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Welcome to the City of Jezevac Mädchen in einem bosnischen Flüchtlingslager

Nein, niemand kommt sie je dort besuchen, die Mädchen von Jezevac, keine Schulfreundinnen, keine jungen Männer, Jezevac ist nicht so ein Ort, wo man gern hinfährt.

Von: Mechthild Müser

Stand: 04.05.2012 | Archiv

Flüchtlinge in einer überfüllten Turnhalle einer Schule in Lukavac nahe Tuzla (1993) | Bild: picture-alliance/dpa

"Welcome to the City of Jezevac", hatte eins der Mädchen im Übermut gerufen. Willkommen in dieser Ansammlung kleiner Häuser, schnell hingeworfen auf die ebene Fläche zwischen dem schlammigen braunen Fluss, der Oskova heißt, und der Straße, die zur Kohlen-Abraumhalde hochführt.

Flüchtlinge, die während des Bosnienkrieges aus Srebrenica nach Tuzla fliehen (1995)

Jezevac gibt es seit 1996, da war der Krieg schon zu Ende und die Kantonshauptstadt Tuzla überschwemmt von Flüchtlingen, 40.000 suchten damals eine sichere Bleibe. Sie wurden auf Lager verteilt, in Jezevac steckte man 21 Menschen in jedes Häuschen, 21 auf eine Fläche von 35 Quadratmetern. Heute, 17 Jahre nach dem Krieg, leben noch 70 Familien in Jezevac, jede mit ihrer eigenen, harten Geschichte. Jede in einem 35 Quadratmeter-Haus. Holzstapel neben den Eingängen, schiefe Verschläge für Hühner, Kaninchen oder Geräte, hier und da ein Hundezwinger. Auch schief. Neben einer Haustür klebt eine Todesnachricht: ein junger Mann in den Zwanzigern ist bei einer Sauftour in die Berge abgestürzt. Drei zogen los, zwei kamen zurück.

Angst vor Menschenhändlern

Straßenszene in Srebrenica, elf Jahre nach dem Massaker von 1995

In Jezevac hausen die Übriggebliebenen, Traumatisierten, Kranken, die nicht in ihre Heimatorte zurück können oder wollen. Trauer, Resignation und Schmerz hängen zwischen den Häusern wie Nebelschwaden. Die einzigen Besucher, die sich hier sehen lassen, gehören zur Hilfsorganisation Snaga Zene. Die Organisation geht auf drei Dortmunder Frauen zurück, die - entsetzt von den massenhaften Vergewaltigungen im Bosnienkrieg - helfen wollten. Snaga Zene möchte den Menschen ihren Lebenswillen zurückgeben, vor allem den Frauen, die traumatisiert oder chronisch krank sind. Frauen, die ihre Männer, Väter und Brüder in den Massakern von Srebrenica verloren haben.

Und sie kümmern sich um die Mädchen, die so frisch sind in ihrer Pubertät, die sich um die besten T-Shirts aus Kleidersammlungen prügeln und einmal ganz anders leben möchten als ihre Mütter: Berufe lernen, in der Stadt wohnen. Aber welche Chance haben sie schon? Diese Lage ruft noch andere Besucher auf den Plan: Männer mit prall gefüllten Taschen, die die Mädchen umgarnen, ihnen ein besseres Leben verheißen – Menschenhändler. Die könnten die Mädchen jetzt auch leicht nach Deutschland bringen, denn für Bosnien gilt das Schengen-Abkommen, die Visumspflicht ist aufgehoben. Mit Informationsveranstaltungen versuchen die Mitarbeiter von Snaga Zene die Mädchen vor dieser Gefahr zu schützen:

"Ich wusste gar nicht, dass es diese Menschenhändler gibt und dass man niemandem vertrauen soll. Jetzt weiß ich, mit welchen Mitteln sie versuchen, die Mädchen anzuwerben. Sie bieten dir einen Job als Fotomodell oder als Sängerin oder eine andere gute Arbeit. Wenn ein reicher Mann in eine Siedlung wie Jezevac kommt und eine Frau umwirbt, geht sie doch sofort mit, und dann kann es sein, dass er sie verkauft. Aber von hier ist keine mitgegangen."

Emina, 16 Jahre alt

17 Jahre ist es her, dass der Friedensvertrag von Dayton den Krieg in Bosnien-Herzegowina beendet hat. Aber die Menschen in Jesevaz brauchen noch immer Hilfe. Die Modalitäten des Friedens sind in Abkommen gegossen, die Ermordeten aus ihren Massengräbern geholt und neu bestattet, was von ihnen blieb. Längst sollten die Flüchtlingslager aufgelöst sein, aber sie sind es nicht.


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