Vom Festtagsessen zum Schlangenfraß Die Geschichte der Kükentötung
An die 50 Millionen frisch geschlüpfte Küken werden jedes Jahr getötet, nur weil sie männlich sind. Heute taugt der Bruder der Legehenne nur noch als Schlangenfraß. Früher war er der Ausgangspunkt für ein Festessen.
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1940
Bauernhof um 1939
1940
Festessen
In der bäuerlichen Geflügelzucht der Kriegs- und Nachkriegsjahre war es noch selbstverständlich, dass Gockel dabei waren. Sie wurden groß gezogen und geschlachtet. Wenn sie mal nicht so füllig waren, je nach Rasse, wurden einfach zwei oder drei Gockel auf einmal geschlachtet. Die Gockel wurden gefüllt, zum Beispiel mit einer Semmelfüllung, und schon war es ein üppiges Festtagsessen.
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1950
Weibliche und männliche Küken wurden gemeinsam großgezogen
1950
Arbeitserleichterung
Ab den 1950er Jahren konnten Geflügelhalter Eintagsküken von Brütereien in der Umgebung kaufen, die Gockel gab's als Dreingabe. Wieder wurden die Küken gemeinsam groß gezogen: die Hennen zum Eierlegen, ihre Brüder zum Schlachten. Als Kükenhaus diente ein Unterschlupf, der mit einer Wärmflasche und Decke gewärmt wurde. Als Futter gab es zum Beispiel geröstetes Weißbrot und ganz klein gehackte Brennnesseln. Fertigfutter gab es noch nicht.
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1980
Junghennen
1980
Die Stunde des Hennenmanns
In den 1980er Jahren schlossen die letzten der kleinen regionalen Brütereien. Kleinviehhändler begannen, Geflügel zu verkaufen, und fuhren mit ihren Lieferautos zu den Bauern. Die konnten somit bereits legereife Hennen kaufen. Junghennen fangen ungefähr im Alter von fünf Monaten an, Eier zu legen.
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2000
Geschlechtsbestimmung nach dem Schlüpfen: Die männlichen Küken werden getötet.
2000
Niemand interessiert es
Seit den 1950er oder 1960er Jahren haben die immer größer werdenden Brütereien die männlichen Küken getötet, anfangs meist geschreddert, später mit Gas betäubt und erstickt. Die Politik und die Öffentlichkeit schauten jahrzehntelang weg.
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2001
Tierschutzgesetz
2001
Ethisch bedenklich
2001 hält die rot-grüne Bundesregierung das Töten von männlichen Küken für ethisch bedenklich. Sie schreibt in ihrem Tierschutzbericht: "Es stellt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Tötung von Eintagsküken aufgrund ihres Geschlechts."
Ein Jahr später wird der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert. -
2002
2002
Tierschutzgesetz
Wenn es um die Tötung der Küken geht, berufen sich die Tierschützer meistens auf Paragraf 17 des Tierschutzgesetzes: "Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet." In den nächsten Jahren kommen Vorstöße aus drei unterschiedlichen Bundesländern.
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2006
Wappen von Hessen
2006
Vorstöße der Bundesländer
2006 sagt die hessische Landesregierung dem Kükentöten den Kampf an - es bleibt vorerst bei der Kampfansage.
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2011
Gert Lindemann, CDU
2011
Tötungsverbot gefordert
Fünf Jahre später, im April 2011, tut sich etwas in Niedersachsen, dem Bundesland mit den meisten Brütereien. Der CDU-Landwirtschaftsminister Gert Lindemann stellt einen 41-Punkte-Tierschutzplan vor, der unter anderem auch ein Küken-Tötungs-Verbot vorsieht. Sein Nachfolger, der Grüne Christian Meyer, lässt 2013 prüfen, ob ein Verbot möglich ist.
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2013
2013
In Nordrhein-Westfalen weist der dortige grüne Landwirtschaftsminister Johannes Remmel im gleichen Jahr, also auch 2013, die Kreisverwaltungen an, die Tötung von Küken mit dem Beginn des Jahres 2015 zu verbieten.
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2014
2014
Die beiden grünen Landwirtschaftsminister erreichen, dass sich der Bundesrat 2014 dafür ausspricht, schnellstmöglich Lösungen zu finden, damit auf das Töten der männlichen Küken verzichtet werden kann.
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2015
Plenarsaal des Bundesrates
2015
Ablehnung durch Bundestag
Die Mitglieder des Bundesrates stimmen ein Jahr später mehrheitlich für einen Gesetzesentwurf, der das Töten aus rein ökonomischen Gründen ab 2017 verbietet. Er wird im Bundestag abgelehnt.
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2015
2015
Alternative zum Küken-Töten
In Hessen verpflichtet die grüne Umweltministerin Priska Hinz die Brütereien, Alternativen zum Küken-Töten zu entwickeln, zum Beispiel die Geschlechtsbestimmung des befruchteten Eis. Die ersten Forschungen dazu reichen in die 1990er Jahre zurück. Vorreiter in Deutschland war das damalige Institut für Tierzucht der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Neustadt-Mariensee, das heute zum Friedrich-Loeffler-Institut gehört.
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2015
Gericht stoppt NRW-Umweltministerium
2015
Brütereien klagen gegen Tötungsverbot
In Nordrhein-Westfalen haben elf der zwölf Brütereien gegen das Tötungsverbot geklagt, es kann nicht wirksam werden. Das Verwaltungsgericht Minden gibt den Brütereien 2015 Recht, mit der Begründung, dass es keine praxistaugliche Alternative zur Tötung der männlichen Küken gebe.
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2015
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt, CSU, und Aktivisten
2015
Freiwilligkeit
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt setzt derweil auf eine freiwillige Selbstregulierung. Zitat: "Ich nehme mal zwei Jahre, wenn sich Regelungen dann ergeben, die nicht in der Freiwilligkeit durchsetzbar sind, dann wird und muss mir auch noch in dieser Legislaturperiode die Möglichkeit gegeben sein, gesetzgeberische Initiativen zu ergreifen."
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2015
Aktenlage
2015
PETA erstattet Strafanzeige
November 2015, Nordrhein-Westfalen: Die Staatsanwaltschaft Münster reicht eine Anklage gegen eine Brüterei im Münsterland ein, es geht um die massenhafte Vernichtung von männlichen Küken. Anlass war eine Strafanzeige der Tierschutzorganisation PETA. Im März 2016 wird die Klage abgewiesen, das Landgericht Münster begründete ihr Urteil unter anderem so: "Als allgemeine Vernunftgründe sind unter anderem alle erdenklichen ökonomischen Ziele, die Nutzung des Tieres zu Nahrungszwecken des Menschen und zur Verwendung als Futtermittel anerkannt."
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2016
2016
Kein Bestand vor Gericht
Im Mai 2016 entscheidet das Oberverwaltungsgericht Münster ebenfalls gegen das Kükentötungsverbot. Zwei Brütereien hatten gegen die Tötungsverbote der Kreise Gütersloh und Paderborn geklagt.
Die Entscheidung des Richters, Zitat: "Der Richterspruch ist kein Urteil darüber, ob die Praxis des Kükentötens noch von der Gesellschaft getragen wird."