Bayern 2 - Notizbuch


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Vom Festtagsessen zum Schlangenfraß Die Geschichte der Kükentötung

An die 50 Millionen frisch geschlüpfte Küken werden jedes Jahr getötet, nur weil sie männlich sind. Heute taugt der Bruder der Legehenne nur noch als Schlangenfraß. Früher war er der Ausgangspunkt für ein Festessen.

Von: Ursula Klement

Stand: 16.06.2016

  • 1940
    Um 1939: Gänse und Hühner auf einem Bauernhof | Bild: imago/Schöning

    Bauernhof um 1939

    1940

    Festessen

    In der bäuerlichen Geflügelzucht der Kriegs- und Nachkriegsjahre war es noch selbstverständlich, dass Gockel dabei waren. Sie wurden groß gezogen und geschlachtet. Wenn sie mal nicht so füllig waren, je nach Rasse, wurden einfach zwei oder drei Gockel auf einmal geschlachtet. Die Gockel wurden gefüllt, zum Beispiel mit einer Semmelfüllung, und schon war es ein üppiges Festtagsessen.

  • 1950
    Zwei Küken | Bild: imago/Anka Agency International

    Weibliche und männliche Küken wurden gemeinsam großgezogen

    1950

    Arbeitserleichterung

    Ab den 1950er Jahren konnten Geflügelhalter Eintagsküken von Brütereien in der Umgebung kaufen, die Gockel gab's als Dreingabe. Wieder wurden die Küken gemeinsam groß gezogen: die Hennen zum Eierlegen, ihre Brüder zum Schlachten. Als Kükenhaus diente ein Unterschlupf, der mit einer Wärmflasche und Decke gewärmt wurde. Als Futter gab es zum Beispiel geröstetes Weißbrot und ganz klein gehackte Brennnesseln. Fertigfutter gab es noch nicht.

  • 1980
    Junghennen im Käfig werden zum Verkauf angeboten | Bild: imago/blickwinkel

    Junghennen

    1980

    Die Stunde des Hennenmanns

    In den 1980er Jahren schlossen die letzten der kleinen regionalen Brütereien. Kleinviehhändler begannen, Geflügel zu verkaufen, und fuhren mit ihren Lieferautos zu den Bauern. Die konnten somit bereits legereife Hennen kaufen. Junghennen fangen ungefähr im Alter von fünf Monaten an, Eier zu legen.

  • 2000
    Geschlechtsbestimmung der Küken nach dem Schlüpfen: Die aussortierten männlichen Küken werden getötet. | Bild: picture-alliance/dpa

    Geschlechtsbestimmung nach dem Schlüpfen: Die männlichen Küken werden getötet.

    2000

    Niemand interessiert es

    Seit den 1950er oder 1960er Jahren haben die immer größer werdenden Brütereien die männlichen Küken getötet, anfangs meist geschreddert, später mit Gas betäubt und erstickt. Die Politik und die Öffentlichkeit schauten jahrzehntelang weg.

  • 2001
    Buch mit Kommentar zum Tierschutzgesetz | Bild: picture-alliance/dpa

    Tierschutzgesetz

    2001

    Ethisch bedenklich

    2001 hält die rot-grüne Bundesregierung das Töten von männlichen Küken für ethisch bedenklich. Sie schreibt in ihrem Tierschutzbericht: "Es stellt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Tötung von Eintagsküken aufgrund ihres Geschlechts."
    Ein Jahr später wird der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert.

  • 2002

    2002

    Tierschutzgesetz

    Wenn es um die Tötung der Küken geht, berufen sich die Tierschützer meistens auf Paragraf 17 des Tierschutzgesetzes: "Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet." In den nächsten Jahren kommen Vorstöße aus drei unterschiedlichen Bundesländern.

  • 2006
    Wappen von Hessen | Bild: imago/Stefan Zeitz

    Wappen von Hessen

    2006

    Vorstöße der Bundesländer

    2006 sagt die hessische Landesregierung dem Kükentöten den Kampf an - es bleibt vorerst bei der Kampfansage.

  • 2011
    Gert Lindemann, Archivbild von 2011 | Bild: picture-alliance/dpa

    Gert Lindemann, CDU

    2011

    Tötungsverbot gefordert

    Fünf Jahre später, im April 2011, tut sich etwas in Niedersachsen, dem Bundesland mit den meisten Brütereien. Der CDU-Landwirtschaftsminister Gert Lindemann stellt einen 41-Punkte-Tierschutzplan vor, der unter anderem auch ein Küken-Tötungs-Verbot vorsieht. Sein Nachfolger, der Grüne Christian Meyer, lässt 2013 prüfen, ob ein Verbot möglich ist.

