht zuletzt dank Deutschlands ersten trans* Bundestagsabgeordneten. Heißt das, alles fein in puncto trans* und Deutschland? Schön wär’s, sagt Henri im Interview.

Christina Wolf: Wenn Du das mal vergleichst, die Zeit Deines Coming Outs und Deiner Transition, zu heute: Was hat sich da in Deutschland verändert? Ist es leichter geworden für trans* Menschen?

Henri Maximilian Jakobs: Mittlerweile gibt es eine andere Aufmerksamkeit. Vielmehr: es gibt sie überhaupt. Vor sieben Jahren war Deutschland in Sachen Öffentlichkeit ziemliches Brachland. Wenn über trans Themen berichtet wurde, dann eher sensationslustig, reißerisch oder als Freakshow. Damit will ich nicht sagen, dass es das aktuell nicht mehr gibt, aber die Anteile der Berichte, Artikel oder Beiträge, die in Ordnung sind, sind mehr geworden. Zudem gibt es viel mehr Menschen, die ihre eigenen Geschichten auf Social Media erzählen und Aufklärungsarbeit leisten. Vor meiner Transition habe ich nur Leute aus den USA gefunden. Sichtbarkeit ist entstanden. Vielfalt.

Wird es dadurch leichter?

Es ist leichter geworden, sich zu informieren. Übrigens nicht nur für trans Personen. Der gesellschaftliche und politische Wandel ist allerdings weitaus träger. Der rechtliche Weg zu transitionieren ist immer noch furchtbar, die Krankenkassen sind auch nicht zwingend empathischer geworden und allerhand menschliches Unkraut wächst heran, das sich in Gender-Fragen für die Speerspitze der Wissenschaft hält, obwohl es ihm nur darum geht, trans Menschen das Leben schwer zu machen und Hass zu schüren. Wo Licht ist, da ist eben auch Schatten.

Was ist nach wie vor unnötig schwer?

Die Bürokratie und alles, was im Zusammenhang mit Krankenkassen geschieht. Um vor Gericht seinen Personenstand und Namen ändern zu lassen, muss man aktuell zwei Gutachten einholen, die man selber zu bezahlen hat. Von den komplett fremden Begutachtenden  werden sehr oft Fragen gestellt, die übergriffig, unnötig und fehl am Platz sind. Beispielsweise zu sexuellen Vorlieben. Was soll das? Man ist ständig in der Pflicht allen möglichst eindeutig und fehlerfrei zu beweisen, wer man ist, was man fühlt. Dass man es auf jeden Fall ganz ernst meint und nicht nur ein bisschen oder auch sehr verrückt ist. Unabhängig von den Gutachten muss man den sogenannten Alltagstest absolvieren. Heißt: Zwei Jahre in der Rolle des, ich zitiere, Zielgeschlechts leben. Allerdings ohne schon medizinische Behandlung zu erhalten. Hürdenlauf mit Betonklötzen an den Füßen quasi. Die Gutachten schickt man dem Gericht, das sie prüft. Abschließend hat man einen Termin mit dem Richter/der Richterin und darf sich erneut erklären. Hat man all das hinter sich gebracht, wartet man auf den vorläufigen Beschluss, danach kommt der rechtskräftige. Hat man diesen, kann man seine Dokumente ändern lassen. Der Staat stützt einen während dieser sowieso schon heiklen und anstrengenden Zeit der Transition nicht, sondern drangsaliert und gängelt. Wünscht man medizinische Behandlung, also die Einnahme von Hormonen und/oder Operationen, muss man Therapie machen. Erst nach einer bestimmten Anzahl von Stunden übernimmt die Krankenkasse die Kosten der Hormonbehandlung oder von Operationen. Diese vermeintliche Sorge des Gender-Hoppings ist also ziemlich absurd.

Was sind Deiner Erfahrung nach die hartnäckigsten Vorurteile gegenüber trans* Personen?

Dass trans Menschen wahnsinnig viel anders sind als cis Menschen.

Was würdest Du Dir wünschen, was cis Leute endlich über trans* kapieren sollten?

