#geimpft Das Impfselfie hat seine Unschuld verloren
Impfpass oder Pflaster? Hochgestreckte Faust oder Nadel im Arm? #TeamAstrazeneca? Die Inszenierungen der Geimpften sind so vielschichtig wie ihre Bedeutungsebenen. Nur eines ist klar: Man kann es nur falsch machen. Ein Kommentar
Vor ein paar Monaten war es noch DAS Killer-Selfie. Medienwirksam ließen sich Politiker aus aller Welt fotografieren, wie sie geimpft werden. Das diente der Vorbildfunktion. Den Ärmel hochgekrempelt. Schaut her, ich vertraue der Wissenschaft. Ich bin geil. Ich lasse mich impfen. Tut dies bitte auch. Wenn ihr dann irgendwann dran seid. Gemäß der Priorisierung ging die nächste Welle der Impf-Nachrichten auf Social Media von den Enkeln und Kindern der Senioren aus. Juhuu. Meine Omi wurde geimpft. Und alle haben sich solidarisch gefreut.
Das ultimative Impfselfie: das Impfie
Und nun sind wir dran. Die unter 60-Jährigen. Die Power-User von Social Media. Und was Politiker können, können wir schon lange. Nämlich das ultimative Impfselfie inszenieren: das Impfie. Auf Instagram findet sich eine interessante Typologie der Impfselfies. Die mit hochgestreckter Faust, die noch den Arzthelfer mit ins Bild zerren. Ganz authentisch, frisch von der Front. Yeah. Dann gibt es die selbsternannten Aufklärer, die meinen, es bräuchte ihren Post, um endlich zu verstehen, dass Impfen toll ist. Ein kleiner Pieks für mich. Ein großer Pieks für die Menschheit. Mein Dienst am Vaterland. Oder die Dankbar-Bescheidenen, die nur das kleine Pflaster fotografieren. Mit einem schlichten "Juchu" und ein paar verliebten Emoticons. Dann die Unterwürfigen, die sich irgendwie schämen, aber natürlich auch freuen, und ihr Pflaster mit einer langen Erklärung posten, dass sie es wirklich verdient haben, und nun endlich zu Oma könnten. Denn es geht ja nicht um sie, eigentlich, also, ich mach das ja für euch.
Die Impf-Inszenierung auf Social Media gibt es in zwei verschiedenen Motiven. Die Pflaster am Oberarm, und dann der Stempel im Impfpass. Während das Pflaster am Oberarm etwas Heroisches hat, körperlich, nah dran am Menschen – zeigt der Impfpass eher den bürokratischen Stolz, eine Berechtigung erhalten zu haben. Den ultimativen Passierschein. Die Ansprache der beiden Varianten aber bleibt gleich: stolzes Posing auf der einen Seite, verschämte Freude auf der anderen Seite.
Der Impfneid hat die sozialen Medien erreicht
Aber die Stimmungslage hat sich geändert. Auf Twitter haben alle schlechte Laune. Viele haben Angst, nicht früh genug dranzukommen. Die, die noch nicht geimpft sind. Obwohl sie Mütter sind. Obwohl sie schwanger sind. Obwohl sie Busfahrer sind. Obwohl sie vorerkrankt sind. Obwohl sie nun schon – so – lange – zu Hause sitzen. Obwohl sie täglich raus müssen. Obwohl sie es doch alle verdient hätten, jeder für sich. Die, die endlich aus der Isolation rauswollen. Die, die täglich in die Fabrik müssen.
Und neuerdings geht es auch beim Impfstoff selbst um Distinktion. Unter dem Hashtag #TeamAstrazeneca postet man Impf-Selfies, die sagen: Nein, ich bin mir nicht für Astrazeneca zu schade, auch wenn ich unter 60 bin. Schande über die Alten, die lieber Biontech haben wollen, weil die Berichterstattung über Astrazeneca sie verunsichert hat. Schande über die, die in der Pandemie nur an sich denken. Die Freude, geimpft zu werden, steht hier nicht mehr für sich. Es muss dabei auch immer mitgesagt werden, wie andere sich falsch verhalten.
Das Impfselfie hat seine Unschuld verloren. Einfach nur posten geht nicht mehr. Der Impfneid hat die sozialen Medien erreicht. Ob und wie Sie ihren Oberarm samt Pflaster inszenieren, könnte in Zukunft Ihre sozialmedialen Beliebtheitswerte maßgeblich beeinflussen. Aber keine Sorge – Sie können es eh nur falsch machen.