  • 2013

    2013

    In Nordrhein-Westfalen weist der dortige grüne Landwirtschaftsminister Johannes Remmel im gleichen Jahr, also auch 2013, die Kreisverwaltungen an, die Tötung von Küken mit dem Beginn des Jahres 2015 zu verbieten.

  • 2014

    2014

    Die beiden grünen Landwirtschaftsminister erreichen, dass sich der Bundesrat 2014 dafür ausspricht, schnellstmöglich Lösungen zu finden, damit auf das Töten der männlichen Küken verzichtet werden kann.

  • 2015
    Plenarsaal im Bundesratsgebäude: Die Mitglieder des Bundesrates stimmen ein Jahr später mehrheitlich für einen Gesetzesentwurf, der das Töten aus rein ökonomischen Gründen ab 2017 verbietet. Er wird im Bundestag abgelehnt. | Bild: imago/epd

    Plenarsaal des Bundesrates

    2015

    Ablehnung durch Bundestag

    Die Mitglieder des Bundesrates stimmen ein Jahr später mehrheitlich für einen Gesetzesentwurf, der das Töten aus rein ökonomischen Gründen ab 2017 verbietet. Er wird im Bundestag abgelehnt.

  • 2015

    2015

    Alternative zum Küken-Töten

    In Hessen verpflichtet die grüne Umweltministerin Priska Hinz die Brütereien, Alternativen zum Küken-Töten zu entwickeln, zum Beispiel die Geschlechtsbestimmung des befruchteten Eis. Die ersten Forschungen dazu reichen in die 1990er Jahre zurück. Vorreiter in Deutschland war das damalige Institut für Tierzucht der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Neustadt-Mariensee, das heute zum Friedrich-Loeffler-Institut gehört.

  • 2015
    Küken: Das Verwaltungsgericht Minden hat dem Land Nordrhein-Westfalen untersagt, per Erlass das massenweise Töten männlicher Küken zu verbieten. | Bild: picture-alliance/dpa

    Gericht stoppt NRW-Umweltministerium

    2015

    Brütereien klagen gegen Tötungsverbot

    In Nordrhein-Westfalen haben elf der zwölf Brütereien gegen das Tötungsverbot geklagt, es kann nicht wirksam werden. Das Verwaltungsgericht Minden gibt den Brütereien 2015 Recht, mit der Begründung, dass es keine praxistaugliche Alternative zur Tötung der männlichen Küken gebe.

  • 2015
    Christian Schmidt 2015 mit Aktivisten gegen die Kükentötung: Der Bundeslandwirtschaftsminister setzt auf die Freiwilligkeit der Brütereien. | Bild: picture-alliance/dpa

    Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt, CSU, und Aktivisten

    2015

    Freiwilligkeit

    Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt setzt derweil auf eine freiwillige Selbstregulierung. Zitat: "Ich nehme mal zwei Jahre, wenn sich Regelungen dann ergeben, die nicht in der Freiwilligkeit durchsetzbar sind, dann wird und muss mir auch noch in dieser Legislaturperiode die Möglichkeit gegeben sein, gesetzgeberische Initiativen zu ergreifen."

  • 2015
    Der Vorsitzende Richter Franz Oestreich richtet am 20.05.2016 in einem Saal des Oberverwaltungsgerichtes in Münster (Nordrhein-Westfalen) Akten. Das OVG Münster will ein Urteil sprechen zum umstrittenen Töten von männlichen Küken in der Zucht von Legehennen.  | Bild: picture-alliance/dpa

    Aktenlage

    2015

    PETA erstattet Strafanzeige

    November 2015, Nordrhein-Westfalen: Die Staatsanwaltschaft Münster reicht eine Anklage gegen eine Brüterei im Münsterland ein, es geht um die massenhafte Vernichtung von männlichen Küken. Anlass war eine Strafanzeige der Tierschutzorganisation PETA. Im März 2016 wird die Klage abgewiesen, das Landgericht Münster begründete ihr Urteil unter anderem so: "Als allgemeine Vernunftgründe sind unter anderem alle erdenklichen ökonomischen Ziele, die Nutzung des Tieres zu Nahrungszwecken des Menschen und zur Verwendung als Futtermittel anerkannt."

  • 2016

    2016

    Kein Bestand vor Gericht

    Im Mai 2016 entscheidet das Oberverwaltungsgericht Münster ebenfalls gegen das Kükentötungsverbot. Zwei Brütereien hatten gegen die Tötungsverbote der Kreise Gütersloh und Paderborn geklagt.

    Die Entscheidung des Richters, Zitat: "Der Richterspruch ist kein Urteil darüber, ob die Praxis des Kükentötens noch von der Gesellschaft getragen wird."


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