Die Entscheidungen von trans Menschen beeinflussen das Leben der durchschnittlichen cis Person nicht im geringsten. Ist am 25.4.2016 das Leben irgendeines cis Menschen den Bach runtergegangen? Vielleicht, aber nicht wegen mir. Da habe ich nämlich meine erste Testo-Spritze bekommen. Um es deutlich zu sagen: Niemand nimmt ihnen was weg. Niemand lässt sein Geschlecht angleichen, um sich in Frauenumkleiden zu schleichen oder sich Quotenplätze zu ergaunern. Niemand will Kinder verhexen. Es gibt keine Pharmalobby, die davon profitiert, dass trans Menschen ohne Hindernisse ihr Leben leben. Es gibt kein Gender-Hopping. Wir sind kein Trend. Wir sind nicht krank. Krank ist einzig und allein die Welt, die man uns aufzwingt. Wir wollen eigentlich in erster Linie unsere Ruhe und unser Recht.

Im englischsprachigen Raum gibt es schon seit geraumer Zeit viel mehr Diskussionen um die Rechte von trans* Personen. Besonders in den USA und in Großbritannien wird der Transaktivismus aber auch immer wieder heftig kritisiert, Stichwort J.K.Rowling oder die ganze TERF (=trans-exclusionary radical feminism) -Debatte. Oder auch die Frage nach Pubertätsblockern bei trans* Jugendlichen wird heftig diskutiert. Glaubst Du, dieser Culture War geht jetzt auch in Deutschland los?

Die Emma hetzt seit geraumer Zeit mit Terf-Aussagen und beruft sich auf einen zweifelhaften Feminismus, den sie aus irgendwelchen Fetzen der 70er Jahre zusammengeschustert hat. Die AfD sowieso. Beatrix von Storch hat vor kurzem in einer Rede im Bundestag die Abgeordnete Tessa Ganserer aufs Übelste beleidigt, sich über sie lustig gemacht, sie mit ihrem alten Namen und den falschen Pronomen angesprochen. Es gibt auch hier mittlerweile Gruppierungen, die sich als besorgte Eltern von trans Kindern ausgeben und die Expert:innen aktuell mit einem "Offenen Brief" bedrängen. Da steckt dann zum Beispiel der Pseudo-Aktivist David Allison dahinter, Parteimitglied bei den Grünen, der bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg 2021 antrat. Als Frau. Um die, wie er sagte, Gender-Debatte lächerlich zu machen. Stimmen hat er keine bekommen. Ziemlich klar, wer sich lächerlich gemacht hat. Dass derlei nicht ohne Konsequenzen bleiben darf, sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Leider sind sie bei weitem nicht die Einzigen, die solch gefährlichen, hetzerischen Nonsens von sich geben. Mit Hass und Geschrei lassen sich zum einen sehr gut Aufmerksamkeit und Wirbel generieren, zum anderen Geld verdienen. Mit belegbaren Aussagen, der Wahrheit oder Wissenschaft hat all das wenig zu tun. Diese Leute sind die Kolik einer krankhaften Gestrigkeit. Wäre halt toll, wenn der Staat seiner viel gerühmten Fürsorgepflicht nachkommen und gegen diese Form der Gewalt und des Hasses vorgehen würde. Leider kriegt er das nur hin, wenn es um das Aufrechterhalten des diskriminierenden Status quo geht.

Was muss sich also politisch tun?

Man muss sich zum einen klarmachen, dass es sich bei den Rechten für trans Personen schlichtweg um Menschenrechte handelt und diese nicht verhandelbar sind. Alle Menschen sind gleich zu behandeln. Ohne Ausnahme. Zum anderen muss als erster Schritt das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet werden, das bereits vorgestellt wurde. Erst letztes Jahr wurde das von der FDP und den Grünen reformierte Gesetz bei einer Abstimmung im Bundestag ziemlich eindeutig abgelehnt. Die Begründungen waren die gleichen fadenscheinigen Ausreden wie bisher immer. Der Staat stünde in einer Fürsorgepflicht seinen Bürger:innen gegenüber, wahrscheinlich wolle man irgendwann das Geschlecht ganz abschaffen, man müsse doch die Kinder schützen und wenn Menschen über ihren eigenen Körper bestimmen könnten, wäre das der Anfang vom Ende, weil Genderhopping und kompletter Irrsinn.